Hansi Müller streifte von 1975 bis 1982 das Trikot des VfB Stuttgart über
Hansi Müller streifte von 1975 bis 1982 das Trikot des VfB Stuttgart über

"Wichtig, an die Chance zu glauben"

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Rechtzeitig zum Achtelfinal-Hinspiel der Champions League am Dienstag gegen Titelverteidiger FC Barcelona läuft der VfB Stuttgart in der Bundesliga wieder zu großer Form auf. Der ersten Niederlage gegen den HSV (1:3) nach zuvor fünf Siegen in Folge, ließen die Schwaben einen deutlichen 5:1-Auswärtssieg beim 1. FC Köln folgen.

Im exklusiven Interview mit bundesliga.de spricht VfB-Legende Hansi Müller über die Chancen der Schwaben, die Stärken von Barcelona und das Erfolgsgeheimnis des Stuttgarter Trainers Christian Gross.

bundesliga.de: Der VfB Stuttgart hat beim 1. FC Köln 5:1 gewonnen und sich für das große Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen den FC Barcelona eingeschossen. Wie haben Sie das Spiel gesehen?

Hansi Müller: Das Ergebnis entspricht nicht dem Spielverlauf. Vor zwei Toren des VfB hat Jens Lehmann jeweils eine 100-prozentige Torchance von Milivoje Novakovic abgewehrt. Wenn der VfB in Rückstand gerät, läuft das Spiel anders. Auch Lukas Podolski hatte in der 2. Halbzeit zwei große Chancen. Ich hoffe, dass das die Verantwortlichen in Köln auch so sehen und Trainer Zvonimir Soldo, den ich gut kenne, nicht in Bedrängnis gerät. Er macht einen guten Job.

bundesliga.de: Zurück zum VfB Stuttgart. Wie gefällt Ihnen der VfB des Jahres 2010?

Müller: Kompliment, Respekt. Genau das habe ich neulich dem Christian Groß in einer SMS geschrieben. Der neue Trainer hat wieder Leben in die Bude gebracht. Ein Ruck ist durch den Verein gegangen, ähnlich wie beim Wechsel von Armin Veh zu Markus Babbel. Der alte Spruch von den neuen Besen, die gut kehren, hat sich bewahrheitet. Der neue Trainer hat eine andere Ansprache, andere Trainingsmethoden. Schon durch seine äußere Erscheinung flößt Christian Gross Respekt ein. Sein Blick wirkt streng, er hat eine ernste Ausstrahlung. Das ist gar nicht schlecht. Aber er hat auch immer einen guten Spruch drauf, er hat Humor und Ironie und gleichzeitig auch Distanz zur Mannschaft.

bundesliga.de: Was zeichnet ihn in der Arbeit Ihrer Meinung nach besonders aus?

Müller: Christian Gross steht für Erfolg. Ich habe großen Respekt vor seiner Arbeit in Basel, wo er über eine sehr lange Zeit sehr erfolgreich gewesen ist. Ich habe das Gefühl, dass er noch lange beim VfB bleiben wird. Er setzt auf Disziplin und auf eine professionelle Einstellung von A bis Z. Er vermittelt den Spielern, dass sie einen wunderbaren Beruf haben und es nichts Schöneres gibt. Ich bewundere Menschen, die gleichzeitig die Kompetenz und den Erfolg haben, sich aber selbst nicht so wichtig nehmen. Diesen Eindruck habe ich von Christian Groß.

bundesliga.de: Auf alle Fälle hat der Trainer den VfB Stuttgart in der Bundesliga wieder in die Erfolgsspur zurückgeführt. Jetzt kommt es am Dienstag in der Champions League zum Duell gegen den FC Barcelona. Was erwarten Sie von den Achtelfinalspielen?

Müller: Fakt ist, dass Barcelona eine Weltklassemannschaft besitzt. Dabei finde ich auch besonders das Spiel ohne Ball bei Barca überragend. Wenn sie in Normalform spielen, sind sie zu stark für den VfB. Aber man hat immer eine Chance. Der VfB muss die richtige Mischung aus kompakter Defensive und Offensive finden.

bundesliga.de: Könnte es sein, dass der Titelverteidiger die Schwaben unterschätzt?

