Das erste offizielle Spiel absolvierte der BVB 1911 gegen den VfB Dortmund auf der "Weißen Wiese" (Foto: Sammlung Gerd Kolbe)
Das erste offizielle Spiel absolvierte der BVB 1911 gegen den VfB Dortmund auf der "Weißen Wiese" (Foto: Sammlung Gerd Kolbe)

Spurensuche auf der Weißen Wiese

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Dortmund - Dortmund, nordöstliche Innenstadt, Brackeler Straße. Auto um Auto rast über den Asphalt. Geschäftig, eilig. Kaum jemandem wird in diesem Moment bewusst sein, dass er am Freibad Stockheide historischen Boden passiert. Hier, in unmittelbarer Nähe zum Borsigplatz, lag einst die "Weiße Wiese" - die Geburtsstätte des deutschen Doublegewinners Borussia Dortmund.

Anfänge auf einem einfachen Acker

Das Jahr 2012 war eines der erfolgreichsten in der nunmehr 103-jährigen Vereinsgeschichte des BVB. Erst verteidigten die Schwarz-Gelben ihren Meistertitel in der Bundesliga, gewannen dann den DFB-Pokal. Das I-Tüpfelchen setzte der BVB in den letzten Wochen in der Champions League als Sieger "der bestbesetzten Vorrundengruppe aller Zeiten", wie es Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nicht ohne Stolz gesagt hat.



Was würden die Ronaldos und Balotellis dieser Fußballwelt wohl denken, wenn sie wüssten, dass diese Erfolgsgeschichte ihres Gegners einst auf einem einfachen Dortmunder Acker begann. An der Wambeler Straße, Ecke Kirchderner Straße wurde gekickt - allerdings auf einem abschüssigen Gelände. Aus diesem Grund zogen die Fußballer ein Stück weiter ostwärts in die Nähe des Brügmann-Wäldchens - zur "Weißen Wiese" inmitten des heutigen Hoeschparks. Der Name des Platzes soll durch die weißen Blüten entstanden sein, die von den angrenzenden Pappeln im Frühjahr abgeworfenen wurden und das Spielfeld in eine "Weiße Wiese" verwandelten.

Hier hatten Mitglieder einer Jugendorganisation der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer sonntags ihrem Hobby gefrönt, allerdings sehr zum Unwillen von Kaplan Hubert Dewald. Der ließ aus Ärger über die "Fußlümmelei auf der Weißen Wiese" kurzerhand die Torpfosten absägen. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Angeführt von Franz Jacobi wurde in der Gaststätte "Zum Wildschütz", nur ein paar hundert Meter von der Weißen Wiese entfernt, im Jahre 1909 der Ballspielverein Borussia ins Leben gerufen. Damals für vier Jahre noch in blau-weiß gestreiften Trikots mit roter Schärpe.

Pommes rot-weiß im ehemaligen "Wildschütz"



Heute sind die Vereinsfarben tief schwarz und strahlend gelb und im Dortmunder Borsigplatz-Viertel prägen eine kulturell bunt durchmischte Bevölkerung, viele alte Häuser und noch mehr Verkehr das Straßenbild. Aber wer genau hinschaut, der entdeckt die Erinnerungstafeln vor der Dreifaltigkeitskirche oder am ehemaligen "Wildschütz", in dem heute eine Imbissstube Pommes rot-weiß verkauft. Die Tafeln lassen den Besucher eintauchen in die schwarz-gelbe Geschichte, erzählen von früher und erinnern an die Anfänge.

Sie erzählen auch von der "Weißen Wiese", an deren Stelle sich heute das Freibad Stockheide als Teil des Hoeschparks befindet. Hier tummeln sich im Sommer die Sonnenanbeter, tollen die Kinder über die Wiesen und planschen im Wasser. Hohe, alte Bäume bieten Schutz auf den Liegewiesen, wenn die Sonne zu stark scheint. Jetzt im Winter ist es hier einsam. Die Tore sind verschlossen, es ist niemand da. Und es ist still, sieht man vom Lärm der vorbeifahrenden Autos auf der breiten Brackeler Straße ab.

Erstes offizielles Spiel Anfang 1911



Vor Jahrzehnten war das ganz anders. Da war von einem Park, einem Freibad oder einer Straße noch nichts zu erahnen. Vor allem Felder und Wiesen prägten das Gelände, dessen "Weiße Wiese" am 15. Januar 1911 das erste offizielle Spiel des BVB gegen den VfB Dortmund erlebte. Es endete mit einem 9:3-Erfolg der Borussia. Im gleichen Jahr wurde der Verein auch zum offiziellen Spielbetrieb zugelassen.

