Klaas-Jan Huntelaar (r.) erzielte gegen Real den schönsten Treffer des Tages - das einzige Highlight aus Schalker Sicht
Klaas-Jan Huntelaar (r.) erzielte gegen Real den schönsten Treffer des Tages - das einzige Highlight aus Schalker Sicht

Zwischen Lehrstunde und Lederhose

xwhatsappmailcopy-link

Gelsenkirchen - 79 Minuten waren gespielt auf Schalke, mit 0:5 lag eine hoffnungslos überforderte Heimmannschaft gegen Real Madrid (Spielbericht) zurück, als die Anhänger der Königsblauen eine kleine Kostprobe ihres Humors gaben. "Zieht den Bayern die Lederhosen aus..." klang es für einen kurzen Moment lautstark durch die Arena. Den Spielern scheint die Aussicht auf den nächsten Vergleich mit einem Top-Team schon am Wochenende (Samstag, ab 18 Uhr im Live-Ticker) indes Sorgen zu machen.

Boateng: "Real hat uns die Grenzen aufgezeigt"

Als Gareth Bale in der 69. Minute den Ball zum fünften Mal im Schalker Netz versenkt hatte, hatte nicht nur der Stadionsprecher resigniert. "Langsam wird es unschön", stöhnte Dirk Oberschulte-Beckmann ins Mikrofon angesichts der fast spielerischen Leichtigkeit, mit der die Madrilen immer wieder vor dem Schalker Tor auftauchten und mit ihren Möglichkeiten sogar noch großzügig umgingen. Am Ende waren die Knappen mit der 1:6-Niederlage - der höchsten Europapokal-Pleite der Vereinsgeschichte - noch gut bedient. "Real hatte auf jeden Fall in der zweiten Halbzeit noch zahlreiche Chancen, die sie hätten nutzen können", musste auch Benedikt Höwedes (Interview) eingestehen.

Die Vorfreude auf diesen Vergleich in der Champions League war auf Schalke vor der Partie mindestens so groß wie das Vertrauen, eine gute Figur abzugeben. Umso größer fällt die Ernüchterung nun nach dieser Lehrstunde aus, die Real mit seinen Stars, aber auch im Kollektiv kostenlos erteilt hat. "Am Ende muss man von einem Klassenunterschied sprechen", redete Julian Draxler Klartext und auch Kevin-Prince Boateng blieb nur die Erkenntnis, dass "uns Real ganz klar die Grenzen aufgezeigt hat". 

Lediglich in der Anfangsphase war Schalke präsent, aber zwölf gute Minuten reichen gegen eine Mannschaft wie Real Madrid eben nicht. "Wir hatten uns von diesem Gegner etwas mehr erwartet", gab Cristiano Ronaldo später zu Protokoll. Und das meinte der Weltfußballer noch nicht einmal überheblich.

Mit deutlichen Pass-Problemen und individuellen Fehlern im Spielaufbau hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Dazu verpasste Schalke, wie bei Draxlers Schuss aus drei Metern in der 14. Minute, seine Chancen. "Und wenn du die gegen eine Mannschaft wie Real nicht machst, dann nutzen sie deine Fehler eiskalt aus", stellte Boateng in einer Mischung aus Resignation und Anerkennung fest.

Schalke ergibt sich seinem Schicksal

Nach 21 Minuten und zwei Toren von Benzema und Bale war die Partie quasi entscheiden, doch die Schalker Probleme fingen erst an. Jens Keller wird mit Schrecken gesehen haben, dass seine Mannschaft regelrecht auseinander fiel. Die weiteren Gegentreffer sind nicht allein der Abwehr anzulasten. Schalke verteidigte im Kollektiv erschreckend schlecht gegen den Ball und ergab sich seinem Schicksal. "Da muss man irgendwann dann auch mal das Ergebnis im Rahmen halten und nicht noch das fünfte und sechste Tor kassieren", war auch Horst Heldt bedient.

Wie der Sportvorstand erlaubte sich auch Boateng den entschuldigenden Hinweis auf die Unerfahrenheit der Schalker Mannschaft: "Wir haben so viele junge Spieler, die noch nie ein solches Spiel in der Champions League auf diesem Niveau bestritten haben. Da kann man der Mannschaft keinen Vorwurf machen." Lässt man Youngster wie Meyer, Kolasinac oder Goretzka außen vor, bleibt aber immer noch die Frage nach der Rolle der etablierten Kicker. Wo waren Farfan, Draxler, Huntelaar oder auch Boateng selbst?

Zumindest in diesem Spiel offenbarte Schalke auch ein Manko an Führungsspielern. Die Flügelspieler begleiteten Madrids Offensivzauber mit gebührendem Abstand. Boateng nahm ein Zwicken im Oberschenkel fast schon dankbar an und ließ sich auswechseln. Und der "Hunter" erzielte zwar in der Nachspielzeit noch volley in den Winkel das wohl schönste Tor des Tages - das war es aber auch (Bilder).

Heldt: "Brauchen in München andere Einstellung"

Jens Keller ging mit seiner Mannschaft trotzdem öffentlich nicht allzu hart ins Gericht, sondern verwies vor allem auf die Klasse von Real Madrid - "der zweitbesten Mannschaft der Welt, nach dem FC Bayern". Dumm nur, dass ausgerechnet jene Bayern nun in der Bundesliga am Samstag auf den FC Schalke 04 warten. Seit 46 Partien ist der Triple-Sieger in der Liga ungeschlagen und nach dem Desaster gegen Madrid schwant Trainer, Spielern und Verantwortlichen mit Blick auf die Partie am Samstag ganz offenbar nur wenig Gutes - zumal auch das Hinspiel schon 0:4 verloren ging. (Verletzungssorgen auf Schalke)

Jedenfalls schwang trotz aller Schalker Erfolge in den letzten Wochen jetzt auch eine Menge Sorge mit, als Benedikt Höwedes über die Marschroute gegen den Meister sprach. "Vielleicht sollten wir nicht so mutig beginnen wie gegen Real", empfahl der Kapitän. "Wir sollten erst einmal versuchen, im Kollektiv wenige Tormöglichkeiten für die Bayern zuzulassen und lange die Null zu halten". Und auch für Jens Keller steht wohl eher die Schadensbegrenzung im Mittelpunkt: "Wir sollten nicht um jeden Preis nach vorne spielen. Wir müssen erst einmal hinten unsere Zweikämpfe gewinnen."

Kompakter stehen, den Bayern deutlich weniger Räume lassen als Real und dann auf einen "lucky punch" per Konter hoffen, wie es Höwedes tut - das allein wäre allerdings zumindest Horst Heldt zu wenig. Er appelliert auch an den Charakter der Mannschaft: "Was wir in München vor allem brauchen, ist eine andere Einstellung."

Aus Gelsenkirchen berichtet Dietmar Nolte