Thomas Eichin (2.v.l.) setzt auf mehr Kreativität. Das bedeutet, dass Hunts Abgang auch durch Spieler wie Bargfrede (3.v.r.) aufgefangen werden kann (© imago)
Thomas Eichin (2.v.l.) setzt auf mehr Kreativität. Das bedeutet, dass Hunts Abgang auch durch Spieler wie Bargfrede (3.v.r.) aufgefangen werden kann (© imago)

Eichin: "Müssen auf Kreativität setzen"

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Bremen -  Werder Bremen hat den Klassenerhalt so gut wie sicher. Nur noch ein Punkt fehlt den Werderanern, um das Ziel zu erreichen. Doch nun geht es zum Deutschen Meister.

Vor dem Spiel beim FC Bayern München (Samstag ab 15 Uhr im Live-Ticker) spricht Sportdirektor Thomas Eichin mit bundesliga.de über die starken Leistungsschwankungen seiner Elf, über die ganz besondere Fan-Kultur in Bremen und darüber, was Werder von den Kölner Haien lernen kann.

bundesliga.de: Herr Eichin, ist mit dem Schlusspfiff gegen Hoffenheim auch die Last einer sehr schwierigen Saison von Ihnen abgefallen?

Thomas Eichin: Eigentlich nicht. Die Tatsache, dass wir neun Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz haben und damit wahrscheinlich bereits gerettet sind, wird von außen höher bewertet als wir das intern tun. Unser Ziel muss es vielmehr sein, noch die 40-Punkte-Marke zu erreichen. Wir dürfen uns jetzt nicht zurücklehnen, sondern wollen weiterhin die Spannung hochhalten und in den restlichen drei Spielen so viele Punkte holen wie möglich (Schafft Bremen noch die 40 Punkte?).

bundesliga.de: Am Wochenende muss Werder zum FC Bayern, dem es nach dem frühen Meistertitel nicht gelungen, die Spannung hochzuhalten - hoffen Sie auch deshalb auf eine Wiedergutmachung für die 0:7-Demütigung im Hinspiel?

Eichin: Bayern München ist, egal in welcher Verfassung und egal mit welchem Kader, immer nur ganz, ganz schwer zu schlagen. Und es wäre falsch zu spekulieren, mit welcher Mannschaft die Bayern die antreten, beziehungsweise ob und wie sie das Spiel in Madrid verkraftet haben. Würden wir uns davon leiten lassen, würden wir in München sicherlich nichts reißen. Selbstverständlich stimmt es aber, dass wir nach dem 0:7 etwas gut zu machen haben. Damit uns das vielleicht gelingt, müssen wir am Samstag allerdings unsere absolut beste Leistung abrufen. (Vorschaufakten)

bundesliga.de: Werder hat in dieser Saison wiederholt auf sehr ordentliche Auftritte sehr enttäuschende folgen lassen. Welche Gründe sehen Sie für die fehlende Konstanz?

Eichin: Wir haben in der neuen Konstellation mit Robin Dutt, dem Trainerteam und mit mir mit dieser Mannschaft hart am Limit gearbeitet. Wenn alle, und ich betone dieses "alle" noch einmal, 100 Prozent geben, die Laufwege einhalten, die Zweikämpfe annehmen und mit einer brutalen Leidenschaft ins Spiel gehen, können wir nahezu jeden Gegner schlagen. Wenn wir aber nur ein wenig nachlassen und die besagten 100 Prozent nicht abrufen, gerät diese Mannschaft sehr schnell auf die Verliererstraße. Genau das ist wiederholt nach guten Auftritten passiert. Aber wir arbeiten daran, das zu minimieren. Das gelingt noch nicht immer, aber immer öfter. (Alle Ergebnisse der Bremer)

bundesliga.de: Die mangelnde Konstanz ist der negative Aspekt. Die Tatsache, dass die Mannschaft immer dann reagieren konnte, wenn der Druck am stärksten war, spricht aber für sie.

Eichin: Exakt. Großes Potenzial ist durchaus vorhanden. Und immer wenn wir unter Druck stehen, rufen wir dieses Potenzial ab. Also muss es unsere Aufgabe sein, eine gewisse Form von Druck über 34 Spiele aufzubauen und hochzuhalten. Dieser positive Druck darf keine Ausnahmesituation sein, sondern muss Normalität werden.

bundesliga.de: Stichwort "Normalität": Wird Abstiegskampf auch in den nächsten zwei, drei Jahren Werders Schicksal sein?

Eichin: Das weiß ich nicht, ich bin kein Prophet. Fakt ist, dass wir alle sehr hart am Produkt "Werder Bremen" arbeiten, und dass wir versuchen, es wieder richtig ans Laufen zu bekommen. Aber es ist uns auch bewusst, dass das Zeit braucht. Wir werden die entsprechenden Erkenntnisse aus dieser Saison ziehen und die Mannschaft im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten punktuell verstärken. So suchen wir jemanden für den Offensivbereich, weil wir in dieser Saison einfach zu wenig Tore geschossen haben. (Wer ist Bremens Top-Torjäger?)

bundesliga.de: Gute Stürmer sind allerdings rar gesät, vor allem wenn der finanzielle Rahmen nicht allzu groß ausfällt. Da dürfte viel Fantasie gefragt sein.

