26.04. 18:30
27.04. 13:30
27.04. 13:30
27.04. 13:30
27.04. 13:30
27.04. 16:30
28.04. 13:30
28.04. 15:30
28.04. 17:30

"Ein Spiel wie ein Gemälde"

xwhatsappmailcopy-link

München/Bremen - Dieser Torreigen war eine Liebeserklärung an die Bundesliga: Am 6. Spieltag der Saison 2008/09 gewann Werder Bremen mit 5:4 gegen 1899 Hoffenheim. Arnd Zeigler ist TV- und Radio-Moderator von "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs", Autor, Kolumnist, Sänger - und Stadionsprecher in Bremen. Auf bundesliga.de erinnert er sich an 90 Minuten Dramatik.

"Es gab damals viele grundsätzliche Debatten über das Modell Hoffenheim, ob man das respektabel findet oder problematisch. Auf der einen Seite stand das Unbehagen über einen auf dem Reißbrett entstandenen Bundesligisten, auf der anderen Seite haben die aber einen so schönen Fußball gespielt, dass man die Mannschaft dann sportlich doch sehr schnell als Bereicherung empfunden hat. Ich dachte: Mensch, so einen Fußball habe ich von einem Aufsteiger schon lange nicht mehr gesehen! Die meisten Spieler habe ich während des Spiels das erste Mal in natura erlebt - ich war überrascht, wie gut die spielen und was die alles drauf haben.

1:0 Mesut Özil (8. Minute)

Nach dem Führungstor habe ich mir natürlich einen ruhigen Nachmittag erhofft. Aber ich habe andererseits schon so viele Spiele gesehen, in denen Werder sich im eigenen Stadion hat auskontern lassen, und in denen Ecken für Werder immer eine Riesen-Konterchance für den Gegner bedeuteten. Da konnte man gegen ein so offensivstarkes Team wie Hoffenheim nicht sicher sein, dass Bremen entspannt gewinnt. Und dann wurde es ein atemberaubendes Spektakel wie bei einem Playstation-Spiel, wo man nie weiß, was als nächstes passiert.

1:1 Demba Ba (15. Minute), 2:1 Claudio Pizarro (16. Minute), 3:1 Diego (21. Minute)

Vor dem 2:1 dachte ich, jetzt wird es richtig schwer. Normalerweise kennst du dieses Gefühl, wenn du gegen Bayern spielst: Der Gegner ist immer gefährlich, du hast 90 Minuten Angst vor den Angriffen. Die Hoffenheimer Stürmer waren so verflucht schnell, dass du dachtest, es gibt gegen die eigentlich keine Mittel. Deswegen habe ich es als großes Geschenk empfunden, dass Werder nach dem Ausgleich postwendend wieder in Führung gehen konnte.

4:1 Aaron Hunt (30. Minute)

Während der 90 Minuten hatte ich nie den Eindruck, dass ich jetzt mal durchatmen könnte. Ich bin zwar eigentlich in jedem Spiel in einer Art Tunnel - aber bei dieser Begegnung wurde man von einer Stresssituation in die nächste geschubst und saß da wie in einem Fieber. Und es gab ja auch schöne Tore zu sehen, das erste von Özil zum Beispiel war ein Traumtor. Dann ständig diese Konter und diese Freistöße auf der anderen Seite. Bei manchem Gegner gibt es im Publikum so ein Raunen oder eine beinahe angstvolle Stille, wenn der am Ball ist. Sobald Ba oder wer auch immer am Ball waren und mit Siebenmeilenstiefeln über die Mittellinie gerast sind, war sofort eine Art Panik da.

4:2 Sejad Salihovic (36. Minute)

Das Auffälligste bei diesem Spiel im Weserstadion waren vielleicht die Freistöße von Salihovic, die alle brandgefährlich wie Elfmeter aufs Tor kamen. Es war egal, wo und aus welcher Entfernung Hoffenheim einen Freistoß gekriegt hat, man hat gesehen: Bremen hätte am liebsten vier Spieler auf die Torlinie gestellt, weil die genau wussten, dass sie gegen diese Schüsse nichts machen können. Ich habe noch nie in meinem Leben so eine Furcht gehabt bei Freistößen. Salihovic hat dann ja auch getroffen an jenem Tag.

4:3 Vedad Ibisevic (Elfmeter, 61. Minute), rote Karte für Per Mertesacker (62. Minute), 4:4 Marvin Compper (71. Minute)

Die haben erst das 3:4 gemacht, im nächsten Angriff gab es den Platzverweis. In dem Moment, als Mertesacker vom Platz flog und die vorher schon um zwei Tore verkürzt hatten, habe ich gesagt: Okay, jetzt verlieren wir vermutlich noch 4:6. Mindestens.

5:4 Mesut Özil (81. Minute)
Ich habe selten ein Werder-Tor gesehen, das so aus dem Nichts kam. Werder war angezählt und stehend K. O. gegen einen Gegner, der um sein Leben gerannt ist und der es geschafft hat, selbst die gegnerischen Fans zu Applaus hinzureißen. Dieses Spiel trotzdem noch zu gewinnen - das war schon unfassbar. Ich habe selten ein Tor verkünden dürfen, bei dem ich mehr gejubelt als durchgesagt habe. Dass Özil vom linken Strafraumeck abzog und genau oben in den Winkel traf, war ein Paukenschlag gegen eine Mannschaft, die viel dichter am Sieg schien als Werder in dem Fall. Wie ein "Lucky Punch" beim Boxen, um bei diesem Bild zu bleiben. Eigentlich war schon alles gegen Bremen entschieden, und in dem Moment hat eine einzige Aktion das noch mal rausgerissen. Ich erinnere mich nicht bis ins letzte Detail, aber wie ich mich kenne, waren es danach bis zum Schlusspfiff neun Minuten Nägelkauen und Zittern.

Endstand 5:4 für Werder Bremen

Am Lebendigsten ist mir nach dem Abpfiff in Erinnerung geblieben, wie die Hoffenheimer Mannschaft gefeiert wurde. Als sie in den Spielertunnel gegangen ist, der mitten in der Fankurve der Bremer lag, hast du wirklich gemerkt, da ist wahnsinnig viel Respekt unterwegs, da ist aber auch wahnsinnig viel Erleichterung, dass die in unserem Stadion nichts geholt haben. Die Zuschauer haben sie mit Standing Ovations verabschiedet, und diese jungen, tollen Offensivspieler waren enttäuscht - aber sie haben sich mit erhobenem Daumen bei den Werder-Fans für den fairen Applaus bedankt.

Anders als das 5:2 von Werder in München am Spieltag zuvor, wo man einfach stolz auf die eigene Mannschaft war, und wo man gesehen hat, dass die eigene Mannschaft eine Galavorstellung abliefert bei den Bayern und eine der wirklich guten Mannschaften Europas auswärts deklassieren konnte, war es bei Hoffenheim das Gesamtkunstwerk des Spiels. Das würde ich mir auch noch mal komplett auf DVD angucken. Es war wie ein Spielfilm. 90 Minuten Dramatik. Über die Tore hinaus waren da 10 bis 15 Szenen, in denen man den Atem angehalten hat, dann noch ein Platzverweis und ein Elfmeter, gegen eine Mannschaft, die man vorher noch nie live gesehen hat, und die dann so ein Spiel hinlegt. Es war einfach, ja - ein Spiel wie ein Gemälde."

Protokoll: Peter Seiffert