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Edin Terzić nach dem 2:2 gegen Mainz und der verspielten Meisterschaft 2023
Edin Terzić nach dem 2:2 gegen Mainz und der verspielten Meisterschaft 2023 - © Lukas Schulze/Bundesliga
Edin Terzić nach dem 2:2 gegen Mainz und der verspielten Meisterschaft 2023 - © Lukas Schulze/Bundesliga
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Edin Terzić: Von der Südtribüne an die Seitenlinie von Borussia Dortmund

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Den eigenen Lieblingsverein trainieren und dabei auch noch erfolgreich sein und Titel holen: Was die meisten Fans nur an der Konsole und in der virtuellen Welt schaffen, das hat Edin Terzić im echten Leben mit Borussia Dortmund gemacht. Nun trennen sich die Wege vom BVB und dem charismatischen Trainer.

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Am 12. Mai 2012 lieferte Borussia Dortmund eines der wohl besten Spiele in seiner großen Vereinsgeschichte: Beim furiosen wie dominanten 5:2-Sieg im DFB-Pokalfinale von Berlin wurde dem Rekordmeister FC Bayern München nicht der Hauch einer Chance gelassen. Unter der Anleitung von Kulttrainer Jürgen Klopp gelang so das erste Double der Borussia. Ein Jahr und 13 Tage später stand das nächste große Endspiel für die Schwarzgelben an: das Champions-League-Finale im legendären Londoner Wembley-Stadion. Nach einem regelrechten Schwergewichtskampf mit dem FCB ging in dieser Partie jedoch München als 2:1-Sieger hervor.

Bei den beiden oben beschriebenen Endspielen als Fan mit schwarzgelbem Schal um den Hals in der Fankurve des BVB: Edin Terzić. Ein gewöhnlicher, reiner Anhänger der Borussia war der studierte Sportwissenschaftler damals schon nicht mehr – war Terzić doch bereits seit 2010 in verschiedenen Funktionen beim BVB angestellt: als Co-Trainer der U19, der zweiten Mannschaft und auch der U17. Zusammen mit einem Kommilitonen von der Ruhr-Universität Bochum, Hannes Wolf, dem jetzigen U20-Nationaltrainer Deutschlands und Sportdirektor für Nachwuchs und Entwicklung beim DFB, begann der Deutsch-Kroate seine Trainerlaufbahn beim BVB. Zudem arbeitete er dem damaligen Kaderplaner Sven Mislintat als Scout zu.

Terzić, der akribische Analytiker

Terzić, der in der Ober- und Regionalliga für Vereine wie Westfalia Herne, die SG Wattenscheid 09 oder auch den BV Cloppenburg stürmte, stand insgesamt neun Jahre in Dortmund unter Vertrag. Zwischen 2013 und 2017 ging er unter Slaven Bilić als Co-Trainer in die Lehre, schaute sich in dieser Rolle bei Beşiktaş Istanbul und West Ham United ab, wie der erfahrene kroatische Bilić, der in der Bundesliga für den Karlsruher SC und in der Premier League kickte und sechs Jahre kroatischer Nationaltrainer war, mit gestandenen Profis so umging.

Bilić hatte Terzić erstmal als Analytiker eingeplant. "Aber nach ein paar Tagen fühlte es sich so an, als ob er schon immer zu unserem Trainerteam gehört hätte", sagte Bilić über seinen ehemaligen Assistenten dem Magazin 11 Freunde. Dass sein Co überaus akribisch arbeitet, machte Bilić mit folgender Anekdote klar: Ein Trainer, der den Kroaten besuchte, berichtete ihm davon, dass die SSC Neapel über 40 Einwurf-Varianten unter Coach Maurizio Sarri drauf habe. "Wir staunten, aber nachdem ich mittags nach Hause gegangen war, hatte ich das im Grunde auch fast schon wieder vergessen", sagte Bilić.

Terzić hingegen überprüfte die Aussagen des Trainingsgastes, meldete sich noch spätabends bei seinem Chef: Er hatte sich alle Einwürfe des italienischen Spitzenteams angesehen – die Geschichte von derart vielen Varianten sei eine Mär. "Ich fand das großartig, denn es zeigt, wie sehr er Fußball liebt", lobte Bilić den aufstrebenden Co-Trainer. Nach dem Abenteuer in Istanbul ging es zwei Jahre in die Premier League, wo Terzić noch mehr lernen konnte: "Es heißt ja immer, dass die Trainer in England nach dem Spiel zusammen ein Glas Wein trinken, aber das ist eher ein Abendessen, an dem auch die Assistenten teilnehmen. Und diese Treffen habe ich genutzt, mir ganz viele Notizen zu machen", erzählte Terzić, der dabei auf Fußball-Granden wie José Mourinho, Arsène Wenger und Pep Guardiola traf.

