Vorschau auf EM-Gruppe C: "No more years of hurt" bei den Three Lions?
England mit Kapitän Harry Kane will endlich den Titel, Dänemark einfach befreit aufspielen. Serbien und Slowenien können aber für eine Überraschung sorgen. Wir stellen alle vier Teams vor.
Alle EM-Gruppen im Check:
Gruppe A: Das nächste Sommermärchen?
Gruppe B: Hammergruppe verspricht Spektakel
>>> Gruppe C: "No more years of hurt"?
Gruppe D: Équipe Tricolore vor Stresstest
Gruppe E: "Last Dance" für De Bruyne und Lukaku?
Gruppe F: Favorit mit Fragezeichen
Dänemark
1992 wurde "Danish Dynamite" sensationell Europameister – und das, obwohl Dänemark eigentlich gar nicht für die EM qualifiziert war: Jugoslawien wurde aufgrund des Balkankonfliktes aus dem Turnier genommen und zehn Tage vor dem Turnierbeginn durch die Dänen ersetzt. Bei der EM 2021 schaffte es die Elf von Trainer Kasper Hjulmand ins Halbfinale und unterlag dort Favorit England in der Verlängerung.
Der Topstar: Christian Eriksen
Der 32 Jahre alte Mittelfeldspieler ist seit vielen Jahren DAS Gesicht der dänischen Nationalmannschaft. Beim Kontinentalturnier erlitt Eriksen im ersten Gruppenspiel gegen Finnland einen Herzstillstand auf dem Fußballfeld, durch Herzdruckmassage und Defibrillator konnte er erfolgreich wiederbelebt werden. Die Bilder der ergriffenen und weinenden dänischen Spieler, die geistesgegenwärtig Sichtschutz bei der Wiederbelebung des Spielmachers gegeben hatten, gingen um die Welt. Eriksen ist wieder topfit, spielt aktuell beim englischen Rekordmeister Manchester United und bestimmt mit seiner immer noch riesigen Übersicht und der überragenden Passtechnik das Tempo der Nationalelf.
Der Trainer: Kasper Hjulmand
Seit fast vier Jahren gibt Hjulmand den Ton in Dänemark an. Er führte seine Mannschaft in den schwierigen Tagen nach Eriksens Herzstillstand ins Halbfinale der letzten EM, Wales und Tschechien wurden auf dem Weg dorthin in der K.o.-Runde bezwungen. 2011/12 wurde Hjulmand mit dem FC Nordsjaelland dänischer Meister, in der Saison 2014/15 übernahm er als Nachfolger von Thomas Tuchel beim 1. FSV Mainz 05 – nach 24 Spielen wurde der Coach dort aber wieder entlassen.
Das Toptalent: Rasmus Højlund
Er ist groß (1,91 Meter), hat einen sehr athletischen Körperbau, verfügt über enormes Tempo sowie sehr viel Tiefgang, ist zudem eiskalt im Abschluss und spielt bei Manchester im Sturm. Man könnte bei dieser Beschreibung glatt an Erling Haaland von Meister Manchester City denken, doch der ist Norweger. Rasmus Højlund ist ebenfalls blond und hat blaue Augen, ist aber ein Jahr jünger als der Norweger und spielt beim englischen Rekordmeister Manchester United, dem prominenten Lokalrivalen von City. Der 21 Jahre alte Angreifer hat alle Anlagen, um ein Topstürmer zu werden, hatte bei den "Red Devils" aber noch leichte Anpassungsprobleme: In seiner ersten Saison in der Premier League netzte der Däne zehn Mal ein. Keine so gute Ausbeute wie Haaland bei dessen Premier-League-Premiere (36), aber dafür kann er sich nun im Vergleich zum Norweger wenigstens bei der EM in Deutschland beweisen.
Die Erwartungshaltung
"Zusammenhalt ist unsere Stärke", sagt Coach Kasper Hjulmand. Laut dem Trainer ist nach das Wir-Gefühl zwischen Dänemark und der Mannschaft seit Eriksens Herzstillstand immens angewachsen. "Wir möchten in den Spielen, mit und ohne Ball, so viel wie möglich selbst bestimmen. Das ist unsere Einstellung. Wir möchten uns nicht immer als Außenseiter sehen", sagt Hjulmand, der mit einem gesunden Mix aus jungen und erfahrenen Spielern in die K.o-Runde einziehen möchte.
Prognose
Nach dem Halbfinale bei der letzten EM und dem Ausscheiden in der Gruppenphase der Weltmeisterschaft 2022 stellt Dänemark eine Wundertüte dar. Platz zwei hinter England scheint möglich in der Gruppe C, im Achtelfinale könnte dann wahrscheinlich Deutschland auf "Danish Dynamite" warten. Bei einem dritten Rang könnte es gegen Portugal gehen: Es wird also schwer mit einem Einzug ins Viertelfinale.
