Das spektakuläre 4:4 zwischen Borussia Dortmund und dem VfB Stuttgart bietet einen hohen Unterhaltungswert
Das spektakuläre 4:4 zwischen Borussia Dortmund und dem VfB Stuttgart bietet einen hohen Unterhaltungswert

Torflut in Dortmund

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München - Borussia Dortmund stellt einen Rückrunden-Startrekord auf, die Bayern-Torfabrik läuft zwischenzeitlich auf Hochtouren. Beim 1. FC Köln geht es drunter und drüber, beim Namensvetter in Kaiserslautern ist der Abstieg in die 2. Bundesliga kaum noch zu vermeiden. Und in Leverkusen erlebt Robin Dutt innerhalb von wenigen Tagen ein schaurig-schönes Kontrastprogramm.

Nerlinger hakt Meisterschaft ab

Der Monat März fing für Bayer-Trainer Robin Dutt richtig gut an und endete fürchterlich. Am 24. Spieltag gastierte der FC Bayern München in der BayArena. Es war ein tolles Spiel, ein offener Schlagabtausch mit einem am Ende etwas glücklichen Sieger Leverkusen. Erstmals nach acht Jahren und 14 vergeblichen Anläufen gelang den Rheinländern ein Sieg gegen den Rekordmeister. Mit .



Die Meisterschaftschancen waren für die Münchner tief in den Keller gerutscht, was deren Sportdirektor Christian Nerlinger zu einer Aussage verleitete, die ihm später um die Ohren gehauen wurde. "Mit der Meisterschaft brauchen wir uns nicht mehr beschäftigen", schätzte Nerlinger die Lage durchaus realistisch ein. Auf Leverkusener Seite dagegen begannen angesichts von nur noch vier Punkten Rückstand auf den Tabellenvierten Schalke 04 Träumereien von der Champions League.

In der "Königsklasse" war Leverkusen ohnehin noch vertreten, wenn auch die Chancen aufs Weiterkommen gegen den FC Barcelona nach der ängstlichen 1:3-Heimniederlage im Hinspiel äußerst gering waren. Aber mit einem 2:0-Erfolg gegen die Bayern reiste es sich schon mal eine Spur optimistischer nach Spanien. Pustekuchen. "Barca" zerlegte die "Werkself" brutal in ihre Einzelteile. Lionel Messi schenkte dem bedauernswerten Bernd Leno fünf Mal ein, am Ende hieß es 7:1 für die Katalanen.

Barca-Schock wirkt nachhaltig bei Bayer



Davon erholten sich Dutt und seine Truppe nicht mehr. Die folgenden vier Bundesliga-Spiele gingen verloren, von Champions League war längst keine Rede mehr und selbst die Qualifikation zur Europa League geriet in große Gefahr. Das und die Hohngesänge der eigenen Fans brachten das Fass zum Überlaufen. Der mit großen Ambitionen angetretene Dutt war gescheitert, seine Entlassung am 1. April kein Scherz mehr.

Ganz anders die Bayern. Ihrer Titelchancen bei sieben Punkten Rückstand auf den BVB praktisch beraubt, spielte das Starensemble von der Isar befreit auf. Innerhalb von einer Woche schossen die Münchner bei ihren drei Spielen gegen , gegen den FC Basel (7:0) in der Champions League und danach auch noch in mal so eben 20 Tore.

Bayern ballern sich zurück ins Titelrennen



Nach weiteren "Arbeitssiegen" gegen und in konnten die Bayern den Spitzenreiter, der zwei Mal Remis gespielt hatte, wieder aus eigener Kraft überholen, sollte ein Erfolg im direkten Duell im April gelingen. Als Zugabe erreichten die Münchener auch noch das DFB-Pokalfinale in Berlin.

Im Halbfinale behielt die Mannschaft von Jupp Heynckes im Elfmeterschießen nach einer Nullnummer in Mönchengladbach die Nerven. Ausgerechnet der mit den Bayern in Verbindung gebrachte Gladbacher Dante jagte einen Elfer weit übers Tor. Im anderen Halbfinale zwischen der SpVgg Greuther Fürth und Borussia Dortmund deutete nach 119 torlosen Minuten ebenfalls alles auf einen Elferkrimi hin.

Fürther Torwarttausch mit Folgen



Fürths Trainer Mike Büskens wechselte eigens dafür in der Schlussminute den anerkannten "Elfertöter" Jasmin Fejzic für den Stammtorhüter Max Grün ein. Der Schuss ging kolossal nach hinten los. Im wahrsten Sinne des Wortes. In allerletzter Sekunde schoss der Dortmunder Ilkay Gündogan die Kugel Richtung Fürther Tor. Der Ball ging an den Pfosten, prallte Fejzic an den Rücken und trudelte ins Tor. Das Elfmeterschießen hatte sich erübrigt, Dortmund stand im Endspiel.