Eichin: Ich habe das ganze Jahr über betont, dass Transfers in einer Größenordnung von fünf, sechs, sieben Millionen für uns nicht mehr zu realisieren sind. Wir müssen auf Kreativität setzen, und ich denke, dass uns das bisher schon ganz gut gelungen ist, etwa mit Franco Di Santo, der ablösefrei gekommen ist und seinen Weg bei uns machen wird. Diese Aufgabenstellung ist durchaus reizvoll, und ich hoffe, dass wir Transfers tätigen können, die uns in zwei, drei Jahren vielleicht ein Vielfaches einbringen. Das muss der Weg sein, um selbst irgendwann wieder in andere Transfer-Bereiche vordringen zu können.

bundesliga.de: Die angesprochene Kreativität hat auch zu einer Kooperation mit Juventus Turin geführt; wird die schon in der kommenden Saison Früchte tragen?

Eichin: Das werden wir sehen. Die Kommunikation funktioniert jedenfalls bereits sehr gut. Klar ist aber auch, dass Juventus Geld verdienen will. Wenn der Klub einen Spieler verkaufen kann, wird er darauf kaum verzichten, nur weil es diese Kooperation gibt. Spielern aber, die bei Juve nicht so zum Zug kommen und sich noch weiter entwickeln sollen, können wir vielleicht eine Perspektive bieten. Selbst dann dürfte es aber eher auf eine Ausleihe als auf einen Kauf hinauslaufen. Ob das schon in diesem Sommer der Fall sein wird, oder vielleicht doch erst 2015 oder 2016, bleibt abzuwarten.

bundesliga.de: Mit Aaron Hunt verliert Werder im Sommer den Spieler, der vielleicht das Zeug zur nächsten Werder-Ikone gehabt hätte. Gibt es im aktuellen Kader jemanden, der diese Lücke mittelfristig besetzen könnte?

Eichin: Dass Aaron uns verlässt, ist bedauerlich, aber dennoch für uns kein Beinbruch. Wir werden adäquaten Ersatz suchen und auch finden, denn das ist im Rahmen der Gehaltsklasse, in der Aaron sich bei uns bewegt hat, durchaus möglich. Im Übrigen traue ich auch dem einen oder anderen, der schon da ist, zu, in Aarons Fußstapfen zu treten. Wenn ich etwa beobachte wie Philipp Bargfrede sich in den vergangenen Spielen entwickelt hat, habe ich ein sehr, sehr positives Gefühl.

bundesliga.de: Ein positives Gefühl vermitteln auch die Bremer Fans, die selbst nach bittersten Niederlagen und katastrophalen Auftritten ihre Mannschaft unterstützen; wie erklären Sie sich diesen enormen Rückhalt?

Eichin: Es ist keine Frage, dass der Verein sehr viel tut in Sachen Kommunikation mit den Fans. Das machen andere Clubs aber auch, so dass es für mich nach wie vor sehr erstaunlich und sehr beeindruckend ist, in welcher Art und Weise unsere Fans sich als Teil des Ganzen sehen. Wer das aber tut, der hat auch Verständnis für unsere Realitäten und weiß, dass es nichts bringen würde, eine Front gegen die Spieler aufzubauen. Unsere Fans machen das Gegenteil und stehen in jeder Situation zur Mannschaft. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass für einige der 36 Punkte, die wir bisher erreicht haben, vor allem unsere Fans verantwortlich sind. Es war bewundernswert, wie sie dem Team nach der Niederlage in Mainz, die wirklich grauenhaft war, Mut zugesprochen haben. Die Mannschaft hat daraufhin gespürt, dass sie nun unbedingt etwas zurückgeben muss. Und das hat sie gegen Hoffenheim auch getan.

bundesliga.de: Dadurch dass die Kölner Haie aktuell in der Playoff-Finalserie um die deutsche Eishockey-Meisterschaft stehen, dürften Sie vermehrt an Ihren ehemaligen Job als Manager der Haie denken. Hat Sie überrascht, um wie viel größer der Druck auf einen Verantwortlichen im Profi-Fußball ist im Vergleich zum Eishockey?

Eichin: Ich wusste, dass die mediale Präsenz und der Druck, den die Medien im Fußball ausüben können, nicht mit der Situation im Eishockey zu vergleichen ist. Dass die Diskrepanz aber so groß ist, wie ich sie nun erlebe, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich komme damit zwar zurecht, aber der Unterschied ist schon enorm.

bundesliga.de: Um einen Tipp kommen Sie jetzt nicht herum!

Eichin: Nach vier Spielen steht es in der Best-of-Seven-Serie 2:2. Trotzdem setze ich auf die Haie! Die Verträge der meisten Spieler habe ich noch unterzeichnet. Und ich vergleiche die Situation bei Werder gerne mit der bei den Haien vor ein paar Jahren. Damals musste man in Köln auch harte Zeiten durchstehen und sich etwas einfallen lassen. Dort sind dann die richtigen Entscheidungen getroffen worden, und die Mannschaft wurde punktuell immer weiter verstärkt. Nicht mit großen Namen, sondern vor allem mit Kreativität. Deshalb sind die Haie heute wieder so stark, und ich würde mich riesig freuen, wenn die Jungs den Titel holen.

Das Gespräch führte Andreas Kötter