Eine Woche vor dem Champions-League-Finale sind BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (l.) und Sportdirektor Michael Zorc völlig gelassen
Eine Woche vor dem Champions-League-Finale sind BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke (l.) und Sportdirektor Michael Zorc völlig gelassen

"Wir haben überhaupt nichts zu verlieren"

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Dortmund - Von der Fast-Insolvenz auf Europas Fußballthron? Der BVB kann am 25. Mai in Wembley den Traum wahr machen. Vor dem Finale in der Champions League gegen die Bayern erinnerten BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc beim Medientag des Vereins noch einmal an die bewegte Geschichte der letzten acht Jahre. Zudem sprachen sie über die Auswirkungen der erfolgreichen Saison und die Zukunftsperspektiven von Borussia Dortmund.

Frage: Mit welchem Gefühl geht der BVB in dieses Finale? Wie groß ist der Druck?

Hans-Joachim Watzke: Die Überschrift könnte für den BVB 'Von Ground Zero nach Wembley' lauten. Wenn man mitbekommen hat, was wir in den letzten acht Jahren hier erlebt haben, dann bekommt man ein Gefühl dafür, was wir vor diesem Finale empfinden. Damals hatten wir Druck, als hier die Gläubiger gesessen haben. Das war richtiger Druck! Jetzt empfinden wir totale Lust auf dieses Finale und unheimliche Freude. Wir haben überhaupt nichts zu verlieren.

Michael Zorc: Wir wollen den Spielern vermitteln, welche unermessliche Freude es ist, in so einem Finale dabei zu sein. Die Mannschaft hat sich das mit einer grandiosen Leistung in dieser Saison verdient. Es ist einfach eine riesige Freude, dort zu spielen. Aber natürlich wollen wir das Spiel auch gewinnen.

Frage: War es vor acht Jahren wirtschaftlich wirklich so eng für den BVB?

Watzke: Enger geht es nicht! Wir haben hier an einem Freitagabend mit 70, 80 Gläubigern gesessen. Ohne deren Zustimmung zu unseren Plänen und ohne deren Unterschrift hätten wir Insolvenz anmelden müssen.

Zorc: Ich habe den positiven Ausgang der Gespräche dann noch am späten Abend der Mannschaft mitgeteilt, die sich auf das Spiel bei den Bayern vorbereitet hat. Die Erleichterung war so groß, dass prompt jegliche Spannung weg war. Wir haben in München mit 0:5 verloren.

Frage: In den Umfragen vor dem Finale gilt der BVB zumeist als der Verein, dem der Großteil der Sympathien gehört.

Watzke: Wir freuen uns über diese Umfragen, aber sie überraschen uns auch nicht. Die Geschichte des BVB seit gut acht Jahren ist der Grund dafür. Wir haben sportlichen Erfolg erzielt, indem wir immer viel aus unseren Mitteln gemacht haben. Das honorieren die Leute. Wir sind in der öffentlichen Wahrnehmung zwar der Außenseiter, aber wir haben eine sympathische Truppe.

Frage: 1997 galt der BVB im Finale gegen Juventus Turin auch als Außenseiter und hat dann den Pokal gewonnen - mit Ihnen als Kapitän, Herr Zorc.

Zorc: Das war ein wunderbares Erlebnis. Wir hatten zwar eine erfahrene Mannschaft, aber international waren wir der Außenseiter. Juventus war in Italien gerade Meister geworden mit Spielern wie Zidane, Vieri und Deschamps. Und sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie das Spiel gegen uns verlieren würden. Jetzt sind wir wieder nicht der Favorit, aber wir können sehr zuversichtlich sein. Diese Mannschaft steht aber anders als 1997 noch eher am Anfang einer Entwicklung. Wir haben noch einen Weg zu gehen - unabhängig vom Finalausgang.

Frage: Ist das ein Weg, den Sie trotz aller Abwerbeversuche weiter mit Jürgen Klopp gehen werden?