Stars aus der Bundesliga: Joakim Mæhle, Jonas Wind (beide VfL Wolfsburg), Yussuf Poulsen (RB Leipzig), Frederik Rønnow (1. FC Union Berlin)
England
Die "Three Lions" sind einer der Topfavoriten auf den Sieg bei dieser Europameisterschaft: Bei der WM 2018 wurde man Vierter, im EM-Finale 2021 unterlag man Italien auf tragischste Art und Weise – aber irgendwie typisch für England: im Elfmeterschießen. Im Viertelfinale der WM 2022 gab es eine knappe 1:2-Niederlage gegen den späteren Finalisten Frankreich. "Thirty years of hurt", sangen Baddiel, Skinner und die Lightning Seeds 1996 zur Heim-EM 1996: Nach dem ersten und einzigen Titel 1966 sollte mal wieder ein großer Wurf gelingen. Das Mutterland des Fußballs wartet 28 Jahre später immer noch auf einen Triumph bei einem Turnier.
Der Topstar: Harry Kane
Er geht bei England voran, auf dem Feld und daneben: Harry Kane vom FC Bayern München, Kapitän und Rekordtorschütze der Three Lions. Mit 36 Treffern wurde der schussgewaltige Angreifer auf Anhieb Torschützenkönig in seiner ersten Bundesliga-Saison, zudem sicherte er sich den Golden Shoe als bester Torjäger Europas. Als Standardschütze und Wandspieler bzw. Ballverteiler oder Spielmacher ist er unglaublich wichtig für das Offensivspiel der Engländer.
Der Trainer: Gareth Southgate
Der ehemalige Verteidiger (Crystal Palace, Aston Villa und Middlesbrough) verschoss 1996 im Halbfinale der EM gegen Deutschland den entscheidenden Elfmeter – am Ende war England todtraurig und Deutschland Europameister. Auch 2021 scheiterten die Three Lions vom Punkt: im Finale in Wembley. Nichtsdestotrotz hat Southgate es in seiner fast schon achtjährigen Tätigkeit als Nationaltrainer geschafft, England wieder in der Weltspitze des Fußballs zu etablieren.
Das Toptalent: Cole Palmer
England verfügt über ein riesiges Arsenal an jungen und talentierten Spielern. Seine richtige Breakout-Season hatte aber der 22 Jahre alte Cole Palmer: Im vergangenen Sommer wechselte er der Spielpraxis wegen von Manchester City zum FC Chelsea – und schlug voll ein. Mit 22 erzielten Treffern und elf Torvorlagen war der schlaksige offensive Mittelfeldspieler kaum zu bremsen. Nur Erling Haaland (26 Tore) traf öfter in der Premier League. Palmer, technisch stark in engen Räumen und kühl im Abschluss, wird wohl die erste Joker-Option von der Bank sein. Man merkt: England muss ein verdammt gutes Team haben, wenn so ein Akteur keinen Platz in der ersten Elf findet.
Die Erwartungshaltung
"No more years of hurt! No more need for dreaming!", skandieren Baddiel, Skinner und die Lightning Seeds im oben bereits zitierten Song "Three Lions" von 1996 – die Warterei auf einen Titel soll endlich ein Ende haben in England!
Prognose
Die Mannschaft von Gareth Southgate gehört zu den Favoriten auf den Titel. Mit Akteuren wie Kane, dem ehemaligen Dortmunder Jude Bellingham und weiteren Topspielern wie John Stones, Phil Foden (beide Manchester City) oder Bukayo Saka (FC Arsenal) hat England eines der individuell am besten besetzten Teams weltweit.
Stars aus der Bundesliga: Harry Kane (FC Bayern München)
Serbien
Die "Orlovi", also die "Adler" haben sich erstmals für eine Europameisterschaft qualifiziert. Die Serben mögen zwar Außenseiter sein, verfügen über einige richtig gute Spieler.
Der Topstar: Dušan Vlahović
Zum Beispiel Dušan Vlahović. Der schussstarke Linksfuß agiert beim italienischen Rekordmeister Juventus Turin im Sturm, zuvor spielte er bei der AC Florenz und wurde bei Partizan Belgrad ausgebildet. Er ist technisch stark, trickreich und auch torgefährlich bei Standards: Er kann sein 1,90 Meter durchaus gut in die Luft schrauben und Flanken einnicken. Er ergänzt sich perfekt mit seinem Nebenmann Aleksandar Mitrović.
Der Trainer: Dragan Stojković
Zu seiner Zeit als Spieler nannte man den heutigen Coach "Piksi" aus der Trickfilmserie "Pixie und Dixie" – er entwischte stets seinen Verfolgern. Mit Olympique Marseille wurde Stojković 1993 der erste Champions-League-Sieger. Er bestritt 41 Länderspiele für Jugoslawien und 43 für Serbien & Monenegro. Bei der WM 1990 sowie der WM 1998 traf der Spielmacher in der Gruppenphase jeweils auf Deutschland.