Studierten zusammen, sind Freunde und wurden beide Trainer: Hannes Wolf und Edin Terzić - imago images/Moritz Mueller

Pokalsieger 2021 und das dramatische Rennen um die Meisterschaft 2023

Nach den zwei Saisons bei West Ham kam der nun mit reichlich Profi-Erfahrung gesegnete Terzić zurück zum BVB und wurde Assistent von Lucien Favre. Als es unter dem Schweizer Ende 2020 nicht mehr ganz so rund lief bei der Borussia, übernahm Terzić als Interimstrainer. Mit ihm an der Seitenlinie gelang die Aufholjagd von Platz fünf hoch auf Rang drei und somit der Einzug in die Champions League. Als Sahnehäubchen obendrauf gab es den Erfolg im DFB-Pokal im Mai 2021, als Terzić den Matchplan von Gegenüber Julian Nagelsmann komplett entzauberte und Dortmund Leipzig mit 4:1 aus dem Stadion schoss. Ein ähnlich dominanter wie effizienter Auftritt wie einst im Pokalfinale 2012 – nun aber mit Terzić als Taktgeber am Seitenrand und nicht als Fan in der Kurve.

Danach trat der erfolgreiche Interimscoach wieder ein wenig in den Hintergrund, arbeitete eine Saison als Technischer Direktor der Dortmunder. Doch ab Sommer 2022 war das "Kind einer Gastarbeiterfamilie", wie Terzić sich selbst nennt, Cheftrainer bei "seiner" Borussia. Das erste halbe Jahr lief ein wenig schleppend, nach 15 Spieltagen war der BVB mit 25 Punkten Sechster – neun Punkte hinter Tabellenführer Bayern. Nach sechs Siegen in Serie war man am 21. Spieltag plötzlich punktgleich mit dem FCB und mitten im Rennen um die Meisterschaft!

Am 25. Spieltag übernahm Dortmund 2022/23 erstmals die Tabellenführung, gab sie am 26. Spieltag direkt nach einem 2:4 im Klassiker wieder her, blieb aber an München dran und holte sich den ersten Platz am 29. Spieltag zurück. Eine Woche später: Erneut war die Tabellenspitze nach einem 1:1 in Bochum weg und Bayern obenauf! Der BVB legte sich in Spielen wie beim VfL oder in Stuttgart (3:3) selbst Steine in den Weg. Zur großen Überraschung aller Fans ließ Bayern am 33. Spieltag aber nochmals federn, verlor 1:3 gegen Leipzig. Weil der BVB nach dem unnötigen Unentschieden in Bochum drei Mal souverän siegte, waren Terzić und seine Mannen wieder an der Spitze, zwei Punkte vor München – das musste doch die neunte Meisterschaft, die erste seit 2012 werden! Es folgte ein Heim-2:2 gegen Mainz, Bayern krönte sich zum punktgleichen Meister: Terzić brach vor der Dortmunder Südtribüne in Tränen aus und fasste sich ergriffen ans Herz – ein brutales Bild Bundesliga-Geschichte.

Der junge Edin Terzić und sein ehemaliger Chef Slaven Bilić - Kieran Galvin/Shutterstock via www.imago-images.de

Terzić und der BVB verpassen die nächste Krönung

"Das heute gehört zu unserem Weg. Egal wie groß der Schmerz heute ist: Es wird die Motivation für morgen sein", sagte der eloquente und tieftraurige Trainer Terzić auf der Pressekonferenz nach der so knapp verspielten Meisterschaft und kämpfte während er diese Sätze sprach gegen erneute Tränen an. "Dieser Weg, den wir in dieser Saison eingeschlagen haben, wird eines Tages belohnt", war sich Terzić sicher.

In Terzićs zweiter ganzen Saison als Coach der Schwarzgelben war der Trainer mit seinem Team dann wirklich ganz nah an der größtmöglichen Belohnung im Club-Fußball dran: Nach 2013 schaffte es der BVB wieder ins Champions-League-Finale, wieder ging es nach Wembley. Das sagenumwobene Stadion, in dem Terzić bei der knappen Niederlage gegen die Bayern auf den Rängen mitgefiebert hatte. Paris Saint-Germain, Atlético Madrid, die PSV Eindhoven, die AC Miland und Newcastle United konnte die Borussia in der vergangenen Saison auf internationalem Terrain bezwingen.

