Domenico Tedesco ist auf Schalke "angekommen" - © © gettyimages / Lukas Schulze
Domenico Tedesco ist auf Schalke "angekommen" - © © gettyimages / Lukas Schulze

Domenico Tedesco: "Schalke ist ein großartiger Verein mit sehr viel Emotionalität"

xwhatsappmailcopy-link

Gelsenkirchen - Drei Siegen stehen drei Niederlagen gegenüber. Auch wenn manch einer auf Schalke sich wohl zwei, drei Punkte mehr versprochen hatte nach den ersten sechs Partien, wirkt Trainer Domenico Tedesco entspannt. Im Exklusiv-Interview mit bundesliga.de spricht der 32-jährige über den Fußball, der ihm vorschwebt, seinen Werdegang und das anstehende Spiel gegen Bayer Leverkusen.

bundesliga.de: Herr Tedesco, Sie sind gerade 32 geworden, haben aber bereits Enormes geleistet: Sie sprechen fünf Sprachen, haben den Bachelor als Wirtschaftsingenieur, einen Master-Abschluss in Innovationsmanagement, bei Mercedes gearbeitet und den Trainerlehrgang des DFB als Jahrgangsbester abgeschlossen. Da fragt man sich: Wie hat der Mann das alles geschafft in etwas mehr als zehn Jahren?

Domenico Tedesco: Ich glaube, dass dafür ein gewisses Maß an Disziplin notwendig war. Man muss schon auf einiges verzichten. Wenn man studiert und parallel den Fußball-Trainerschein macht, kann man sich nicht erlauben, am Freitag- oder am Samstagabend allzu oft auf die Piste zu gehen.

bundesliga.de: Man fragt sich auch: Sind Sie das, was man früher einen Streber genannt hätte?

Tedesco: Das würde ich definitiv mit einem „Nein!“ beantworten. Denn so viel, wie man vielleicht vermuten könnte, habe ich für die genannten Themen gar nicht gelernt.

bundesliga.de: Mit einem solchen Lebenslauf hätten Ihnen in der Wirtschaft sehr viele Türen offen gestanden. Warum gerade der Fußball, der noch weniger Sicherheit bietet als das heute auch in anderen Jobs der Fall ist?

Tedesco: Weil der Fußball meine große Leidenschaft ist und mir unendlich viel Spaß macht. Ich habe mir immer gewünscht im Fußball arbeiten zu dürfen. Und dabei war mir sogar fast egal, in welcher Position das sein würde.

- © DFL DEUTSCHE FUSSBALL LIGA / Alexander Scheuber

"Ich habe mir immer gewünscht im Fußball arbeiten zu dürfen. Dabei war mir sogar fast egal, in welcher Position das sein würde."

bundesliga.de: Ein Lebenstraum ist also in Erfüllung gegangen?

Tedesco: Das kann man so sagen. Aber wie das so ist mit den Träumen, die sich erfüllen – es geht dann schnell wieder weiter. (lacht)

bundesliga.de: Mit einer 1,0 im Trainerlehrgang dürften Sie den Beruf in allen Facetten verinnerlichet haben: Was macht einen guten Trainer aus?

Tedesco: Ich denke, dass eine Note gar nicht entscheidend ist. Die steht für Fächer wie Sportmedizin, Psychologie und Fußballehre, also Technik und Taktik. Aber das ist nur ein Teil des Jobs, der vielleicht sogar den geringeren Anteil ausmacht. Der größere und, wie ich finde, wichtigere ist der, wie es einem gelingt Menschen und damit Persönlichkeiten zu führen, Spieler so zu motivieren, dass sie für den Verein durchs Feuer gehen und mit Leidenschaft ihr volles Potenzial abrufen.

bundesliga.de: Sie sind nun seit vier Monaten auf Schalke. Hatten Sie sich das Leben und die Atmosphäre bei diesem besonderen Klub so vorgestellt, oder gab und gibt es immer noch Überraschungen?