Zu Beginn wurde noch auf Tore aus Kanthölzern und Querlatten gezielt, die nach Spielende abgebaut wurden, damit sie niemand stehlen konnte. Später hatte der BVB ein ganz anderes Problem: Dem Sportplatz fehlte die Einzäunung und das war gegen die Vorschriften des Verbandes. Also mietete der Verein das Gelände 1923 von der Stadt an, um es auszubauen. Das Spielfeld wurde neu hergerichtet, Zuschauerwälle für rund 12000 Besucher und Umkleideräume entstanden, dazu wurde eine 450 Meter lange und 1,80 Meter hohe Mauer um den Platz gebaut. Am 14. August 1924 wurde die Anlage von Oberbürgermeister Eickhoff dem BVB übergeben - die Geburtsstunde des "Borussia-Sportplatzes". Dabei hatten nur Tage zuvor orkanartige Wolkenbrüche eine der Außenmauern einstürzen lassen. Erst in Tag- und Nachtarbeit war der Schaden quasi in letzter Sekunde beseitigt worden.

Umkleide zehn Minuten entfernt



Von dem, was sich einst auf der "Weißen Wiese" abspielte, erzählen Straßen, Bäume und Häuser im Dortmunder Norden nur noch wenig. Aber wer etwa von hier den Weg zum alten Wirtshaus "Wildschütz" in der Oesterholzstraße sucht, der bekommt ein Gefühl für die damalige Zeit, in der doch vieles so ganz anders war als heute.

Denn sowohl der BVB als auch die Gegner, die in den frühen Jahren auf der "Weißen Wiese" dem Leder hinterher jagten, mussten diesen Weg bei Spielen regelmäßig zurücklegen. Paul Burchardt, ehemaliger linker Läufer der Borussia, hat sich daran einmal in einem Interview erinnert: "Die Mannschaften, auch die Gäste, zogen sich im Keller des 'Wildschütz'  um. Anschließend mussten wir zehn Minuten bis zum Platz laufen. Bei Wind und Wetter. Was haben wir da oft geflucht. Nach dem Spiel ging man die gesamte Strecke wieder zurück zur Gaststätte und wusch sich im Keller in der Waschküche mit kaltem Wasser."

13 Jahre nach der Einweihung des "Borussia-Sportplatzes" endete das Kapitel "Weiße Wiese" für den BVB ebenso schnell wie unschön. Der Verein wurde 1937 von der Anlage verbannt. Die Nazis stellten das Gelände der Hoesch AG zur Verfügung, die aufgrund der staatlich verordneten Kriegsrüstung expandierte.

Saxonia und Hannibal statt Borussia



1941 wurde hier der Hoeschpark offiziell eröffnet, gedacht zur Naherholung der Industriearbeiter. Den Park gibt es noch heute; er kann kostenlos besucht werden und steht auf der Denkmalliste der Stadt Dortmund. Sein Zentrum bildet neben dem Freibad Stockheide eine heute baufällige Radrennbahn. In ihrem Innenkreis ist vor einigen Jahren ein Multifunktionsfeld eröffnet worden, auf dem aber viel kleinere Bälle als "König Fußball" im Mittelpunkt stehen. Baseball- und Softballspieler der Dortmund Wanderers haben hier eine Heimat gefunden.

Aber auch Fußball gespielt wird noch im Hoeschpark. DJK Saxonia und TuS Hannibal trainieren hier und tragen ihre Heimspiele aus. Auch Jugendmannschaften des BVB kickten hier noch vor einigen Jahren; die Zweitvertretung der Dortmunder absolvierte zum Saisonaufgalopp im Sommer 2012 ihren Laktattest im Hoeschpark. Die Profis waren zuletzt zu Beginn des Jahrtausends da, als die Borussia hier noch ihre offizielle Saisoneröffnung feierte.

Gekämpft um Tore und Punkte aber haben die schwarz-gelben Helden hier schon lange nicht mehr. Bereits 1937 war der BVB nach seiner Verbannung von der "Weißen Wiese" im Norden Dortmunds in die Kampfbahn Rote Erde im Süden der Stadt umgezogen. Auch hier sollte die Borussia Historisches erleben, etwa auf dem Weg zum ersten Europapokalsieg einer deutschen Vereinsmannschaft im Jahre 1966. Aber das ist eine andere Geschichte…!

Dietmar Nolte


Für das Fotomaterial aus der Sammlung Gerd Kolbe danken wir den "Borsigplatz VerFührungen". Wer die Originalschauplätze der BVB-Gründung erkunden möchte, kann diesem Wunsch im Rahmen einer Tour der "Borsigplatz VerFührungen" unter dem Motto "Weiße Wiese - Spurensuche zu den Wurzeln des BVB" nachkommen:www.borsigplatz-verfuehrung.de/fuehrung1.php


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