Überhaupt die Dortmunder. In den ersten sieben Rückrundenspielen holte der BVB die optimale Ausbeute von 21 Punkten. Das gelang noch keiner Mannschaft in 49 Bundesliga-Jahren zuvor. Erst in Augsburg riss die Serie bei . Den zweiten Punktverlust erlaubte sich der souveräne Tabellenführer in einem denkwürdigen Freitagabendspiel. Gegen den VfB Stuttgart gab es ein sensationelles 4:4. Damit war die Meisterschaftsfrage wieder spannend.

Offener Kampf um die Europapokal-Plätze



Schalke und Mönchengladbach konnten ganz oben nicht mehr eingreifen und lieferten sich stattdessen ein Fernduell um die Plätze 3 und 4. Im Mittelfeld der Tabelle sorgte der VfB Stuttgart mit einem energischen Zwischenspurt für Furore. Werder Bremen dagegen baute immer mehr ab und verlor die Europacup-Plätze aus den Augen.

Im Abstiegskampf ging es spannend zu. Der 1. FC Köln sorgte dabei einmal mehr für den größten Unterhaltungswert. Nach einem miesen Rückrundenstart gelang dem FC im Kellerduell gegen die Berliner Hertha mit einem vorerst der Befreiungsschlag, den die "Geißböcke" mit der umgehenden Entlassung ihres Sportdirektors Volker Finke garnierten.

Solbakken beruhigt seine Frau



Drei teilweise herbe Niederlagen später (u.a. 1:6 gegen Dortmund) klingelte bei Trainer Stale Solbakken während der Pressekonferenz in Augsburg nach der und einer peinlichen Vorstellung das Telefon. Der trockene Kommentar des Norwegers: "Das war meine Frau, die wissen wollte, ob ich noch einen Job habe." Hatte er, der FC ließ ihn weitermachen.

Im Gegensatz zum 1. FC Kaiserslautern. Dort entließ der im Jahr 2012 immer noch sieglose FCK seinen Übungsleiter Marco Kurz nach der 1:4-Heimpleite gegen Schalke 04. Sein Nachfolger wurde Krassimir Balakov, der zum Einstand gleich beim die Schwere seiner neuen Aufgabe kennenlernen durfte.

Stühlerücken im Zweitliga-Keller



Auch in der 2. Bundesliga gab es ein munteres Stühlerücken. In Aachen musste Friedhelm Funkel gehen, in Karlsruhe Jörn Andersen. Beide waren erst während der Saison gekommen, konnten das Ruder nicht rumreißen und wurden wieder vor die Tür gesetzt.

International sorgten die Bayern für die Glanzlichter. Nach dem 2:0-Hinspielerfolg in Marseille stand die Tür zum Halbfinale in der Champions League weit offen. Für Schalke (2:4 daheim gegen Bilbao) und Hannover (1:2 bei Atletico Madrid) drohte dagegen im Viertelfinale Endstation zu sein.

Eine traurige Nachricht kam aus der Schweiz. Dort nahm sich der sterbenskranke ehemalige Bundesliga-Star und -Trainer Timo Konietzka das Leben. Der 73-Jährige, ein entschiedener Kämpfer für die Sterbehilfe, war berühmt geworden als Schütze des allerersten Bundesliga-Tores am 24. August 1963 für Borussia Dortmund bei Werder Bremen.


Das Spiel des Monats März:



Knapp 70 Minuten lang ist die Kiste eine einseitige Angelegenheit. Borussia Dortmund hat Ball und Gegner im Griff und führt nach Toren von Shinji Kagawa und Jakub Blasczykowski standesgemäß mit 2:0, als der Wahnsinn seinen Lauf nimmt. Binnen acht Minuten dreht der lange Zeit völlig harmlose VfB die Partie komplett. Vedad Ibisevic und zwei Mal Julian Schieber stellen das Spiel auf 3:2 für Stuttgart.

Doch der Meister bleibt unbeeindruckt und schlägt zurück. Mats Hummels gleicht in der 82. Minute aus, der kurz zuvor eingewechselte Ivan Perisic (87.) schießt den BVB wieder in Führung. Für einen "Dreier" reicht es dennoch nicht. Denn in der Nachspielzeit nutzt Christian Gentner eine Konfusion im Sechzehner der Borussia und schlenzt den Ball zum finalen 4:4 in die Maschen.

Für Dortmund bedeutet dies, dass die Bayern am folgenden Tag durch einen unspektakulären 1:0-Erfolg in Nürnberg bis auf drei Punkte an den BVB heranrücken. Die Meisterschaft ist wieder offen. Der VfB klettert erstmals in der Rückrunde auf Platz 6.

Tobias Gonscherowski


Das Jahr 2012 im Überblick