Tedesco: Im Großen und Ganzen habe ich es mir alles genauso vorgestellt und ein Stück weit auch gewünscht, wie ich es vorgefunden habe. Schalke ist ein großartiger Verein mit sehr viel Emotionalität. Das bedeutet auch, dass gewisse Themen sehr emotional diskutiert werden. Aber das gehört einfach dazu und war für mich nicht überraschend.

Zum Artikel: Tedescos Traumeinstand auf Schalke

- © gettyimages / Lars Baron

"Zum Beispiel bringen wir den Spielern in der Gegneranalyse nahe: „Was macht der Gegner sehr gut, was macht er eher schlecht“. Nur so können sie die Sinnhaftigkeit unserer Entscheidungen verstehen, etwa wenn es um gewisse Laufwege, um bestimmte Passfolgen geht."

- © DFL DEUTSCHE FUSSBALL LIGA / Alexander Scheuber

Video: Schalke und Tedesco greifen an

bundesliga.de: Als Schüler haben Sie ein Praktikum in der Sportredaktion einer Tageszeitung absolviert. Hilft das heute Verständnis aufzubringen für die Situation der Journalisten, die Sie teilweise in der Causa Höwedes einem regelrechten Verhör unterzogen haben?

Tedesco: Das Praktikum dauerte damals nur vier Wochen, ich war 15, 16 Jahre alt. Aber es hat Spaß gemacht kennen,zu lernen und zu verstehen, wie in einer Redaktion gearbeitet wird, zum Beispiel, wann etwas veröffentlicht wird und wie man mit dem Zeitdruck in Sachen Redaktionsschluss umgeht. Ich würde allerdings sagen, dass ich grundsätzlich jemand bin, der für die Arbeit anderer immer großes Verständnis aufbringt. Jeder versucht seinen Job so gut wie eben möglich zu machen, und deshalb nehme ich vieles nicht persönlich. Es gehört einfach zu Schalke, dass vieles sehr emotional diskutiert wird.

bundesliga.de: Haben Sie damals auch gelernt, Fragen zu hinterfragen und ihren Hintersinn zu erkennen?

Tedesco: Ich versuche jedenfalls ihn zu erkennen. Und ich meine, dass mir das tatsächlich auch meistens gelingt. (lacht) Grundsätzlich lege ich viel Wert darauf ehrlich zu antworten. Denn ich glaube, dass gewisse Probleme sonst nur aufgeschoben würden.

bundesliga.de: Im Zusammenhang mit Ihrer Arbeitsweise fällt immer wieder das Adjektiv „kommunikativ“. Wie sieht diese Kommunikation in der täglichen Arbeit aus?

Tedesco: Zum Beispiel bringen wir den Spielern in der Gegneranalyse nahe: „Was macht der Gegner sehr gut, was macht er eher schlecht“. Nur so können sie die Sinnhaftigkeit unserer Entscheidungen verstehen, etwa wenn es um gewisse Laufwege, um bestimmte Passfolgen geht. Wir erklären einem Spieler auch, warum er vielleicht dieses Mal nicht spielt. Das kann man zwar nicht immer und in jeder Situation durchhalten, aber größtenteils bemühe ich mich doch darum.

bundesliga.de: Apropos „die Sinnhaftigkeit der Entscheidungen verstehen“: Sie haben in einem Interview gesagt, das System selbst sei nicht so wichtig. Brauchen die Spieler aber nicht eine Art Rettungsring, an dem sie Halt finden, wenn es einmal nicht läuft?

Tedesco: Dieser Ring sind die Prinzipien, die wir aufgestellt haben. Diese Prinzipien geben eine gewisse Orientierung und Stabilität vor. Das System selbst ist da gar nicht so entscheidend.

bundesliga.de: Sie haben auch gesagt, dass man aus Niederlagen mehr Erkenntnisse gewinnen können als aus Siegen. Heißt das, dass Sie aus den drei Niederlagen mit Schalke mehr gelernt haben als aus der Erfolgsserie, mit der Sie Erzgebirge Aue in der vergangenen Saison vor dem Abstieg gerettet haben?

