Sebastian Kehl (v.) und die Borussen waren nach der Pleite bei Arsenal gegen Schalke heiß auf Wiedergutmachung
Sebastian Kehl (v.) und die Borussen waren nach der Pleite bei Arsenal gegen Schalke heiß auf Wiedergutmachung

"Unheimlich viel Emotion"

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Dortmund - Erst im Derby überforderte Schalker geschlagen, dann von den Bayern die Tabellenführung in der Bundesliga übernommen - für den BVB war am Wochenende fast schon Weihnachten. Für Sebastian Kehl war der Triumph vor allem ein Beweis eigener Stärke.

Im Interview mit bundesliga.de lässt der Kapitän von Borussia Dortmund aber auch erkennen, wie groß der Druck vor dem Prestigeduell gegen die Schalker war und wie viele Emotionen mit im Spiel waren. Bester Beweis: Am Ende feierte die ganze Mannschaft hoch auf dem Zaun gemeinsam mit den Fans.

Mit bundesliga.de spricht Sebastian Kehl über den Schlüssel zum Erfolg und den Glauben an die eigene Stärke, über die Nachwirkungen der Champions League und den Sprung an die Tabellenspitze.

bundesliga.de: Sebastian Kehl, die Mannschaft stand nach dem Derbysieg geschlossen oben auf dem Zaun der Südtribüne und hat mit den Fans gefeiert - auch für Sie eine echte Premiere?

Sebastian Kehl: Das stimmt, das hatte ich bisher in meiner Karriere auch noch nicht erlebt. Aber in diesem Spiel war einfach unheimlich viel Emotion und dieser Sieg tat richtig gut. Es kann wohl keine zwei Meinungen geben, wer der einzig wahre Derbysieger ist. Ich bin nach dem Abpfiff als einer der ersten zusammen mit Kevin Großkreutz zu unserer Südtribüne gelaufen. Da ist die Idee entstanden und ich habe zu ihm gesagt "Heute gehen wir mal alle auf den Zaun". (lacht) Ich hatte dann nur ein bisschen Sorge, dass sich von uns noch jemand dabei verletzt, aber es ist alles ganz gesittet abgelaufen.

bundesliga.de: Was hat die Anspannung und die Emotion in diesem Spiel ausgemacht? War es einzig das Derby? Oder wirkte die Niederlage aus der Champions League noch nach?

Kehl: Das Derby allein birgt schon so viele Emotionen und lässt nach einem Sieg die Dämme brechen. Zumal wir darauf zuhause über vier Jahre warten mussten. Das hat natürlich an mir und an der Mannschaft genagt. Aber ganz ehrlich, die Niederlage gegen Arsenal hat auch richtig wehgetan. Aus diesem Spiel haben wir einiges mitgenommen in das Derby, was wir besser machen wollten. Und wir wollten uns von der ersten Minute an richtig reinhauen. Da spielte auch eine Menge Emotion mit.

bundesliga.de: Hätten Sie sich vorher träumen lassen, dass der Spielverlauf so einseitig und der Sieg des BVB so überlegen sein würde?

Kehl: Ich möchte es einmal so formulieren: Ich bin überzeugt von unserer Mannschaft und ich bin überzeugt von dem, was wir im Stande sind zu leisten. Wir haben in den ersten Minuten schon sehr viel Druck aufgebaut. Wir waren so kompakt und aggressiv, dass ich innerlich schon früh das Gefühl hatte, dass wir dieses Spiel nicht verlieren werden. Als dann noch früh das erste Tor fiel, war mir klar, dass wir diese Partie auch gewinnen müssen. Die Schalker konnten uns einfach nicht Paroli bieten und konnten gegen uns wenig ausrichten. Das war insgesamt eine sehr gute Leistung von uns.

bundesliga.de: War der Gegner so schwach, weil die Borussia so stark war?

Kehl: Das ist sicher immer auch eine Wechselwirkung. Aber ich glaube, Schalke hatte schon darunter zu leiden, dass wir wieder ein sehr hohes Laufpensum an den Tag gelegt haben und sehr kompakt standen. Wir waren eng am Gegner, haben früh gestört und Schalke nie richtig ins Spiel kommen lassen. Und wir haben selbst sehr zielstrebig nach vorne gespielt und Druck aufgebaut. Das war dieses Mal der Schlüssel zum Erfolg.

bundesliga.de: Zwischen der Niederlage bei Arsenal und dem Spiel gegen Schalke lagen weniger als drei Tage. Wie schafft man es, so schnell den Hebel umzulegen?

Kehl: Viel Zeit blieb wirklich nicht. Wir sind am Donnerstagnachmittag erst zurückgekommen aus London und waren dann kurz am Trainingsgelände. Der Trainer ist natürlich noch einmal auf das Spiel eingegangen und hat uns klar gemacht, dass wir die Niederlage abschütteln und uns auf das Schalke-Spiel konzentrieren müssen. Dass jeder Spieler trotzdem mindestens bis Freitag noch mit diesem Spiel beschäftigt war, ist aber auch verständlich. Es war einfach eine zu bittere Niederlage. Aber Freitagabend haben wir uns dann Fernsehaufzeichnungen von Schalke angesehen und da waren auch nur noch die "Blauen" das Gesprächsthema.

bundesliga.de: Kam das Derby genau zum richtigen Zeitpunkt?

Kehl: Das kann man so sagen. Ich war sehr froh, dass diese Spiele so schnell hintereinander stattgefunden haben. So blieb nicht zu viel Zeit, um über die Niederlage in London zu grübeln, obwohl die Enttäuschung sehr tief saß. Aber vor einem Spiel gegen Schalke musst du nicht viele neue Gedanken kreieren oder über Motivation und Konzentration sprechen. Da wissen alle, um was es geht.

bundesliga.de: Das wusste die Mannschaft auch in London und hatte sich auch dort viel vorgenommen. Haben Sie eine Idee, warum es in der Bundesliga seit Wochen für den BVB fast optimal läuft und man sich in der Champions League regelmäßig so schwer tut?

Kehl: Ich kann es mir wirklich nicht erklären. Ganz ehrlich - ich weiß es nicht! Arsenal ist natürlich auch kein Kanonenfutter, aber das allein erklärt das dortige Ergebnis sicherlich nicht. Wir haben dort auch versucht, uns gut aufzustellen und unsere Stärken abzurufen. Aber es hat einfach nicht funktioniert, wir sind nie gut ins Spiel gekommen - ganz im Gegensatz zum Derbysieg. Man muss auch ganz allgemein eingestehen, dass wir in der Bundesliga sicher viel souveräner und dominanter auftreten. Aber warum das so ist - ich kann es auch nicht sagen.

bundesliga.de: Der BVB hat sich mit dem Sieg über Schalke zum ersten Mal in dieser Saison an die Tabellenspitze geschoben. Hat das für Sie einen Wert?

Kehl: Nein, für mich hat das keine Bedeutung. Es ist gerade einmal November. Und es spielt überhaupt keine Rolle, wer jetzt oder auch im Dezember oder im Januar in der Tabelle ganz oben steht. Im Mai wird es wichtig und bis dahin wird noch viel Arbeit auf uns zukommen. Die Tabellenführung ist eine schöne Momentaufnahme, aber sie hat keine Aussagekraft. Für uns ist es wichtig, bis zum Ende ganz vorne dabei zu sein.

Das Gespräch führte Dietmar Nolte