Zorc: Es ist sicher, dass Jürgen bei uns Trainer bleibt in den nächsten Jahren. Die Art und Weise, wie wir Fußball spielen, wird von ihm geprägt. Er ist der Frontmann dieser Mannschaft, die mit ihrem frischen Fußball Freude vermittelt und aggressiv auftritt im positiven Sinne. Wir gewinnen lieber 3:2 als 1:0. Wir haben unser Spiel aber auch weiterentwickelt und perfektioniert. Und die Qualität im Kader ist gestiegen. Wir sind jetzt auf dem höchsten Level angekommen.

Watzke: Für den BVB ist Jürgen Klopp der bestmögliche Trainer auf der Welt.

Frage: Glauben Sie, auch den Großteil des Kaders halten zu können oder fürchten Sie den Abgang weiterer Leistungsträger wie den von Mario Götze?

Zorc: Natürlich hat die Art unseres Fußballs ganz Europa aufmerksam gemacht auf unsere Spieler. Wir haben auch in den letzten Jahren immer einen Topspieler abgegeben, aber wir konnten es auch immer kompensieren. Ich denke, dass können wir auch in der Zukunft. Es ist doch eher Freude als Belastung, dass wir durch unseren Fußball so eine Aufmerksamkeit erregen.

Frage: Ausstiegsklauseln wie bei Mario Götze soll es künftig nicht mehr geben?

Zorc: Wir haben den Götze-Transfer nicht gewollt, aber wir müssen ihn akzeptieren. Aber der BVB hat mittlerweile ein Stadium erreicht, wo wir von unseren Spielern erwarten dürfen, dass sie sich zu 100 Prozent zum Verein bekennen. Unser klares Ziel ist es, dass es Ausstiegsklauseln in Zukunft nicht mehr geben wird. Auch auf die Gefahr hin, dass Transfers nicht zu realisieren oder Spieler nicht zu halten sind.

Frage: Bedeutet das Erreichen des Endspiels auch wirtschaftlich einen Quantensprung für den BVB?

Watzke: Die Champions League ist das Größte, was im Vereinsfußball ausgespielt wird. In der internationalen Wahrnehmung ist der BVB enorm gestiegen durch dieses Finale. Das wird uns auch ökonomisch in andere Höhen heben. Kurzfristig bringt uns das Finale zusätzlich rund sieben Millionen Euro, aber davon müssen wir ja auch Prämien zahlen an Spieler, Trainer und Manager. Aber natürlich hat dieser Erfolg langfristig mehr Auswirkungen für die Zukunft. Das kann man für den Verein kaum hoch genug einschätzen.

Frage: Dann eröffnet die erfolgreiche Champions-League-Saison dem Verein auch ganz neue Möglichkeiten, seinen Kader zu verstärken?

Watzke: Es gibt eine Headline oberhalb unserer Philosophie: Wir werden nie wieder einen Euro Schulden machen für sportlichen Eventualerfolg. Sonst gibt es überhaupt keine Denkverbote, was das Budget angeht. Wir können alles machen. Wir müssen es nur vorher verdient haben.

Frage: Ist denn die Erwartungshaltung im Umfeld nach den tollen Erfolgen der letzten drei Jahre eine andere geworden?

Watzke: Die Erwartungshaltung ist noch die gleiche wie vor drei Jahren. Der BVB ist pure Lust. Wir können nichts versprechen an Titeln für das nächste Jahr, aber wir versprechen eine Mannschaft, die sich auf dem Platz zerreißt und alles rausholt, was sie hat. Das trifft den Kern der Fans und die Mentalität der Westfalen. Sie wollen spüren, dass wir alles geben. Das ist unser Anspruch - alles aus uns rauszuholen. Dann können wir auch wunderbar mit Misserfolgen umgehen.

Aus Dortmund berichtet Dietmar Nolte