Müller: Ich kenne das noch aus eigener Erfahrung. Als ich bei Inter Mailand war, bekamen wir einmal im UEFA-Cup Austria Wien zugelost. Wir haben uns riesig gefreut, dass uns ein dicker Brocken erspart blieb. Wir haben dann in Wien 1:2 verloren, zuhause nur 1:1 gespielt und sind ausgeschieden. Auch die Spieler von Barcelona werden sich beim Los Stuttgart erst einmal gefreut haben. Sie sind sich sicher, dass sie den VfB packen werden. Für den VfB ist es wichtig, dass er an seine Chance glaubt. Wenn Stuttgart das Hinspiel unentschieden spielt oder vielleicht sogar knapp gewinnt, kann es für Barcelona eng werden. Dann haben sie im Camp Nou Druck, das Publikum könnte unruhig werden. Davon wird der Alexander Hleb seinen Kollegen sicher einiges aus seiner eigenen Erfahrung in Barcelona erzählen.

bundesliga.de: Worauf muss der VfB Stuttgart besonders achten, wo liegt der Schlüssel zum Erfolg?

Müller: Der VfB sollte sich nicht auf die überragenden Einzelspieler konzentrieren. Ich mag ja besonders die Mittelfeldstrategen Iniesta und Xavi. Die gehen ein bisschen unter, weil alle Welt nur von Messi spricht. Für mich sind das Professoren auf dem Platz. Aber ganz egal: Was bei Barcelona auf dem Platz steht, ist der Wahnsinn. Der VfB muss kompakt stehen, früh stören, doppeln und das Spiel mit viel Laufbereitschaft und Leidenschaft angehen. Wie gesagt, selbst ein Unentschieden würde ja erst einmal alles offen halten. Sie dürfen sich nur keine Klatsche einfangen, die gegen Barcelona aber immer möglich ist.

bundesliga.de: Wie wichtig wird Jens Lehmann in dem Spiel für Stuttgart sein?

Müller: Ganz wichtig. Er ist immer noch ein Vollblutprofi mit einer vorbildlichen Einstellung und Ausstrahlung. Und er hat in Köln klasse gehalten. Als Torwart wirkt er massiv auf die Mannschaft ein. Er hat auch nach wie vor international ein hohes Standing. Das ist wichtig für die Mannschaft. Auch der FC Barcelona hat Respekt vor ihm.

bundesliga.de: Wie sehr fiebert das Schwabenland dem großen Spiel entgegen? Wie ist die Stimmung in der Stadt?

Müller: Hier herrscht eine große Vorfreude, ein Riesenrespekt vor der Weltklassemannschaft, aber auch ein Schuss Zuversicht, nachdem der VfB sechs seiner letzten sieben Spiele gewinnen konnte. Die Mannschaft hat wieder Selbstvertrauen und den Rückhalt der Zuschauer. Die Chancen liegen sicher nicht bei 50:50, aber eine kleine Chance ist sicher da.

bundesliga.de: Zum Abschluss noch eine Frage zur Lage in der Bundesliga. Wie beurteilen Sie den Titelkampf zwischen Leverkusen, Bayern und Schalke?

Müller: Ich finde die Situation ganz wunderbar. Nach dem Unentschieden der Bayern in Nürnberg bleibt es spannend. Ich bin überrascht, wie stark Leverkusen ist. Da scheint Jupp Heynckes sein ganzes Können in die Waagschale geworfen zu haben. Schalke ist den beiden dicht auf den Fersen. Und Felix Magath ist alles zuzutrauen. Vielleicht kann sogar der HSV noch einmal herankommen. Es kommt auf alle Fälle keine Langeweile auf, und genau das braucht die Bundesliga. Ich hoffe, es kommt so wie im letzten Mai, dass am letzten Spieltag noch drei Teams Meister werden können und auch der Abstiegskampf spannend bleibt. Wegen ihrer individuellen Klasse erwarte ich am Ende die Bayern knapp vorne.

Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski