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Stratege statt Talent

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München - Selten gerät ein Bundesligatrainer öffentlich ins Schwärmen, wenn er über einen seiner Spieler spricht. Das Lob könnte zu Kopf steigen, das süße Gift der Eitelkeit dem Charakter schaden. Gerade bei jungen Profis lassen die Fußballlehrer Vorsicht walten. Nun ist einerseits BVB-Trainer Jürgen Klopp kein Coach, der sich um die Konventionen des Geschäfts schert.

So verhehlt er seine Begeisterung nicht, wenn er über seinen defensiven Mittelfeldspieler Nuri Sahin spricht. Ein "geiler Kicker" sei Sahin, ein "Stratege", so Klopp im "ZDF-Sportstudio". Andererseits ist der mit Lob bedachte in diesem Fall ohnehin mit so vielen Superlativen aufgewachsen, dass durch ein weiteres Kompliment wenig Schaden droht.

Rekordmann Sahin

Der 22-jährige Deutsch-Türke hat in seiner kurzen Karriere bereits Rekorde gesammelt, wie andere Panini-Bilder: Jüngster Bundesligadebütant, jüngster Bundesligatorschütze, jüngster türkischer Nationalspieler und jüngster Torschütze der türkischen Nationalelf aller Zeiten darf sich der gebürtige Lüdenscheider nennen, dessen Weg zum Profifußball wie im Bilderbuch verlief.

Aufgewachsen im südwestfälischen Meinerzhagen begann seine fußballerische Sozialisation beim örtlichen RSV, 2001 folgte der Schritt in die Jugendabteilung von Borussia Dortmund, vier Jahre später rückte er von den B-Junioren direkt in den Profikader auf.

"Er ist zwar erst 16, aber er spielt schon so schlau wie ein 24-Jähriger", sagte der damalige BVB-Coach Bert van Marwijk über das Talent, das die "Schwarz-Gelben" zu diesem Zeitpunkt unter keinen Umständen noch von der Angel lassen wollten.

Wenger: "Weltweit das größte Talent unter 18 Jahren"

Denn Begehrlichkeiten hatte Sahin schon in ganz jungen Jahren geweckt. Bei der U-17-EM in Italien 2005 spielte sich Sahin als auffälligster Akteur in die Notizbücher der Talentscouts. Spitzenclubs aus ganz Europa standen Schlange und wedelten mit den Scheckbüchern. "Sahin ist weltweit das größte Talent unter 18 Jahren", adelte ihn damals Arsene Wenger, Teammanager des FC Arsenal.

Fast verwundert es, dass es in Sahins Karriere danach nicht konstant bergauf ging: Nach einer starken Debütsaison in Dortmund folgte in seinem zweiten Profijahr der Karriereknick, nur drei Spiele über die komplette Distanz bestritt er 2006/07. Im darauffolgenden Sommer verpflichtete der BVB mit Mladen Petric, Jakub Blaszczykowski und Giovanni Federico drei prominente Mittelfeldkonkurrenten. Thomas Doll hieß zu dieser Zeit der Trainer. Das Jahrhunderttalent Sahin musste sich plötzlich Sorgen machen, überhaupt Spielpraxis bei den Westfalen zu bekommen. "Ich war ausgelaugt, seelisch und körperlich einfach müde", sagt Sahin rückblickend.

Der Ausweg war ein Leihgeschäft: Für eine Saison schnürte Sahin seine Fußballschuhe für den niederländischen Topclub Feyenoord Rotterdam. Bert van Marwijk, der Sahin beim BVB zum Bundesligaspieler gemacht hatte, holte seinen "Rohdiamanten" ins Nachbarland. Und der heutige Bondscoach sollte es nicht bereuen. Der 1,79 Meter große Mittelfeldspieler entwickelte sich zum Leistungsträger, bestritt insgesamt 29 Ligaspiele für den "Club aan de Maas" und kehrte als Pokalsieger nach Dortmund zurück. Taktisch flexibler und defensiv stärker sei er in dieser Zeit geworden, sagt Sahin.

Inbegriff des modernen "Sechsers"

Nach einer von Verletzungen geprägten Hinserie setzte er sich schließlich in der Rückrunde 2008/09 endgültig bei der Borussia durch. Arrivierte Stars wie Tinga, Florian Kringe oder Kevin-Prince Boateng ließ das Talent hinter sich. Trainer Jürgen Klopp hatte das außergewöhnliche Potenzial des Jungspundes erkannt und setzte vorbehaltlos auf Sahin.

"Der Trainer hat sehr großen Anteil an meinem Aufschwung", so Sahins Einschätzung. In der vergangenen Saison avancierte er schließlich zum uneingeschränkten Leader im Mittelfeld. Er bestritt 33 Spiele von Beginn an, fehlte nur in einer Partie aufgrund einer Gelb-Sperre. Galt es, Verantwortung zu übernehmen, dann ging Sahin voran. So war der Deutsch-Türke beispielsweise Elfmeterschütze Nummer eins beim BVB. Vier Mal trat er vom Punkt an und verwandelte drei Mal. Mit sieben Torvorlagen war er neben Stürmer Mohamed Zidan zudem bester Vorlagengeber seiner Mannschaft.

Als "Sechser" vor der Abwehr, der Schlüsselposition im modernen Fußball, war er mit zarten 21 Jahren schon eine der prägenden Figuren in der Bundesliga, hatte ligaweit die viertmeisten Ballkontakte aller Profis. "Das soll jetzt nicht arrogant klingen", sagte Sahin im Juli der "Bild", "aber ich habe den Anspruch, bester Sechser der Liga zu werden."

"Ich bin kein Talent mehr"

Selbstbewusste Töne von einem Youngster, der dieses Etikett längst abgestreift hat. "Ich bin kein Talent mehr", betont Sahin. Bereits seine sechste Profisaison bestreitet er mittlerweile. In der jungen Truppe von Jürgen Klopp gehört er damit schon zu den Erfahrenen. Er ist ein Fixpunkt der Mannschaft, im defensiven Mittelfeld nicht mehr wegzudenken.

Sahin diktiert Rhythmus und Tempo, stopft in der defensive Lücken und öffnet in der Vorwärtsbewegung mit filigranen Pässen das Spiel. 89 Prozent seiner Zuspiele kamen in den ersten zwei Saisonpartien zum Mitspieler, über 54 Prozent seiner Zweikämpfe entschied er für sich. Seine Vielseitigkeit ist es, die ihn so unverzichtbar macht.

Fast ehrfurchtsvoll kommt da das Lob von Trainer Jürgen Klopp daher, der darin Wertschätzung und Erwartungshaltung zugleich verpackt: "Mir würde nur wenig einfallen", sagt der 43-Jährige über Sahin, "was er nicht kann".

Andreas Messmer