Wie war das mit dem Tor? Seminarleiter Broer-Jürgen Trede versucht mit den Reportern eine Spielsituation nachzuzeichnen
Wie war das mit dem Tor? Seminarleiter Broer-Jürgen Trede versucht mit den Reportern eine Spielsituation nachzuzeichnen

Wo ist eigentlich Robben?

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Köln - "Der muss näher am Tor stehen." "Quatsch, Robben kommt immer von rechts, der steht irgendwo da vorne." Broder-Jürgen Trede steht mit einem grünen Filzstift an einem Flipchart mit eingezeichnetem Fußballfeld. Er sieht in diesem Moment sehr zufrieden aus. Der Sportjournalist ist Seminarleiter der zweitägigen Schulung für die Sehbehindertenreporter in deutschen Stadien.

Sehr gute Qualität in deutschen Stadien

Sehbehindertenreporter? Was vielen Fußballfans sicher nicht bewusst ist, ist, dass an jedem Wochenende auch Menschen mit Sehbehinderung in den Stadien der Bundesliga zu Gast sind. Diese können das Geschehen auf dem Platz nicht mit eigenen Augen verfolgen. Hier kommen Trede und seine Kollegen ins Spiel. Sie schildern das Spielgeschehen möglichst detailgetreu für blinde und sehbehinderte Fußballanhänger. Über Kopfhörer bekommen die Sehbehinderten die Reportage im Stadion übertragen und können sich so auch ohne ausreichende Sehkraft ein Bild vom Spiel machen.



Wie gut dieses Bild ist, hängt von der Qualität der Reportage ab. Womit wir wieder bei Arjen Robben wären. Die Seminarteilnehmer hören die Schilderungen der Sehbehindertenreporter des FC Bayern München vom Supercupfinale 2012. Gerade hat Thomas Müller das 2:0 erzielt. Die Aufgabe klingt einfach: Den Angriffszug der Bayern auf dem Papier nachzeichnen. Die Durchführung gestaltet sich komplizierter. Jeder hat das Tor etwas anders gehört. Gerade beim Laufweg von Robben scheiden sich die Geister. Das Beispiel ist gut gewählt, weil einige wichtige Informationen fehlen. "Die Übung ist hervorragend, weil sie auch Reportern, die schon lange dabei sind, noch einmal vor Augen führt, was der eigentliche Kern unserer Aufgabe ist. Kann ich mir kein exaktes Bild machen, fehlen mir wichtige Angaben", erklärt Broder-Jürgen Trede. "Insgesamt ist die Qualität der Reportagen in Deutschland aber sehr gut."

Das bestätigt auch Regina Hillmann. Sie ist eine sehr regelmäßige Stadionbesucherin - und sehbehindert. Hillmann ist die 1. Vorsitzende des "Fanclub Sehhunde", der sich seit 1991 für die Belange von blinden und sehbehinderten Fußballfans einsetzt. Die Sehhunde haben großen Anteil daran, dass es mittlerweile in 17 von 18 Bundesliga-Stadien Hörplatzreportagen gibt. Nur beim SC Freiburg bleiben die Kopfhörer derzeit noch stumm. Auch viele Vereine der 2. und sogar der 3. Liga bieten diesen Service an. Bei allen fünf bisherigen Reporterschulungen waren die Sehhunde vor Ort. Das erste Treffen in Köln hat der Sehbehinderten-Fanclub selber organisiert. Mittlerweile hat die Deutsche Fußball Liga die Federführung übernommen.

Erste Reportage 1999 in Leverkusen



Die DFL organisiert und finanziert die jährlichen Treffen in der Sportschule Kamen-Kaiserau in Absprache mit den Sehhunden. Thomas Schneider, Leiter Fanangelegenheiten der DFL, ist als Organisator vor Ort. Auch er war bei den letzten Schulungen dabei und ist immer wieder über das hohe Niveau erfreut. "Deshalb müsste es diesen Service eigentlich in jedem Stadion geben", findet Schneider. Er hätte sich auch eine höhere Beteiligung gewünscht. 35 Teilnehmer aus 15 Klubs der 1. und 2. Bundesliga sowie der 3. Liga sei zwar O.K., aber eigentlich müssten alle mit dabei sein. Denn man lernt nie aus.

Bester Beweis dafür ist Hicham Boutouil von Bayer Leverkusen. Er ist gemeinsam mit seinem Leverkusener Kollegen Burak Yilderim der dienstälteste Sehbehindertenreporter Deutschlands. 1999 schilderte er zum ersten Mal ein Bundesliga-Spiel für Blinde und Sehbehinderte. "Was sich seitdem entwickelt hat, ist unglaublich. Wir haben vor 13 Jahren in Leverkusen begonnen und mittlerweile gibt es die Reportagen in fast jedem Stadion. Die Strukturen sind viel professioneller geworden", berichtet Boutouil. Wie jedes Mal hat er wieder etwas für sich mitnehmen können - auch als alter Hase.

Starker Vorttrag vom ehemaligen Schiedsrichter Rainer Werthmann



Neben Regina Hillmann ist mit Maren Grübnau eine weitere Sehbehinderte in Kamen dabei. Als Fan von Werder Bremen hat sie viele Reportagen im Weserstadion erlebt. Mittlerweile studiert die junge Frau in Dortmund und arbeitet bei Schalke 04. Bei Königsblau gibt sie den Reportern nach dem Spieltag direktes Feedback. Sie erklärt, was aus ihrer Sicht gut war und was noch verbessert werden kann. "Durch die gemeinsame Arbeit hier in Kamen habe ich ein besseres Verständnis für die Reporter entwickelt. Dadurch kann ich meine Einschätzungen der Reportagen optimieren", ist sich Grübnau sicher.

Aber nicht nur Methodiktraining stand für die Teilnehmer aus ganz Deutschland auf dem Programm. Der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter Rainer Werthmann eröffnete mit seinem Vortrag "Hey, Schiri!" die Schulung. Werthmann, der heute als Schiedsrichterbeobachter und Coach in Deutschland unterwegs ist, begeisterte alle Anwesenden mit einem lockeren und kompetenten Auftritt. Bereitwillig beantwortete er die auf ihn einprasselnden Fragen. Er warb für mehr Verständnis für den Schiedsrichter und erreichte sein Anliegen auf sehr unterhaltsame Art und Weise. Als die Teilnehmer Spielszenen in Sekundenbruchteilen beurteilen sollten, gingen die Meinungen weit auseinander. So klar sind die meisten Entscheidungen in Echtzeit eben doch nicht.

Erste Gehversuche im Blindenfußball



Abends stand für die Reporter dann noch ein kleines Abenteuer auf dem Programm. In 90 Minuten lernten sie von Wolf Schmidt, Sehbehindertenreporter des FC St. Pauli und gleichzeitig Trainer der Blindenfußballmannschaft des Kiezklubs, die Grundlagen des Blindenfußballs. Das anschließende Spiel endete zwar 0:0, da niemand das Tor traf, aber der Spaß stand im Vordergrund. Und die Erfahrung, wie es ist, sich ohne Hilfe der Augen zu bewegen und orientieren. Das stellte sich als äußerst schwierig heraus. Gleichzeitig schilderte immer ein Reporter das Spielgeschehen für das Publikum. Die genaue Beschreibung war bei dem Spiel deutlich einfacher als in der Bundesliga. So schnell wie Arjen Robben bewegte sich keiner der Akteure.

Florian Reinecke