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Jonas Urbig zeigt auf der großen Bühne keine Spur von Nervosität
Jonas Urbig zeigt auf der großen Bühne keine Spur von Nervosität - © Alexander Hassenstein
Jonas Urbig zeigt auf der großen Bühne keine Spur von Nervosität - © Alexander Hassenstein
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Wochen der Wahrheit im Bayern-Tor für Jonas Urbig

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Eigentlich sollte Jonas Urbig nach seinem Wechsel im Januar an die Isar behutsam zur Nummer Eins aufgebaut werden. Durch die Verletzung Manuel Neuers muss der Ex-Kölner in der heißen Saisonphase nun früher als gedacht seinen Mann stehen. Ist der 21-Jährige dazu bereit?

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Es war kurz nach Mitternacht, als Jan-Christian Dreesen, CEO des FC Bayern fast schon überschwängliche Worte fand. Die Mannschaft saß beim obligatorischen Bankett nach einem Champions-League-Spiel zusammen. Im Mittelpunkt der Rede des Vorstandsvorsitzenden stand Jonas Urbig. Den Keeper lobte er für seine Ruhe auf dem Platz und seine zwei, drei guten Paraden, die er gezeigt hatte. Schüchtern erhob sich der 21-jährige kur von seinem Platz und nahm den Applaus entgegen.

Und tatsächlich: Im Achtelfinalrückspiel in Leverkusen war er einer der Garanten für den letztlich souveränen Einzug ins Viertelfinale der Königsklasse. Drei gefährliche Schüsse waren es, die er souverän entschärfte.

Mutig rein ins Getümmel

Nun bestand die größte Herausforderung in diesem Rückspiel Mitte März aber darin, dem Druck der Leverkusener im Anlaufen zu widerstehen und insbesondere die hohen Bälle in den Strafraum zu verteidigen. Insgesamt waren es 30 Flanken, darunter 14 Eckbälle, die die Münchner verteidigen mussten.

Gerade die Ecken schlugen Alejandro Grimaldo & Co. mit Zug zum Tor in den Fünfmeterraum. Für Urbig keine leichte Aufgabe, da er sich nicht nur gegen körperlich starke Gegenspieler wie Jonathan Tah behaupten, sondern im Zweifel auch Mitspieler aus dem Weg räumen musste.

Der Keeper war in seinen Aktionen aber immer klar. Er scheute es nicht, sich ins Getümmel zu stürzen und nutzte rigoros die Faustabwehr. Ein Fangversuch wäre in vielen Fällen schwierig gewesen. Der Bewegungsablauf ist dabei stets genaustens durchgetaktet und kann bei einer für Außenstehende kleinen Berührung große Auswirkungen haben.

Im Champions-League-Rückspiel in Leverkusen entschärft Urbig immer wieder hohe Hereingaben mit der Faust - IMAGO/Bayer 04 Leverkusen v FC Bayern München

Aussetzer als Ausreißer

Anstatt also das Risiko einzugehen, den Ball nicht richtig gepackt zu bekommen oder ihn bei der Landung fallenzulassen, weil er von einem Mit- oder Gegenspieler leicht behindert wird, entschied sich der Bayern-Torwart oft für eine unkonventionelle Faustabwehr.

Und so passte es nach diesem wirklich guten Auftritt am Bayer-Kreuz nicht ins Bild, dass Urbig wenige Tage später an der Alten Försterei patzte. Josip Juranovic schlug eine Flanke von rechts in den Strafraum, der Ball wurde von Alphonso Davies noch leicht abgefälscht und bekam dadurch einen Drall. Dennoch wirkte es so, als wäre es eine Hereingabe gewesen, die der Bayern-Schlussmann abfangen muss.

Stattdessen kam Urbig nur mit einer Hand an den Ball, patschte ihn nach vorn, direkt vor die Füße von Benedict Hollerbach, der nur noch abstauben musste. Dem 21-jährigen aber nun eine Schwäche bei hohen Bällen zu attestieren, wäre der falsche Schluss.

Bei Union Berlin führt eine missglückte Faustabwehr zum 1:1-Ausgleichstreffer - IMAGO/Eibner-Pressefoto/Scott Coleman

Präsent im Strafraum

Denn nicht nur in der Champions League in Leverkusen, auch bei seinem Startelf-Debüt gegen den VfL Bochum eine Woche zuvor war er mit drei abgefangenen Flanken präsent. Auch in seiner Zeit in Regensburg oder bei der SpVg Greuther Fürth verriet er bei Flanken kaum Schwächen.

Im Torwartspiel trennt sich die Spreu vom Weizen ohnehin bei der Raumverteidigung. Aber anders als zum Beispiel das Verhalten im Eins-gegen-eins oder einer klassischen Abdruck-Situation, lassen sich solche Momente kaum trainieren.

Abgefälschte Flanken lassen sich genauso schwer simulieren wie Gegnerdruck oder die Atmosphäre im Stadion, die bei der Entscheidung zum Ball zu gehen oder nicht, natürlich eine Rolle spielt. Bedeutet im Umkehrschluss: Das Abfangen von hohen Bällen und Pässen hinter die Abwehrkette muss größtenteils unter Wettkampfbedingungen ausprobiert werden.

Ist Urbig schon bereit für die Neuer-Nachfolge?

Doch wenn der Platz für Fehler im Profifußball schon begrenzt ist, ist er beim FC Bayern München bekanntlich noch geringer. Ob Urbig in den kommenden Wochen also die Möglichkeit haben wird, Fehler zu machen und im Idealfall daraus zu lernen?

Eine andere Wahl haben sie an der Säbener Straße wohl nicht. Ein Wechsel zurück zu Sven Ulreich oder Daniel Peretz würde Urbigs Position im langfristig angelegten Projekt einer Neuer-Nachfolge erheblich schwächen.

Zumal seine Leistungen mit Ausnahme der einen Aktion bei 1. FC Union Berlin im Grunde keinen Anlass zur Sorge geben. Der gebürtige Kölner spielt durchschnittlich pro Partie fast genauso viele Pässe (36) wie Neuer (37). Dabei konnte er in der Bundesliga starke 86 Prozent der Bälle zum Mitspieler bringen (Neuer 85 Prozent).

Steigerungspotenzial bei langen Pässen

Der nächste Schritt muss für Urbig die Präzision bei langen Pässen unter Druck sein. Eine große Stärke Neuers sind seine zielgenauen weiten Zuspiele. Sein potenzieller Nachfolger war in den eineinhalb Partien gegen Leverkusen in der Königsklasse in diesem Bereich noch nicht auf Neuer-Niveau. Wenn die Bayern in den kommenden Top-Spielen gegen Inter & Co. weiterhin das hohe Pressing umgehen wollen, braucht es auch einen nervenstarken Schlussmann.

So fokussiert wie sich Urbig bisher aber präsentierte und wie sich auch die Verantwortlichen im Umfeld über seinen Trainingsfleiß äußern, dürften die Fortschritte schnell zu sehen sein. Der 21-jährige steht vor einer großen Herausforderung, aber auch einer enormen Chance. Seine bisherigen Leistungen zeigen, dass er das Potenzial hat, sich als Nummer Eins beim FC Bayern zu etablieren. Trotz kleinerer Rückschläge ist seine Entwicklung vielversprechend.

Mit der richtigen Unterstützung und kontinuierlichem Training könnte er die Nachfolge von Neuer erfolgreich antreten und sich als feste Größe im Tor des Rekordmeisters etablieren. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, um zu sehen, wie er mit dem Druck und den Erwartungen umgeht.