Taktik-Check: So will Borussia Dortmund im Klassiker gegen die Bayern gewinnen
Am 27. Spieltag kommt es wieder zum Klassiker in der Bundesliga. Borussia Dortmund reist zum FC Bayern München. Im Voraus blicken wir auf die taktischen Ausrichtungen beider Teams. Wie funktioniert die BVB-Taktik, mit der Edin Terzić die Bayern schlagen will?
Welche Dortmunder hast du im Fantasy Manager?
Nach einer etwas enttäuschenden Hinrunde hat sich Borussia Dortmund im Winter etwas neu aufgestellt: Mit Sven Bender und Nuri Şahin kamen zwei neue Co-Trainer, die frische Impulse brachten. Außerdem holte der BVB mit Ian Maatsen einen neuen Linksverteidiger ins Team, der durch seine Spielstärke und das Einrücken ins Zentrum für neue Flexibilität im Aufbauspiel der Schwarzgelben sorgte.
Taktik-Analyse: Maatsen macht den BVB variabler
Doch das bedeutet nicht, dass nur noch das neue Aufbau-System praktiziert wird. Vor allem bei geringerem Gegnerdruck setzen die Dortmunder weiterhin auf einen flachen 4-1-Aufbau, bei dem Emre Can als alleiniger Sechser das Zentrum hält. Hierbei sollen die Innenverteidiger, zuletzt meist Nico Schlotterbeck und Niklas Süle, entweder selbst weite Vertikalpässe spielen oder die Außenverteidiger starten über die Flügel nach vorne.
Das Aufbausystem mit der Viererkette und einem Sechser
Zusammen mit den Flügelstürmern werden dann Zwei-gegen-Zwei-Situationen an der Strafraumseite kreiert, bei dem die Flanke oder das Dribbling zur Mitte gesucht werden. So kommt Dortmund immer wieder schnell nach vorne und spielt den Ball in den Strafraum. Dabei gilt Tempo und Menge mehr als die Qualität der eigentlichen Chance.
Denn durch das schnelle Offensivspiel entwischen die wiederum temporeichen Dortmunder Flügel Donyell Malen, Jadon Sancho oder zuletzt auch Karim Adeyemi immer wieder der Abwehrkette und kommen hinter die Kette, um dort abzuschließen. Die elf Bundesliga-Saisontore (13 in allen Wettbewerben) von Malen resultieren häufig aus solchen Überfall-Angriffen.
Doch diese Tempo-Offensive funktioniert deutlich schwerer, wenn der Gegner sich entweder weit zurückzieht und den Borussen keinen Raum gibt. Dasselbe gilt, wenn der Gegner ein hohes Pressing spielt und mit vielen Spielern angreift, denn dann gehen die Innenverteidiger mit ihren Vertikalpässen ein hohes Risiko - und die Restverteidigung bei vorstoßenden Außenverteidigern steht nicht stabil.
Der BVB rotiert im Spiel zum 3-2-Aufbau
Um diese Probleme zu beheben, verschiebt Can aus dem Sechser-Raum zwischen die Innenverteidiger und baut aus der Dreierkette mit auf. Als gelernter Zentrumsspieler ist Can pressingresistent - mit einer Leistung unter Gegnerdruck von 69 Prozent erfolgreich behaupteter Bälle glänzt er in engen Räumen, ist aber auch ein Sicherheitsfaktor in der Dreierkette.
Damit das Zentrum nicht unbesetzt bleibt, schiebt nun Linksverteidiger Maatsen in die Mitte und besetzt die Schaltzentrale. Außerdem zieht sich der Achter, meist Marcel Sabitzer, daneben zurück und bringt mit Maatsen zudem eine enorme Spielstärke in den Spielaufbau. Can ist nämlich extrem sicher, aber keiner für technisch hochwertige Kombinationen.
Ein Faktor des 3-2-Spiels fällt weg
Dass Sabitzer aufgrund einer Rotsperre den Klassiker verpassen wird, ist ein bitterer Schlag für Edin Terzić. Die Variabilität des im vergangenen Sommer vom FC Bayern München gekommenen Spielgestalters war bisher ein wichtiger Faktor bei der Umstellung auf das 3-2-Aufbausystem. Weil die Borussia gegen Eintracht Frankfurt zuletzt mit Julian Brandt und Marco Reus als zwei sehr offensive Zentrumsspieler zusätzlich zu Can spielte, gelang im 4-1-4-1 lange wenig - bis der BVB sich traute, auch mit Brandt in den 3-2-Aufbau zu verschieben.
Plötzlich lief es deutlich besser. Der BVB konnte Frankfurt durch die starke Ballbehauptung im Aufbau etwas locken und fand Räume für tiefe Angriffe. Gegen die Bayern könnte die Variante mit Brandt und Reus jedoch zu anfällig in der Defensive sein - auch Salih Özcan kann jedoch zwischen einer Achter-Rolle und der defensiven Doppelsechs rotieren. Gut möglich, dass der defensivstarke Ex-Kölner hier den Vorzug bekommt, um Sabitzer zu ersetzen.
Spielaufbau, Andribbeln und Gegenpressing
Ein nahezu perfektes Beispiel für diese Mechanismen findet sich im Spiel gegen den Sport-Club Freiburg am 21. Spieltag: Die Breisgauer attackierten zunächst sehr hoch, dann ließ sich Can in die Abwehrkette fallen, was den Ballbesitz sicherte. Im Anlaufen zog Maatsen von links ins Zentrum, wurde von Rechtsaußen Roland Sallai begleitet, wodurch viel Raum für Schlotterbeck entstand, der links nach vorne lief. Der große Druck war überspielt.
