Yann Sommer und Timo Horn im großen Doppelinterview

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bundesliga.de: Herr Sommer, in der letzten Saison gehörte die Defensive ihrer Mannschaft zu den besten der Bundesliga. Aktuell haben aber nur Stuttgart und Bremen mehr Gegentore kassiert. Wo sehen Sie die Ursachen für die Defensiv-Probleme der Borussia?

Sommer: Wir haben heute eine offensivere Grundausrichtung als noch in der vergangenen Saison. Das darf aber auf keinen Fall eine Ausrede sein. Wenn man sich ein Spiel wie das gegen den HSV noch einmal anschaut, muss man eingestehen, dass wir dem Gegner die Tore geschenkt haben. Der HSV ist eine gute Mannschaft, die zuletzt nach sechs sieglosen Spielen aber verunsichert war. Die Hamburger haben uns sicher nicht auseinandergespielt. Im Gegenteil: Wir gehen sogar verdient in Führung. Und vor dem ersten Gegentor haben wir zwar fünfmal den Fuß am Ball, bekommen die Kugel aber nicht unter Kontrolle. Wir müssen unsere Fehlerquote minimieren und wieder konzentrierter agieren.

bundesliga.de: Orientieren Sie sich auch an den Noten, die nach jedem Spiel vergeben werden?

Horn: Diese Noten bedeuten mir nicht allzu viel. Für die Bewertung meiner Leistung zählt für mich in erster Linie die Analyse, die ich nach jedem Spiel mit meinem Torwarttrainer Alex Bade durchführe. Im Übrigen glaube ich, dass ich ganz gut einzuschätzen kann, wann ich mit mir zufrieden sein darf und wann ich etwas hätte besser machen müssen.

bundesliga.de: Herr Sommer, auch Sie zählen zu den besten Keepern der Bundesliga, aktuell aber sehen die statistischen Bewertungen Sie im unteren Teil des Rankings. Dabei glänzen Sie auch in dieser Spielzeit häufig mit herausragenden Paraden, wie im Spiel gegen den FC Bayern München. Wie gehen Sie mit solchen Bewertungen um?

Sommer: Tatsächlich interessieren auch mich diese Statistiken eher wenig. Das war allerdings in der vergangenen Saison, als man mich sehr gut eingestuft hat, auch nicht anders. Allerdings ärgert es mich natürlich, wenn ich auf die Tabelle schaue und sehe, dass wir die zweitmeisten Gegentore bekommen haben. Wenn man viele Gegentore bekommt, ist es schwer immer ein Tor mehr zu schießen als der Gegner. Von daher gefährdet dies den Erfolg der gesamten Mannschaft.

bundesliga.de: Hat man es als Keeper lieber etwas ruhiger, oder freut man sich sogar über „Vollbeschäftigung“ durch die gegnerischen Stürmer?

Horn: Wenn mir die Abwehrspieler das Meiste abnehmen, und ich vielleicht nur noch hier und da mit einer Anweisung helfen muss, so dass der Ball gar nicht erst aufs Tor kommt, habe ich damit natürlich kein Problem. Denn in der Regel ist man als Mannschaft erfolgreicher, wenn sich der Keeper nicht in jedem Spiel vier-, fünfmal in Eins-gegen-Eins-Situationen auszeichnen muss. Es geht aber immer darum, als Mannschaft defensiv zu arbeiten und eben nach Möglichkeit zu null zu spielen.

Sommer: Für einen Keeper ist es sehr wichtig, wie er ins Spiel findet. Was für ein Gefühl hattest du bei den ersten zwei, drei Bällen?, das ist die Frage, die du dir selbst stellst. Hat man ein gutes Gefühl, macht das den Job sehr viel leichter. Selbstverständlich ist es für einen Torwart sehr befriedigend, wenn ein Spiel 1:0 gewonnen wird, und man durch vier, fünf gute Paraden diesen Sieg gesichert hat. In der vergangenen Spielzeit hatte ich grundsätzlich weniger zu tun als heute, und wir haben die Champions League erreicht. Der Erfolg der Mannschaft kommt immer vor etwaigen Einzelinteressen.

bundesliga.de: Verlangt die offensivere Ausrichtung der Borussia Änderungen Ihres Torwartspiels, etwas wenn das eigene Team Ballbesitz hat?

Sommer: Nein. Mein Spiel hat sich nicht geändert. Allerdings zeigt sich, dass sich die Gegner allmählich ganz gut auf uns einstellen. Bei unserer 0:1-Niederlage in Mainz hatten wir eine Laufleistung von über 120 Kilometern. Das ist ein guter Wert. Die Mainzer aber sind über 125 Kilometer gelaufen, das ist herausragend. Und auch der HSV ist gegen uns mehr gelaufen als in seinen Spielen zuvor. Die Gegner wissen jetzt, wie sie uns wehtun können. Sie pressen hoch und stellen uns zu, so dass wir häufiger dazu gezwungen sind mit langen Bällen zu operieren.

Sommer: Ich glaube, dass Borussia ein Riesenpotenzial hat. Der Verein hat sich mittlerweile im ersten Tabellendrittel etabliert. Noch ist man zwar nicht wieder ein - nennen wir es - Top-Top-Club. Dennoch sind Zuspruch und Euphorie der Fans riesig. Wird nun noch das eine oder andere Mosaiksteinchen hinzugefügt, wird sich dieses Potenzial noch steigern. Natürlich kommt es immer darauf an, ob es gelingt die Spieler zu holen, die genau zu dieser Mannschaft passen und ob die Verantwortlichen weiter an Bord bleiben. So wie es jetzt aber läuft, und wie sich der Club aufgestellt hat, ist das perspektivische Ziel jede Saison oben mitspielen zu können, durchaus realistisch.

