Scheitern als Chance: Die Aufstiegsdramen des 1. FSV Mainz 05
Aller guten Dinge sind drei? Nicht, wenn es um den erstmalige Aufstieg des 1. FSV Mainz 05 in die Bundesliga geht. Gleich drei Mal scheiterten die Rheinhessen dramatisch am Sprung in die Beletage des deutschen Fußballs – 2003 sogar nur aufgrund eines Tores in der Nachspielzeit des letzten Spieltags. Ein Jahr später wurde die Beharrlichkeit der "Nullfünfer" um Erfolgscoach Jürgen Klopp dann endlich belohnt.
Es flossen einmal mehr Tränen beim 1. FSV Mainz 05 an diesem 23. Mai 2004. Diesmal übermannten Jürgen Klopp und Co. allerdings nicht die Gefühle aus Trauer, Frust oder Enttäuschung, diesmal machten die "Nullfünfer" diesen Tag zum Feiertag in der Fastnachtshochburg. Denn: Nach drei vergeblichen Anläufen, als Mainz jedes Mal überaus dramatisch am Aufstieg scheiterte, gelang den Rheinhessen endlich erstmals der Sprung in die Bundesliga. Und das wieder einmal in nervenaufreibender Manier: Die Klopp-Elf hatte es am allerletzten Spieltag nicht mehr in der eigenen Hand, brauchte somit an diesem Sonntag im Mai vor 20 Jahren Schützenhilfe.
Bewerte die Zweitliga-Legenden!
Und die bekam sie. Der Karlsruher SC ließ die vor den "Nullfünfern" liegende Aachener Alemannia stolpern, die Mainzer zogen mit einem souveränen 3:0-Heimsieg gegen Eintracht Trier an den Rheinländern vorbei auf Platz drei. Mit 54 Punkten (der geringsten Punktzahl, mit der es bis dahin jemals ein Zweitligist in die Bundesliga geschafft hatte) erreichten Klopp und Co. das, was sie zuvor drei Mal knapp verpasst hatten. An keinem einzigen Spieltag zuvor stand Mainz auf einem Aufstiegsplatz – und durfte letztlich trotzdem jubeln. Am alt-ehrwürdigen Bruchweg hieß es: Endlich erstklassig!
Aufstieg ist für Klopp persönlich der größte Erfolg seiner Karriere
"Wir werden Gas geben ohne Ende und alles auf den Kopf stellen", kündigte der überwältigte Erfolgscoach an – und machte gemeinsam mit Mannschaft und Fans in der Fastnachtshochburg die Nacht zum Tag. Auch 20 Jahre später erinnert sich Klopp noch gern an diesen für Mainz so historischen 23. Mai 2004: "Der Tag war einer der schönsten meines Lebens, weil es für alle so viel bedeutet hat und für mich logischerweise auch", sagte er im Interview mit der "Allgemeinen Zeitung Mainz" vor kurzem. Und gerade das vorherige Scheitern machte den Sprung in die Bundesliga für den Coach noch süßer: Trotz etlicher Triumphe mit Borussia Dortmund oder dem FC Liverpool bezeichnet Klopp den erstmaligen Aufstieg mit seinen Mainzern als größten Erfolg seiner Karriere.
"Wir hatten damals kaum Geld in Mainz und niemand hat uns in der ersten Liga gesehen“, schilderte der heute 57-Jährige einmal und führte weiter aus, warum dieser Aufstieg ihm derart viel bedeutet: "Wir waren bei Mainz 05 die Mannschaft mit den Spielern, die ihre zweite Chance bekommen haben. Deren Karriere halbwegs zu Ende war. Die wir aufgepäppelt und in die Spur gebracht haben. Später habe ich zwar größere Titel gewonnen, aber ich hatte auch bessere Mannschaften und mehr Geld zur Verfügung. Das ist mein Empfinden, ganz einfach", so Klopp, der die "Nullfünfer" an Fastnacht 2001 im Abstiegskampf übernommen hatte – obwohl er eigentlich noch Spieler der Mainzer war.
1998 wäre der Aufstieg "zu früh" gekommen
Auf dem Rasen hatte der gebürtige Stuttgarter, der von 1990 bis zu seiner Beförderung zum Trainer in 325 Partien für die Rheinhessen auflief und somit Mainzer Rekordspieler in der 2. Bundesliga ist, noch den ersten verpassten Anlauf Richtung Beletage des deutschen Fußballs erlebt. 1997/98 stürmten die "Nullfünfer" überraschend Richtung Bundesliga – zunächst bis in die März hinein unter Wolfgang Frank, der allgemein als Architekt des gesamten Mainzer Aufschwungs gilt, danach unter Reinhard Saftig. Am letzten Spieltag hatten es die Rheinhessen in der eigenen Hand, brauchten beim VfL Wolfsburg nur einen Sieg für den Aufstieg. In turbulenten 90 Minuten unterlag Mainz bei den "Wölfen" mit 4:5 (Klopp erzielte den zwischenzeitlichen 2:3-Anschlusstreffer) – und musste den Niedersachsen beim Feiern zuschauen.
