Jan Koller als Torwart, nachdem Jens Lehmann im November 2002 gegen die Bayern die Rote Karte gesehen hatte
Jan Koller als Torwart, nachdem Jens Lehmann im November 2002 gegen die Bayern die Rote Karte gesehen hatte

Torrekord, Kartenorgie und Heulsusen

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München - Es ist das Duell des Rekordchampions gegen den Herbstmeister. Das Topspiel des 24. Spieltags der Bundesliga elektrisiert die Massen. Wenn der FC Bayern München auf Borussia Dortmund trifft, sind Emotionen, Kuriositäten und außergewöhnliche Momente garantiert.

Bayern München und Borussia Dortmund haben in ihrer ruhmreichen Vergangenheit beide fast alle Titel schon gewonnen, die es zu gewinnen gibt. Ganz egal, ob Weltpokal, Champions League, Deutsche Meisterschaft oder DFB-Pokalsieg: In den Siegerlisten, der bedeutendsten Wettbewerbe finden sich die Namen der deutschen Traditionsvereine, die nicht nur in längst vergangenen Zeiten den Fußball beherrschten, sondern auch in der Gegenwart.

Zahlreiche Spieler mit doppelter Vergangenheit

In der Allianz Arena treffen zwei Fußballwelten aufeinander, der noble, steinreiche Weltclub aus der bayrischen Metropole gegen den nach überstandener Finanzkrise immer noch vergleichsweise klammen Arbeiterverein aus dem Ruhrpott. Doch bei allen Unterschieden gibt es auch eine Menge Gemeinsamkeiten.

Alleine aus den Spielern, die für beide Vereine aktiv dem runden Leder hinterher jagten, könnte man eine Mannschaft bilden, die höchsten Ansprüchen genügt hätte. Legenden wie Toni Schumacher, Stefan Reuter, Jürgen Kohler, Thomas Helmer, Michael Rummenigge, Torsten Frings, Christian Nerlinger oder Jürgen Wegmann kickten für beide Clubs. Und im aktuellen BVB-Kader gesellen sich mit Mats Hummels und Markus Feulner zwei weitere Stars auf diese Liste.

Zweistelliger Bayern-Sieg vor 30 Jahren

Und auch bei den Trainern ist das nicht anders. Sechs Coaches standen sowohl in Dortmund als auch beim FC Bayern an der Seitenlinie: Branko Zebec, Reinhard Saftig, Udo Lattek, Erich Ribbeck, Otto Rehhagel und Ottmar Hitzfeld. Erstaunlich übrigens, dass nur Hitzfeld mit beiden Clubs Titel, darunter auch die Champions League, gewinnen konnte.

Bayern München und Borussia Dortmund treffen nun zum 84. Mal in der Bundesliga aufeinander. 38 Mal siegten die Bayern, 19 Mal die Borussia, 26 Mal gab es ein Remis. Nur vier Begegnungen endeten torlos.

Tore satt gab es dagegen am 27. November 1971. An jenem Samstagnachmittag verdroschen die Bayern den BVB beim 11:1 sogar zweistellig. Es war nicht nur der höchste Bayern-Sieg in ihrer Bundesliga-Geschichte, sondern auch eines von nur fünf Bundesliga-Spielen mit zwölf Toren. An vier der fünf torreichsten Partien war übrigens der BVB beteiligt.

Jan Koller im BVB-Kasten

Für die Bayern trafen damals vor gerade einmal 17.000 Zuschauern im Stadion an der Grünwalder Straße vier Mal Gerd Müller, zwei Mal Uli Hoeneß, zwei Mal Franz Roth und je ein Mal Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Wilhelm Hoffmann. Der Ehrentreffer gelang einem gewissen Dieter Weinkauff zum 1:6.

Bei keinem anderen Gastspiel in München kamen die Dortmunder danach auch nur annährend so unter die Räder. "Lediglich" ein 2:6 im Jahr 2000 und ein 0:5 vor sechs Jahren stehen noch zu Buche. Den höchsten ihrer sechs Auswärtssiege in München feierten die Dortmunder vor knapp 20 Jahren bei einem 3:0.