Horn: Auch wir wollen uns Schritt für Schritt weiterentwickeln. Und ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Nach dem Wiederaufstieg haben wir im vergangenen Jahr eine für einen Aufsteiger sehr solide Saison mit 40 Punkten gespielt. Diese 40 Punkte sind nun das Mindestziel. Noch fehlen elf Zähler. Haben wir die, schauen wir weiter. Die Fans träumen natürlich von mehr. Das sollen sie auch. Uns ist es aber vor allem wichtig, dass sich gerade die jungen Spieler in einem ruhigen Umfeld entwickeln können. An dieser maßvollen Haltung ist uns sehr gelegen, denn man weiß, dass es sonst schnell auch einmal in die andere Richtung gehen kann.

bundesliga.de: Sie sprechen junge Spieler an wie es Yannick Gerhardt und Sie selbst sind. Ist Ihnen bewusst, dass Sie Gegenwart und Zukunft des Vereins zugleich sind?

Horn: Durchaus. Junge Spieler aus den eigenen Reihen weiterzuentwickeln und an die Spitze heranzuführen - das ist es, was sich der 1. FC Köln als Ziel gesetzt hat. Ich glaube, dass wir diesbezüglich auf einem sehr guten Weg sind, so dass sich die Fans heute richtig gut mit der Mannschaft identifizieren können. Was Yannick betrifft: Man sieht, welch großes Potenzial er hat. Ruft er das konstant ab, wird er seinen festen Platz im Team haben. Natürlich bringt das einen gewissen Druck mit sich. Damit muss man umgehen können. Dabei hilft es uns sehr, dass wir immer das Vertrauen der Verantwortlichen spüren.

bundesliga.de: Der 1. FC Köln hat einen 7-Punkte-Plan aufgestellt, um den Club sportlich wie strukturell weiterzuentwickeln. Können solche Visionen den Ausschlag für junge Spieler wie Sie geben, dem Werben internationaler Top-Clubs leichter zu widerstehen?

Horn: Auf jeden Fall. Es ist wichtig, dass die persönlichen Ziele mit denen des Vereins in Einklang zu bringen sind. Und das ist in Köln absolut der Fall. Wir haben uns in den vergangenen Jahren kontinuierlich entwickelt und machen es im zweiten Jahr in der Bundesliga sehr ordentlich. Wenn das Schritt für Schritt so weitergeht, kann man sich als junger Spieler gut vorstellen, langfristig beim FC zu spielen. Natürlich weiß ich um die Bedeutung, dass es für eine Berufung in die Nationalmannschaft auch wichtig sein könnte, mit dem Club international zu spielen. Grundsätzlich aber findet ein junger Spieler beim 1. FC Köln alles vor, was er braucht.

bundesliga.de: Herr Sommer, umworbene Talente gibt es auch bei Borussia. Was raten Sie etwa einem Mahmoud Dahoud?

Sommer: Ich finde es super, wie er es bisher gemacht hat. Es gibt nichts Besseres für einen jungen Spieler, alles in „seinem“ Club, wo ihm alles seit Jahren vertraut ist, Erfahrung zu sammeln. Wenn irgendwann vielleicht einmal ein Angebot kommt, das man kaum ausschlagen kann, muss er diesen Weg wählen. Zunächst aber sollte er noch bei uns bleiben. Seine tollen Leistungen helfen uns. Und er kann sich hier Schritt für Schritt weiterentwickeln.

Sommer: Das ist wohl eine Mentalitätsfrage. Ich halte überhaupt nichts davon, einen Mitspieler zur Schnecke zu machen, wenn er einmal einen Fehler gemacht hat. Das würde ihn nur noch mehr verunsichern. Und was wäre denn, wenn ich einen Mitspieler wegen eines Fehlers anmeckere, fünf Minuten später aber einen eigenen Fehler mache, der zu einem Gegentor führt?! Nein. Fehler machen wir doch alle einmal. Selbst nach dem Spiel würde ich höchstens etwas sagen, wenn mich wirklich etwas gestört hat, etwa wenn ich den Eindruck haben würde, dass einer überheblich aufgetreten ist. Ich schreie grundsätzlich nicht herum. Nicht wenn ich ein Tor kassiert habe, und ebenso wenig, wenn mir eine gute Parade geglückt ist.

bundesliga.de: Welchen Eindruck hat FC-Keeper Timo Horn von Yann Sommer?

Horn: Ich gebe ehrlich zu, dass ich normalerweise ein wenig mehr auf die deutschen Torhüter schaue. Nichtsdestotrotz nimmt man selbstverständlich auch die Entwicklung der ausländischen Keeper wahr. Und Yann war schon in Basel ein sehr guter Torwart, der dort auch international auf sich aufmerksam gemacht hat. Bei Borussia musste er Marc-André ter Stegen ersetzen, und damit einen Spieler, der aus den eigenen Reihen gekommen ist und Publikumsliebling in Mönchengladbach war. Das ist gemeinhin keine leichte Aufgabe. Yann hat das aber von Anfang an so perfekt und geräuschlos hinbekommen, dass es mir großen Respekt abnötigt. Er ist ohne Frage ein sehr starker Keeper.

Das Gespräch führte Andreas Kötter