Dann dribbelt Schlotterbeck weiter an und sieht einen Passweg in die Spitze. Mit einem technisch starken Steilpass geht es wieder überfallartig nach vorne. Doch Malen kann den Ball nicht behaupten, Freiburgs Sechser Nicolas Höfler macht ihm Druck - ein Ballverlust?
Terzić-Fußball ist Überfall-Fußball
Mitnichten: Das Gegenpressing greift, Sabitzer steht gut zwischen seinen Gegenspielern und prescht sofort nach vorne, nimmt den freien Ball auf. Und sofort schalten die Schwarzgelben in den Überfall-Modus: Sabitzer treibt den Ball nach vorne, in letzter Kette laufen vier Dortmunder auf vier Verteidiger zu. Sabitzer spielt Niclas Füllkrug im Strafraum an, der den Ball für Malen ablegt - und der Niederländer versenkt zum 1:0.
Zurück zum Frankfurt-Spiel: Das erste Tor fällt letzten Endes nach einem Überfall-Angriff: Der BVB zieht linksseitig die Gegner raus, Schlotterbeck verlagert mit einem perfekten Flugball auf Rechtsaußen Malen, der sich in einem Eins-gegen-Eins mit Frankfurts Linksverteidiger Niels Nkounkou wiederfindet und das mit einem Sprint zur Grundlinie gewinnt. Derweil entwischt im schnellen Angriff Adeyemi am zweiten Pfosten und schiebt die Flanke des Niederländers frei ins Tor.
Der Erfolgsfaktor Füllkrug
Neben dem Überfallspiel aus ruhigem Ballbesitz ist der BVB natürlich auch ein sehr konterstarkes Team. Dabei glänzen eigentlich alle Offensivspieler durch ihr enormes Tempo - außer einer: Niclas Füllkrug. Doch das ist dem BVB bewusst. Terzić könnte auch den schnellen Youssoufa Moukoko in der Spitze aufstellen oder Malen als Mittelstürmer aufstellen. Doch der Dortmund-Coach entscheidet sich immer wieder für Füllkrug.
Denn sein Spielertyp ist für das Spiel der Schwarzgelben extrem wichtig. Denn die schnellsten Spieler bringen nichts, wenn der Ball den Weg nicht mitgehen kann. Immer wieder macht Füllkrug die langen Anspiele fest, behauptet die Kugel und leitet dann die Angriffe ein. Dass der Stürmer im neuen Jahr sogar immer besser auch selbst als Abnehmer im Strafraum funktioniert, ist im schnellen Umschaltspiel quasi nur ein Bonus: Der Stürmer soll als Wandspieler agieren, dabei sind seine acht Torvorlagen - Spitzenwert für Mittelstürmer in der Bundesliga - viel beeindruckender als seine elf Tore.
Keiner macht die Bälle so gut fest wie der deutsche Nationalstürmer. Dass Füllkrug im System von Edin Terzić so gut funktioniert, ist vor allem deshalb wichtig, weil Sébastien Haller seine starke Form aus der vergangenen Rückrunde aus gesundheitlichen Gründen nicht halten konnte. In der Fast-Meister-Rückrunde 22/23 war der Ivorer der Erfolgsfaktor des Offensivspiels - nun ist es Niclas Füllkrug.
Herausforderungen durch den FC Bayern München
Gegen den Ball agierte der BVB zuletzt immer variabel. Als Ausgangsformation steht dabei zwar immer das 4-2-3-1, doch die genauen Muster verändern sich mit dem Gegner. Häufig ist Rechtsaußen Malen gegen einen Viereraufbau sehr viel aggressiver zu beobachten als sein Pendant auf der rechten Seite, läuft vom gegnerischen Linksverteidiger aus immer wieder den linken Innenverteidiger an. Gegen den SV Werder Bremen war das 4-2-3-1 zwar erkennbar, doch während Malen zusammen mit Füllkrug die Dreierkette der Bremer attackierte, ließ sich Sancho links weit fallen, deckte häufig Werder-Flügelverteidiger Mitchell Weiser ab. Rechts war das die Aufgabe von Julian Ryerson.
Taktik-Check: Tuchels Trümpfe im Klassiker
Zudem immer wieder erkennbar: Der BVB sichert spät in einer Dreier- bzw. Fünferkette ab. Im Klassiker trifft Dortmund nun auf die eher ungewohnte Underdog-Rolle und es stellt sich die Frage: Wie wird die Borussia gegen die Offensivpower des FCB verteidigen? Der Rekordmeister spielt im eigenen Aufbau zuletzt ein 3-1-4-2, attackiert also zentrumslastig und mit sechs Angreifern.
Dagegen könnte es sich anbieten, selbst ebenfalls auf eine Dreierkette gegen den Ball umzustellen und die Absicherungs-Formation zur festen Aufstellung gegen den Ball zu machen. Um die eigenen Muster nicht zu verlieren, könnte sich Terzić die Flexibilität von Niklas Süle zunutze machen: Der gelernte Innenverteidiger könnte im Ballbesitz wie Rechtsverteidiger Julian Ryerson agieren, Mats Hummels dafür als rechter Innenverteidiger starten. Gegen den Ball verschiebt Süle jedoch in die Dreier-Innenverteidigung zurück. Freiburg und Leverkusen zeigten beide mit dieser hybriden Variante aus Fünferkette gegen den und Viererkette mit dem Ball eine sehr starke Defensivleistung gegen den FC Bayern. Sich diese Spiele zum Vorbild zu nehmen, könnte Dortmund helfen.
Niklas Staiger