2. Bundesliga

Höhenflug unter Hürzeler: Der FC St. Pauli stürmt Richtung Bundesliga

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Nach neun Spieltagen ist der FC St. Pauli nicht nur die Nummer eins in Hamburg, sondern in der kompletten 2. Bundesliga. Mit spektakulärem Fußball haben sich die "Kiezkicker" an die Tabellenspitze gespielt und stürmen unter Chefcoach Fabian Hürzeler Richtung Aufstieg.

Mit Rauschzuständen kennt man sich auf St. Pauli grundsätzlich gut aus. Doch dass sich die Kiezkicker vom FC St. Pauli in einen Rausch spielen, das ist noch Gewohnheitssache rund um das Millerntor. Dabei sorgt die Mannschaft des jungen Chefcoachs Fabian Hürzeler (30) längst in schöner Regelmäßigkeit für Glücksgefühle beim eigenen Anhang. Zuletzt zauberten die "Boys in Brown" beim 5:1-Heimsieg gegen den 1. FC Nürnberg und verteidigten durch den deutlichen Erfolg die Tabellenführung souverän. Der FC St. Pauli – er stürmt unter seinem 30 Jahre alten Trainer Richtung Bundesliga.

Spielbericht: Kiezkicker zaubern gegen Nürnberg

Wie im Rausch hätten sich die letzten Minuten am Millerntor angefühlt, betonte St. Paulis Abwehrchef Hauke Wahl. Mit spielerischer Leichtigkeit und traumhaften Toren hatten sich die Kiezkicker wie schon in den Vorwochen zu drei Punkten gespielt. "Es war ein schöner Abend mit sehr, sehr schönen Toren", sah Kapitän Marcel Hartel eine Steigerung zu den vorherigen Partien und unterstrich die gestiegenen Ansprüche bei den Hamburgern: "Alle in der Liga wissen, dass wir guten Fußball spielen können. Wir heben jetzt aber nicht ab, nehmen das Selbstvertrauen der vier Siege in Folge aber mit und wollen die Dominanz beibehalten. Den Fußball, den wir heute und in den letzten Wochen gezeigt haben, wollen wir auch in der Zukunft zeigen."

Das wären keine guten Nachrichten für die Konkurrenz in der 2. Bundesliga, die St. Pauli nun mit 19 Punkten anführt. Die Kiezkicker sind ist als einziges Team noch unbesiegt und haben erstmals in ihren 32 Zweitliga-Jahren keines der ersten neun Saisonspiele verloren. Dabei war das Programm keinesfalls leicht: Die "Boys in Brown" haben gegen Teams aus der Top-6 gespielt (Holstein Kiel, Fortuna Düsseldorf und 1. FC Kaiserslautern) und trafen auch schon auf die beiden Bundesliga-Absteiger Hertha BSC und FC Schalke 04. Nach stotterndem Motor zum Saisonstart ist St. Pauli zuletzt nicht zu stoppen gewesen, feierte als ligaweit erste Mannschaft überhaupt in dieser Saison vier Siege in Folge. Die Kiezkicker schossen dabei auch noch aus allen Rohren, kamen in den vergangenen vier Partien auf 15:4 Tore. 

Siebenkampf um den Aufstieg

Der Spaßfaktor – er ist derzeit groß am Millerntor. "Es hat Spaß gemacht, wie wir gespielt haben. Und ich denke, dass es auch Spaß gemacht hat zuzuschauen, wie wir gespielt haben", schwärmte Mittelfeldstratege Eric Smith nach dem Sieg gegen Nürnberg und fügte selbstbewusst hinzu: "Wenn wir so spielen, dann sind wir nur schwer zu besiegen!" Das zeigt auch ein Blick in die Statistik: Saisonübergreifend ist der FC St. Pauli seit 14 Zweitliga-Spiele ungeschlagen, die letzte Niederlage war das unglückliche 3:4 im Stadtderby beim HSV am 21. April 2023. Das ist St. Paulis längste Serie in der 2. Bundesliga seit Mitte der neunziger Jahre, länger unbesiegt blieb der Kiezclub zuletzt 1994/95 unter Uli Maslo. Der Vereinsrekord ist aber noch weit weg, in den Siebzigern schaffte St. Pauli schon einmal eine Serie von 28 Zweitliga-Spielen ohne Niederlage.

