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"Zwölf Punkte sind eine Menge Holz"

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München - In der Champions League marschiert der FC Bayern - doch in der heimischen Bundesliga kommt der Rekordmeister einfach nicht in Schwung. Nach dem torlosen Remis beim HSV beträgt der Rückstand nun zwölf Punkte auf Spitzenreiter Mainz. Thomas Helmer, der lange Jahre beim FCB und Borussia Dortmund unter Vertrag stand und jetzt als Fußball-Experte beim TV-Sender Sport1 arbeitet, erklärt im exklusiven bundesliga.de-Interview, woran es bei den Bayern hapert.

bundesliga.de Herr Helmer, in der Bundesliga werden in der aktuellen Saison die Favoritenrollen auf den Kopf gestellt. Mainz und Dortmund sind an der Tabellenspitze, Hannover und Freiburg knapp dahinter, der große FC Bayern muss sich Mittelfeld herumschlagen und Stuttgart und Schalke 04 hängen im Tabellenkeller fest. Wie ist dieser irre Verlauf zu erklären?

Thomas Helmer: Das weiß keiner so genau. Die WM spielt jedenfalls keine große Rolle mehr - zumindest bei Schalke und Stuttgart nicht. Da liegt es eher daran, dass sie ihre Mannschaft umgekrempelt haben. Die neuen Spieler haben sich nicht so schnell integriert, was ich aber für einen normalen Vorgang halte. Das Problem ist, dass man in der Bundesliga nicht so viel Zeit dafür hat. Wobei es bei Schalke und Stuttgart ja komischerweise international gut läuft…

bundesliga.de: Nach dem 0:0 gegen den Hamburger SV beträgt der Rückstand des FC Bayern auf den Spitzenreiter satte zwölf Punkt. War's das schon mit dem Meistertitel?

Helmer: Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es in der Saison 1997/98 mit Kaiserslautern gelaufen ist. Damals hatte man nicht einmal nach dem 25. Spieltag mit ihnen gerechnet - und dann war's zu spät. Zwölf Punkte sind schon eine Menge Holz. Da muss man vier Mal gewinnen und die anderen müssen vier Mal verlieren, um sie zu überholen. Dass das eine Menge ist, weiß man sicherlich beim FC Bayern auch. Am 9. Spieltag ist zwar noch keine Entscheidung gefallen, aber die Bayern werden vermutlich nicht jedes Spiel gewinnen. Das rettende Ziel ist die Winterpause, dann wird man sehen, wie groß der Rückstand noch sein wird.

bundesliga.de Wie bewerten Sie das torlose Remis des FC Bayern in Hamburg - als Fortschritt oder Stillstand?

Helmer: Ich war am Freitag im Stadion und muss sagen, dass ich ein sehr schwaches Spiel gesehen habe. Wenn eine Mannschaft wie der HSV höhere Ansprüche hat, dann muss man die Bayern, die in dieser Konstellation nicht oft zusammenspielen, stärker unter Druck setzen. Die Bayern haben ganz ordentlich gestanden und nicht viel zugelassen. Auch beim Ballbesitz machen sie es, von außen betrachtet, gut. Das große Manko in dieser Saison ist, dass sie keine Tore machen. Denn sicherlich hätte man beim HSV an diesem Abend auch gewinnen können.

bundesliga.de Trotz des enormen Rückstands auf die Tabellenspitze gibt sich die Bayern-Führung noch recht gelassen. Ist das die richtige Strategie, oder sollte Uli Hoeneß mal einen "raushauen"?

Helmer: Ja, aber wenn sie jetzt einen "raushauen", dann treffen sie sich damit selbst. Man hatte ja vor der Saison gemeinsam mit dem Trainer beschlossen, keine Neuverpflichtungen zu tätigen. Und das rächt sich jetzt, das sieht man ganz deutlich. Von daher sitzen alle im gleichen Boot. Und wenn die Führungsebene Kritik übt, fällt diese auf einen selbst zurück.

bundesliga.de In der vergangenen Saison ging die Leistungskurve ab dem Spätherbst deutlich nach oben. Ist damit in diesem Jahr wieder zu rechnen?