"Es wäre zu früh gekommen", schilderte Christian Heidel später einmal im "kicker"-Magazin. "Im Nachhinein sagen heute fast alle: Es war gut, dass wir uns weitere sieben Jahre Zeit gelassen haben mit dem Aufstieg. 2004 hatten wir zum Beispiel schon das Stadion umgebaut und waren insgesamt besser vorbereitet", betonte der Mainzer Macher. Das erstmalige dramatische Scheitern beim Sprung in die Bundesliga habe den Grundstein für die späteren Erfolge gelegt – auch wegen Jürgen Klopp. "Der Sommer 1997 hat eine große Rolle gespielt beim Gewinn der Erkenntnis, dass viele Trainer nicht mit unserer Mannschaft klarkommen. Das führte schließlich zu der Entscheidung, ihn zum Trainer zu machen", erklärte Heidel.
Aufstieg verpasst – wegen der schlechteren Tordifferenz
Dieser Jürgen Klopp - eben noch Spieler, nun Trainer der Mainzer – sorgte dann für den nächsten Aufschwung am Bruchweg. Und für die nächste dramatische Aufstiegschance: Gleich in seiner ersten kompletten Saison als Cheftrainer erlebte "Kloppo" sämtliche Höhen und Tiefen. Er wurde mit den "Nullfünfern" Herbstmeister, hatte zeitweise zehn Punkte Vorsprung auf die Nichtaufstiegsplätze, stand 30 Mal auf einem Aufstiegsrang und ging als Tabellenzweiter ins Saisonfinale. Am Ende jubelten aber nur die anderen: Mainz verlor am 34. Spieltag 1:3 an der Alten Försterei beim 1. FC Union Berlin, die lachenden Profiteure waren Arminia Bielefeld (3:1 gegen Ahlen) und der VfL Bochum 1848 (3:1 in Aachen), die beide auf der Zielgeraden noch vorbeiziehen konnten.
Wer nun dachte, dramatischer und tränenreicher könne es nicht mehr werden, wurde in der folgenden Saison eines Besseren belehrt: Fehlte Mainz 2001/02 nur ein Punkt zum Aufstieg, war es 2002/03 sogar nur ein einziges Tor! Und wieder bot der 34. Spieltag für die "Nullfünfer" Drama und Tränen: Klopps Team war diesmal in der Jägerrolle, ging als Vierter ins Saisonfinale und schien Eintracht Frankfurt doch noch abfangen zu können. Zehn Minuten vor Schluss führte Mainz durch einen Viererpack von Benjamin Auer 4:0 bei Eintracht Braunschweig, in Frankfurt stand es für die SGE gegen Reutlingen es 3:3. Mainz fing sich das 4:1 und die Eintracht ging 4:3 in Führung, brauchte aber immer noch zwei Tore.
In Braunschweig war da schon längst Schluss – die "Nullfünfer" um Klopp verfolgten die Nachspielzeit des Eintracht-Spiels im Radio. Erst traf Bakary Diakité (90.) für die SGE, dann sorgte Alexander Schur in der Nachspielzeit für Frankfurter Feierlaune. Die rheinhessischen Lokalrivalen weinten dagegen bittere Tränen - aufgrund der besseren Tordifferenz stieg Frankfurt (+26) nun auf, Mainz war erneut auf dramatische Art und Weise gescheitert. "Wir stehen wieder auf. Wir werden nicht an diesem Spiel zerbrechen, diesen Gefallen werden wir niemanden tun. Wenn es jemand beim dritten Mal schaffen kann, dann wir!", schleuderte ein unendlich trauriger Klopp den ebenso enttäuschten Fans auf dem Empfang in der Stadt entgegen.
2004 war es dann so weit
"Letztes Jahr hat ein Punkt gefehlt, dieses Jahr ein Tor, nächstes Jahr Bundesliga", prophezeihte der Mainzer Bürgermeister Jens Beutel. Und sollte recht behalten – 2004 behielten die "Nullfünfer" das bessere Ende in einem nervenaufreibenden Endspurt für sich. Schöne Erinnerungen für Jürgen Klopp: "Ich gucke gar nicht so selten die alten Videos“, gestand der Erfolgscoach zuletzt der "Allgemeinen Zeitung" und fügte lachend hinzu: "Es ist auch gar nicht so lange her, dass ich mir die Aufstiegskonferenz von diesem Tag bei YouTube angeschaut habe. Wenn ich dann nochmal sehe, was Alemannia Aachen für Riesenchancen in Karlsruhe vergeben hat – wenn ich das damals gewusst hätte, hätte ich wohl einen Herzinfarkt bekommen."
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Aus Niederlagen lernen. Aus bitterer Enttäuschung Kraft schöpfen. Das Scheitern als Chance begreifen. Was oft als Floskel aus schlechten Motivationsseminaren daherkommt, war offenkundig die Quelle der Mainzer Kraft. Mit Wut im Bauch, aber auch der Gewissheit, dass sie zu den Topteams der 2. Bundesliga gehören – und eigentlich längst den Aufstieg hätten perfekt machen können. "Wir hatten ein anderes Selbstverständnis entwickelt", betont Klopp immer wieder. Und dieses Selbstverständnis führte dazu, dass diesmal das Schicksal zugunsten der "Nullfünfer" entschied. Und so nahm "der längste und emotional aufreibendste Weg, den je ein Klub in die Bundesliga genommen hatte" (O-Ton 11 Freunde), sein glückliches Ende.
Thomas Reinscheid