Tedesco: (lacht) Das sind zwei sehr unterschiedliche Situationen. In Aue hatte ich im Grunde keine Vorbereitungszeit, vor dem ersten Spiel blieben mir gerade einmal zwei Tage. Auf Schalke dagegen konnte ich die komplette Saisonvorbereitung mit der Mannschaft durchführen. So hatten wir einige Testspiele, die viel tiefere Erkenntnisse möglich gemacht haben als das in Aue der Fall war. Nichtsdestotrotz ist es meiner Meinung nach definitiv so, dass man gerade aus Niederlagen sehr viel herausziehen kann.

bundesliga.de: Was war das etwa nach den Spielen gegen Bayern und Hoffenheim?

Tedesco: Wir haben sehr intensiv über unser Offensivspiel gesprochen. Denn das geht der Defensivleistung immer voraus: Du bist im Angriff, verlierst dann aber den Ball und musst umgehend reagieren. Es geht also darum zu klären, wie wir uns bei eigenem Ballbesitz aufstellen wollen, wie leichtfertige Ballverluste zustande gekommen sind, und ob diese Ballverluste mit der Raumaufteilung zusammenhängen oder vielleicht auch mit technischen Ungenauigkeiten.

"Ich möchte, dass meine Mannschaft stets eine gute Raumaufteilung hat. Ich vergleiche das gerne mit einem Boxer, der in keiner Situation seine Deckung verlieren sollte."

bundesliga.de: Beschreiben Sie bitte an dieser Stelle kurz den Fußball, der Ihnen vorschwebt.

Tedesco: Ich möchte, dass meine Mannschaft stets eine gute Raumaufteilung hat. Ich vergleiche das gerne mit einem Boxer, der in keiner Situation seine Deckung verlieren sollte. Dazu wollen wir sehr viele Balleroberungen haben, denn wir lieben es anzugreifen – das allerdings immer mit einer gewissen Struktur und Balance, um die entsprechenden Umschaltmomente kontrollieren zu können.

bundesliga.de: Um im Bild aus dem Boxsport zu bleiben: Schalkes „Deckung“ war in den ersten Spielen nicht immer vorhanden, mit 7:8 Toren hat man die viertmeisten kassiert. Ärgert es Sie, dass die angesprochene Struktur noch nicht immer greift?

Tedesco: Nein. Für mich ist das Torverhältnis zunächst einmal eine Statistik. Natürlich nehmen wir die ernst. Trotzdem muss man jede Statistik hinterfragen und in diesem besonderen Fall berücksichtigen, gegen wen man bisher gespielt hat und wann und wie die Tore gefallen sind. Dass wir in den vergangenen beiden Spielen in München und in Hoffenheim fünf Gegentore bekommen haben, bedeutet gleichzeitig, dass es in den vier Partien zuvor nur drei waren. Das wiederum macht in diesen vier Spielen eine Quote von nur 0,75 Gegentoren pro Spiel aus. Und das ist ein Top-Wert. Deshalb halte ich es für zu früh, jetzt schon aus den Statistiken endgültige Rückschlüsse zu ziehen.

bundesliga.de: Getroffen hat Schalke bisher achtmal, die Topchancen für weitere Treffer waren aber sogar in München vorhanden. Woran liegt es, dass man ein wenig verschwenderisch mit diesen Chancen umgegangen ist?

Tedesco: Wir schauen uns die Videos der Spiele immer noch einmal sehr intensiv an. Und manchmal ist es nicht so leicht, die Tore zu machen. Die Bayern etwa hatten in diesem Spiel einfach einen guten Torwart, der zweimal eine Eins-gegen-Eins-Situation entschärft hat. Wir haben auf jeden Fall genügend Spieler im Kader, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie viele Tore schießen können. Und ich bin sicher, dass der Knoten bald platzt.

Exklusiv-Interview mit Schalke-Stürmer Breel Embolo

"Wir werden uns anschauen, was der Gegner gut macht – und Leverkusen macht sehr vieles gut."