Helmer: Grundsätzlich muss man sagen, dass man solch eine Saison, wie sie die Bayern im vergangenen Jahr gespielt haben, nicht mehrfach hintereinander spielt. Ich glaube, dass keiner der Spieler über eine so lange Distanz hinweg ein derart hohes Niveau halten kann. Das schafft man so schnell nicht wieder. Dazu kommt, womit sie natürlich nicht spekuliert haben - dass nämlich einige Stammspieler verletzt und andere nicht in Form sind. Und wenn einige schwerwiegende Ausfälle in der Offensive kompensiert werden müssen, dann wird's für jede Mannschaft schwer.

bundesliga.de Müsste der FC Bayern mit seinem Qualitätskader nicht dennoch in der Lage sein, zumindest den Rückstand in Grenzen zu halten?

Helmer: Natürlich, und das wissen die Münchner auch. In Hamburg kann man mit einem Unentschieden ja noch zufrieden sein. Aber in den Heimspielen haben sie schon so viele Punkte abgegeben, da haben sie es versäumt, den Anschluss zu halten. Und da hatten sie ja auch ihre Chancen, ohne sie zu nutzen. Das ist das große Manko.

bundesliga.de Glauben Sie, dass der FC Bayern jetzt die Kurve bekommt und noch vor der Winterpause den Rückstand auf die Spitze entscheidend verkürzt?

Helmer: Es wird sicherlich schwer, das kann man jetzt schon sagen. Es könnte helfen, wenn man in Cluj gewinnt, denn dann wäre man in der Champions League schon durch. Dann könnten sich die Bayern bis zur Winterpause voll auf die Bundesliga konzentrieren. Natürlich ist das Pokalspiel am Dienstag gegen Werder auch nicht unwichtig…

bundesliga.de Wer ist denn augenblicklich der größte Konkurrent im Titelkampf? Dortmund, Mainz - oder ein anderes Team?

Helmer: Dortmund spielt momentan den besten Fußball, das muss man einfach anerkennen. Die Borussia steht völlig zu Recht da oben. Die Frage ist natürlich, wie lange diese junge Mannschaft dieses Niveau halten und mit dem Druck umgehen kann. Das muss sie jetzt beweisen. Aber im Moment passt einfach alles, vom Trainer bis zu den Spielern.

bundesliga.de Eine noch größere Überraschung liefert bislang Mainz ab. Was sagen Sie zur Truppe von Trainer Tuchel?

Helmer: Die spielen ja nächste Woche gegeneinander, da kann man dann sehen, wer die bessere Mannschaft ist. Spaß beiseite, den Lauf der Mainzer kann man nicht hoch genug bewerten. Es ist einfach phänomenal, ganz ehrlich. Sie haben ja nicht gegen vermeintliche Mitkonkurrenten gewonnen, sondern unter anderen in München und Leverkusen drei Punkte geholt. Sie sind eine richtig gute Mannschaft.

bundesliga.de Richten wir noch einmal den Blick nach unten: Mit Schalke, Stuttgart, Köln und Gladbach stehen vier absolute Traditionsmannschaften im Tabellenkeller. Wem trauen Sie es am ehesten zu, da unten wieder rauszukommen?

Helmer: Um Schalke, Stuttgart und Wolfsburg mache ich mir weniger Gedanken. Ich mache mir vor allem um Köln und Gladbach große Sorgen. Die Vielzahl von Gegentoren, die die Borussia kassiert hat, ist einfach erschreckend. Und in Köln scheint mir ein bisschen die Qualität zu fehlen. Man darf dabei nicht vergessen, dass die vermeintlichen Mitkonkurrenten, also Hannover, Freiburg oder Nürnberg schon wesentlich mehr Punkte auf dem Konto haben. Das wird schwer, den Rückstand aufzuholen.

bundesliga.de: Am Samstag hat Claudio Pizarro seinen alten Kumpel Giovane Elber als besten ausländischen Torschützen in der Bundesligageschichte überholt. Wie lange trauen Sie ihm noch zu, Top-Leistungen auf diesem Niveau zu bringen?

Helmer: Ich traue ihm noch einiges zu. Ich mag ihn gerne, er ist ein guter Spieler und schießt regelmäßig seine Tore. Er soll mal noch ein bisschen weiterspielen...

Das Gespräch führte Johannes Fischer