Die Hürzeler-Tabelle: 60 Punkte in 26 Spielen

Großen Anteil am Aufschwung der "Boys in Brown" hat jemand, der vor einem Jahr noch nahezu unbekannt war. Mit Fabian Hürzeler, der auf der Trainerbank den Ur-Paulianer Timo Schultz ablöste, kam der Erfolg zurück ans Millerntor. Der FC St. Pauli führt nämlich nicht nur in dieser Saison die Zweitliga-Tabelle an, sondern ist auch für das gesamte Kalenderjahr der deutlich erfolgreichste Zweitligist. Unter dem 30 Jahre alten Chefcoach, der die Kiezkicker nach Ende der vergangenen Hinrunde übernahm, holten die Hamburger in 26 Ligaspielen beeindruckende 60 Punkte und damit 11 Zähler mehr als jeder andere Zweitligist in diesem Jahr. Zum Vergleich: Lokalrivale HSV kommt auf 49 Punkte, Fortuna Düsseldorf auf 47.

Die Tabelle der 2. Bundesliga

Mit dem Youngster an der Seitenlinie holte St. Pauli im Schnitt 2,3 Punkte pro Partie, Hürzeler hat damit den besten Punkteschnitt aller Cheftrainer der Kiezkicker in der 2. Bundesliga. Unter Vorgänger Timo Schultz gab es im Schnitt "nur" 1,4 Punkte pro Partie. Das spiegelt sich auch in anderen Zahlen wider: St. Pauli hat 2023/24 die wenigsten Gegentore kassiert (6), die wenigsten Torschüsse zugelassen (88) und in neun Saisonspielen in der 2. Bundesliga erst drei gegnerische Großchancen. Das Positionsspiel der "Boys in Brown" ist überragend, insgesamt setzte es nur in drei der 26 Spiele unter Fabian Hürzeler mehr als ein Gegentor (insgesamt 20) – zwölf Mal stand die Null. Es gibt aktuell kein anderes Team, das so viel Spaß am Verteidigen vermittelt.

"Wissen, dass die Saison ein Marathon und kein Sprint ist"

Und so viel Spaß am Angreifen, denn am anderen Ende des Spielfeldes sind die Hamburger ebenfalls ein echtes Spitzenteam. Die Hürzeler-Elf gab ligaweit die meisten Torschüsse ab (160), nur Hannover traf häufiger (20 Mal) als St. Pauli (18 Mal). Ging den Kiezkickern in den ersten Partien oftmals noch die Effizienz ab, änderte sich dies auf dem Weg an die Tabellenspitze kolossal: 16 der 18 Saisontore fielen an den vergangenen fünf Spieltagen, darunter einige wahrlich spektakuläre Treffer. Kaum verwunderlich, dass der FC St. Pauli in den 26 Partien unter Hürzeler erst zwei Niederlagen einstecken musste – jeweils in der Hansestadt. Am Millerntor kassierten die Kiezkicker am 28. Spieltag der Vorsaison eine 1:2-Niederlage gegen Eintracht Braunschweig, nur eine Woche später gab es ein 3:4 im Stadtderby beim HSV. 

Eintauchen in 60 Jahre Bundesliga

Außerhalb der Stadtgrenzen Hamburgs sind die "Boys in Brown" dagegen ungeschlagen mit ihrem jungen Coach. Beindruckende neun Siege in elf Spielen feierte St. Pauli fernab der Hansestadt. Auch deshalb gilt das Hürzeler-Team nach dem Saisonstart als der Aufstiegsfavorit, selbst wenn der Trainer die Euphorie einfangen will. Der Erfolg sei das Ergebnis harter Arbeit auf und neben dem Platz, betonte der gebürtige Texaner gegenüber der "Sport Bild", gibt sich aber gleichsam ehrgeizig: "Ich habe zwei Perspektiven. Die eine ist, dass St. Pauli für Bescheidenheit und Demut steht. Wir haben auch sportliche Ambitionen, ohne nun zu sagen: Wir müssen aufsteigen. Aber die Erwartungen sind aufgrund der Rückrunde in der vergangenen Saison gestiegen. Extern, auch intern. Doch wir wissen, dass eine Spielzeit ein Marathon-Lauf ist – kein Sprint."

Thomas Reinscheid