Nach dem 4:0 über Italien nahm Spaniens Kapitän Iker Casillas den EM-Pokal in Empfang
Nach dem 4:0 über Italien nahm Spaniens Kapitän Iker Casillas den EM-Pokal in Empfang

Spaniens "Jahrhundertmannschaft" ist noch lange nicht satt

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Kyiw - Iker Casillas küsste seine Freundin Sara Carbonero erneut vor laufenden Kameras, Fernando Torres tollte mit seinen Kindern Nora und Leo durch den Konfettiregen, und Gerard Pique sicherte sich das Tornetz als Erinnerung an einen magischen Abend. Den erneuten EM-Titel, diesen historischen dritten Turnier-Triumph in Folge, feierten die spanischen Nationalspieler, als sei es der erste gewesen. Und schnell wurde klar: Die "Rote Furie" ist unersättlich, die "beste Mannschaft der Geschichte" hat Heißhunger auf mehr.

"Die Größten der Geschichte!"

"Nach dem WM-Titel vor zwei Jahren haben alle gesagt, jetzt sind sie satt. Jetzt haben wir das Triple. Und wir sind noch lange nicht satt", sagte Cesc Fabregas, der beim zauberhaften 4:0 (2:0) im Finale gegen Italien überragend gewesen war. Es war eine Drohung an die gesamte Fußballwelt. Denn spätestens, als Kapitän Casillas um 23.51 Uhr Ortszeit den EM-Pokal in die Luft reckte und ein gelb-rotes Feuerwerk den Nachthimmel über Kyiw erleuchtete, musste Europa die spanische Herrschaft anerkennen.

Die folgenden Lobeshymnen waren kaum noch zu übertreffen. Von einer "Jahrhundertmannschaft" sprach TV-Experte Oliver Kahn. "Europa huldigt ohne Zweifel der besten Mannschaft der Geschichte", schrieb die französische Zeitung "Le Figaro". "Le Parisien" ergänzte: "'La Roja' dominiert den Fußball-Planeten vom Kopf bis zu den Füßen."



In Spanien vergaß das Volk für einige Stunden seine Sorgen, König Juan Carlos und Ministerpräsident Mariano Rajoy strahlten um die Wette. "Die Mannschaft hat uns ins Paradies gehoben", schrieb "AS", Spanien sei unschlagbar, kommentierte "El Mundo Deportivo". "Was für eine Generation! Die Legende lebt!", titelte "Sport".

Das "Fachblatt" Marca legte sich fest - nie ist Fußball erfolgreicher gespielt worden. "Die Größten der Geschichte! Es mag Leute geben, die das Brasilien von 1970 bevorzugen oder das Deutschland von Beckenbauer. Für andere ist das Frankreich von Zidane der Gipfel. Das ist eine Frage des Geschmacks. Aber wenn es um Titel geht, gibt es keinen Zweifel: Spanien ist die beste Mannschaft der Geschichte."

"Furia Roja" zieht mit DFB-Team gleich



233 Titel haben die 23 Spieler aus dem spanischen Kader schon eingeheimst, und das, obwohl niemand unter ihnen älter ist als 32. In Polen und der Ukraine waren die Spanier das Maß aller Dinge. Sie verteidigten durch den höchsten Finalsieg der EM-Geschichte als erster Europameister ihren Titel erfolgreich, stellten den Torschützenkönig (Torres) und den besten Spieler (Andres Iniesta). Gemeinsam mit Deutschland sind sie nach ihrem dritten EM-Titel Rekordchampion.

Trainer Vicente del Bosque gewann als erster Coach nach dem ehemaligen Bundestrainer Helmut Schön zwei große Turniere in Folge, Torjäger Torres traf als erster Spieler in zwei EM-Endspielen, Casillas ist in K.o.-Spielen seit 990 Minuten ohne Gegentor. Noch Fragen?

Spanien im Freudentaumel



"Wir haben eine große Generation und erleben eine große Ära des spanischen Fußballs", sagte del Bosque. "Das ist das Ergebnis von Talent, harter Arbeit und einem überragenden Trainer", erklärte Casillas und sah sein Team am Höhepunkt angekommen: "Das ist der wunderschönste Moment des spanischen Fußballs." So sah es auch Iniesta: "Ich bin glücklicher denn je."

In Spanien verzeichnete die Übertragung des Spiels eine Rekord-Einschaltquote von 83,4 Prozent, in den Straßen von Madrid machten mehrere Zehntausend Fans die Nacht zum Tag, sangen wie die 10.000 Spanier im Stadion in Endlosschleife "Campeones" und "Viva Espana". Überall wehten spanische Flaggen, bengalische Fackeln verwandelten das Land in eine "rote" Party. Einige Kritiker forderten jedoch die Spieler auf, ihre 300.000 Euro Prämie pro Mann, also insgesamt 6,9 Millionen, zu spenden.

Italien chancenlos



Verstummt war nach den vier Zaubertoren von David Silva (14.), Alba (41.), Fernando Torres (84.) und Juan Mata (88.) und 90 Minuten "Tiki-Taka" in Reinkultur die Kritik am angeblich so faden Spiel der Meister aller Klassen. "Ihr könnt unser Spiel gerne langweilig nennen. Ich empfinde es nicht als langweilig", sagte Fabregas: "Und ich denke, das war es im Finale auch ganz sicher nicht."

Den Deutschland-Bezwinger Italien hatten die Spanier zum fast schon bemitleidenswerten Sparringspartner degradiert. Und zwar in einer derart demütigenden Art, dass so mancher deutscher Fan froh gewesen sein mag: Denn seinem Team blieb dies erspart.

Bodenständige Superstars



Die auf dem Feld so gnadenlosen Spanier traten außerhalb bescheiden und demütig auf. "Wir sind alle Freunde. Wir sind alle normale Menschen geblieben, trotz all der Erfolge", sagte Fabregas. Und bei den Feierlichkeiten auf dem Platz sah man eine große Familie - nicht nur wegen der unzähligen Kinder und Frauen auf dem Spielfeld.

Del Bosque herzte seinen Sohn Alvaro, der das Down-Syndrom hat. Fabregas widmete den Triumph vier kürzlich verstorbenen Fußballer-Kollegen. Und als das Team um kurz nach halb drei in der Nacht am Teamhotel Opera vorfuhr, trug kein Spieler den Pokal aus dem Bus, sondern die Mönchengladbacherin Silvia Dorschnerova Weis, "das Mädchen für alles" im spanischen Team.

So hatte am Ende eine Deutsche die Hände am Pokal. Doch er gehört den Spaniern, zweifellos.