Trotz zahlreicher guter Torchancen war gegen das effiziente Titelmonster Real Madrid nicht der große Wurf drin – ein Jahr nach dem 2:2 setzte es mit dem 0:2 gegen die "Königlichen" um Toni Kroos den nächsten Dämpfer, wieder ganz kurz vorm Ziel. Mit der Einstellung seiner Spieler und deren Vorstellung auf dem Rasen in den ersten 45 Minuten bewies der Trainer aber, dass er auf höchstem Niveau Matchpläne schmieden kann. Nach der Partie schritt die Trainer-Legende José Mourinho zu Terzić, nahm ihn in den Arm und tröstete ihn: Der Portugiese kennt den Deutsch-Kroaten noch von dessen Zeit als Co-Trainer von West Ham. Wieder ein ikonisches Bild von Dortmunds Trainer, das um die Welt ging.

Edin Terzić bejubelt den DFB-Pokalsieg 2021 - TimGroothuis via TEAM2sportphoto

"Ich war in der Lage meinen Traum zu leben"

Es war das vorerst letzte Spiel von Edin Terzić als Trainer von Borussia Dortmund, der Coach gab nun bekannt, dass er seinen Vertrag mit dem BVB aufgelöst hat. "Ich war mit Unterbrechung neun Jahre in der Lage meinen Traum zu leben", sagt der rhetorisch starke Fußballlehrer in seinem Abschiedsvideo, das Dortmund zwölf Tage nach dem verlorenen Endspiel von Wembley auf seinen Social-Media-Kanälen veröffentlicht hat.

Die Augen von Terzić sind feucht beim Sprechen, er ringt sichtlich mit seinen Emotionen. "Es war eine unglaubliche Reise, ich möchte jedem danken, der mir dies ermöglicht hat." In Gesprächen mit der sportlichen Führung über die Neu-Ausrichtung des Clubs rund um Geschäftsführer Sport Lars Ricken und in der Mannschaft bekam Terzić laut eigener Aussage das "Grundgefühl, dass es an der Zeit ist, dass ein neuer Mann das an der Seitenlinie begleitet." 

Terzić ist immer authentisch geblieben und zeigt auch jetzt, was ihn ausmacht: Größe. Er nimmt sich nicht zu wichtig, es geht ihm nicht um persönliche Interessen. Auch nach dem Pokalsieg 2021 hatte er kein Problem damit, wieder in die zweite Reihe und weg von der Trainerbank zu treten. Er wünscht dem BVB, "seinem" Verein, nur das Allerbeste, "und, dass es bald wieder Richtung Borsigplatz geht. Ich war und bin und bleibe einer von euch!" 

José Mourinho tröstet Edin Terzić nach dem verlorenen Champions-League-Finale - IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON

Eine Rückkehr nach Dortmund ist nicht auszuschließen

Terzić hat in seiner Zeit als Interims- und Cheftrainer regelmäßig immer wieder genau den richtigen Ton und damit auch oft genug die Nerven der Dortmund-Fans getroffen. Im Trainingsbetrieb und auf dem Rasen hat er sich auf höchstem Niveau bewiesen: Riesentalente wie Erling Haaland, Jadon Sancho und auch Jude Bellingham wurden unter Terzić noch besser.

In den Rückrunden 2021 und 2023 zeigte Dortmund ein aggressives Pressing, mit schnellem und geradlinigem Umschalten. Eine Spielweise, die verzückte und auch beim sensationellen Run ins Finale der Champions League gegen auf dem Papier überlegene Gegner zu Erfolg führte. Doch Terzić und seinen Mannschaften gelang es nicht, sich für den teilweise furiosen Fußball zu belohnen. In einigen Spielen beziehungsweise Phasen bestimmter Partien fehlte Dortmund ebendiese Leichtigkeit, diese Kreativität, dieses Tempo und die Zielstrebigkeit sowie Effizienz. Fußballerische Magerkost wurde dann geboten. Konstanz in den dargebrachten Leistungen, die der in Menden im Sauerland geborene Trainer oft mit dem Wort "Glauben" umschrieb, fehlte dem BVB in den Jahren unter Terzić.

"Unsere Erfolge der vergangenen Jahre werden immer mit ihm verbunden bleiben – und ich bin mir sicher, dass wir uns wiedersehen werden. Edin wird seinen Weg gehen", verabschiedete sich Sportdirektor in der Pressemitteilung des BVB von seinem Trainer. Wohin es Terzić ziehen wird, ist heute noch nicht klar. Vielleicht verschlägt es ihn eines Tages in die Premier League. Wenn es dann wieder nach den Matches ein gemeinsames Abendessen mit den Trainerteams gibt, sollten die Beteiligten Block und Stift zücken: Nun zählt Terzić auch zu den Großen am Tisch, über deren Erfahrungen man sich Notizen machen sollte.

Patrick Dirrigl

"Einer von uns!": Edin Terzić verabschiedet sich von der Südtribüne - Christian Kaspar-Bartke/Bundesliga