Das Toptalent: Strahinja Pavlović
Der 23 Jahre alte Innenverteidiger vom FC RB Salzburg ist eine physische Erscheinung: Der Linksfuß ist 1,94 Meter groß und wird deswegen auch gerne mal als "Serbian Wall" bezeichnet. Der Abwehrspezialist ist auch torgefährlich, kam in der vergangenen Saison auf drei Tore und drei Assists für die Salzburger. Ausgebildet wurde er bei Partizan Belgrad, kam trotz seines noch jungen Alters aber schon in fünf europäischen Ligen zum Einsatz: Ligue 1 (AS Monaco, Frankreich), Jupiler Pro League (Cercle Brügge, Belgien), Super liga Srbije (Partizan), Super League (FC Basel) und natürlich in der österreichischen Bundesliga. Die Europa League sowie Chamnpions League kennt Pavlović, der auch links verteidigen kann, ebenfalls.
Die Erwartungshaltung
Serbien qualifizierte sich als Zweiter (14 Punkte) hinter Ungarn (18) in der Gruppe G für das Turnier in Deutschland. Durch ein Remis gegen Bulgarien am letzten Spieltag der Qualifikation wurde die erste EM-Teilnahme klargemacht. Mit der individuell stark besetzten Mannschaft soll der Einzug in die K.o.-Phase gelingen.
Prognose
Vlahović, Dušan Tadić (Fenerbahce Istanbul), Sergej Milinković-Savić (früher Lazio, jetzt al-Hilal), Mitrović (früher FC Fulham, jetzt al-Hilal), sowie die drei ehemaligen Frankfurter Luka Jović (AC Milan), Filip Kostić (Juventus Turin) und Mijat Gaćinović (AEK Athen) – allesamt richtig gute Kicker. Es wird wohl ein enges Duell um Platz zwei mit Dänemark, als einer der besten Gruppendritten könnte es für Serbien auch in die K.o-Runde gehen.
Stars aus der Bundesliga: Miloš Veljković (SV Werder Bremen)
Slowenien
Für Slowenien ist es nach 2000 die zweite Teilnahme an einer Europameisterschaft. Punktgleich mit Dänemark wurde Slowenien Zweiter in der Qualifikation, in zehn Spielen gab es nur neun Gegentreffer.
Der Topstar: Jan Oblak
Seit zehn Jahren ist der 31 Jahre alte Schlussmann einer der stärksten Keeper in der spanischen Liga: Mit Atlético Madrid hat der viermalige Fußballer des Jahres in Slowenien ein Mal die Meisterschaft, den Pokal, die Europa League und den UEFA Supercup geholt. Der sprungkräftige und reaktionsschnelle Schlussmann ist seit langer Zeit einer der besten Torhüter auf der Linie weltweit. Er ist einer der Gründe dafür, dass sowohl Atlético, als auch Slowenien kaum Gegentore kassieren: 23 Paraden zeigte der Schlussmann in der Qualifikation. Zusammen mit dem Basketballer Luka Dončić (Dallas Mavericks) sowie dem Skispringer Peter Prevc und der ehemaligen Skirennläuferin Tina Maze gehört Oblak zu den größten Sportlern des kleinen Landes.
Der Trainer: Matjaž Kek
Zwischen 2007 und 2011 war der Slowene bereits Coach der Nationalelf, seit 2018 ist der 62 Jahre alte Trainer wieder an der Seitenlinie seines Landes zu finden. Als Spieler agierte Kek als Libero, spielte in Slowenien bei Rekordmeister NK Maribor und auch neun Jahre in Österreich.
Das Toptalent: Benjamin Šeško
Der Angreifer kennt sich ebenfalls bestens in Österreich aus: Bevor Benjamin Šeško im vergangenen Sommer zu RB Leipzig wechselte, spielte er beim FC RB Salzburg und dem FC Liefering. Der 21 Jahre alte Angreifer netzte in seiner ersten Bundesliga-Saison 14 Mal ein, zudem gab er zwei Assists. Neben der starken slowenischen Defensive ist der wuchtige und technisch beschlagene Stürmer Hoffnungsträger bei diesem Turnier.
Die Erwartungshaltung
Slowenien ist der klare Außenseiter in dieser Gruppe C. Mit seiner starken Defensive will Slowenien seine Gegner mürbe machen und dann eventuell mit Kontern oder nach Standards zuschlagen. Trainer Kek will die drei Favoriten der Gruppe ärgern.
Prognose
Ein Weiterkommen ist nicht sehr wahrscheinlich. Dafür benötigt Slowenien eine Menge Spielglück und einen Oblak in Topform. Wenn Šeško sich so eiskalt wie in der Leipziger Rückrunde zeigt, ist aber auch eine Überraschung drin.
Stars aus der Bundesliga: Benjamin Šeško (RB Leipzig)