Aber neben den statistischen Fakten, erinnert man sich auch gerne an die kleineren und größeren Geschichten, die sich ereignet haben. Wie an die Story des Dortmunder 2,02 Meter-Sturmriesen Jan Koller, der im November 2002 ab der 67. Minute das Dortmunder Tor hüten musste, nachdem Keeper Jens Lehmann Rot gesehen und der BVB sein Auswechselkontingent bereits ausgeschöpft hatte. Koller hielt im Olympiastadion tadellos und seinen Kasten sauber, konnte allerdings nicht die 1:2-Niederlage der "Schwarz-Gelben" verhindern. Immerhin schaffte es der Tscheche aber als Torhüter (!) in die "Kicker Elf des Tages".

Matthäus contra Möller

Hoch emotional ging es im April 1997 auch in Westfalenstadion her. Mit einem Sieg hätte der BVB bis auf drei Punkte an Tabellenführer Bayern München heranrücken können. Schon nach drei Minuten waren die beiden Tore zum 1:1-Endstand durch Karl-Heinz Riedle und Ruggiero Rizzitelli gefallen.

Danach gab es nur wenig Torszenen, dafür sechs Gelbe Karten und die legendäre Lothar-Matthäus-Geste in Richtung Andy Möller. Gestenreich und provozierend wischte sich der Bayern-Kapitän imaginäre Tränen aus dem Gesicht. Der dermaßen als Heulsuse verhöhnte Möller blieb jedoch cool. Bayern wurde später Meister, Dortmund gewann die Champions League mit einem 3:1 gegen Juventus Turin - in München.

Drei Platzverweise, neun Gelbe Karten

Noch mehr Arbeit hatte der Schiedsrichter beim Spitzenspiel des 28. Spieltages der Saison 2000/01. Hartmut Strampe verteilte neun Gelbe Karten und zückte ein Mal Gelb-Rot gegen Bixente Lizarazu sowie zwei Mal glatt Rot gegen Stefan Effenberg und Evanilson. Nach dem 1:1 in Dortmund blieb Bayern mit einem Punkt Vorsprung auf das Verfolger-Trio aus Schalke, Leverkusen und Dortmund an der Tabellenspitze und wurde am Ende auch Meister und Champions-League-Sieger.

Dortmund gegen Bayern, das war auch der legendäre Pfostenschuss von Frank Mill aus drei Metern vor dem leeren Tor 1986, das war auch der Kung-Fu-Tritt von Oliver Kahn gegen Stephane Chapuisat und die Beißattacke des "Titanen" gegen Heiko Herrlich im gleichen Spiel 1999.

Aber nicht nur die Bundesliga-Gipfel hatten es in sich. Auch das Pokalfinale 2008, das der damalige Meister Bayern München erst nach Verlängerung gegen den Bundesligadreizehnten Borussia Dortmund mit 2:1 gewinnen konnte, ragt heraus. Es war Ottmar Hitzfelds letztes Spiel als Vereinstrainer, in dem er ausgerechnet auf die Borussia traf, bei der er seine große Titelsammlung in Deutschland begann.

Italo-Duell auf der Trainerbank

Auch in der Champions League kreuzten sich ein Mal die Wege. In der Saison 1997/98 kam es im Viertelfinale zum deutschen Duell und der interessanten Randnotiz, dass bei beiden Clubs italienische Trainer auf der Bank saßen. Nevio Scala beim BVB und Giovanni Trapattoni beim FC Bayern.

Fußballerisch wurde nicht viel geboten. Einer Nullnummer in München folgte gleiches beim Rückspiel in Dortmund. Eine Verlängerung wurde notwendig. In der traf Stephane Chapuisat für den Titelverteidiger aus Westfalen, was den Bayern-Coach Trapattoni so sehr frustrierte, dass er wenige Tage später im Büro von Bayern-Manager Uli Hoeneß erschien, um seinen Vertrag zurückzugeben. Der Maestro blieb noch bis zum Saisonende und feierte mit dem FC Bayern immerhin noch einen Pokalfinalsieg gegen den MSV Duisburg.

Ob und was es in dieser Saison für die Bayern oder den BVB zu feiern gibt, hängt auch nicht unwesentlich vom Ausgang der 84. Auflage des Klassikers ab. Wir freuen uns darauf.

Tobias Gonscherowski