Thomas Berthold wechselte 1993 vom FC Bayern zum VfB Stuttgart
Thomas Berthold wechselte 1993 vom FC Bayern zum VfB Stuttgart

"Rausgehen und sich den Hintern aufreißen!"

xwhatsappmailcopy-link

Im entscheidenden Duell um den Einzug ins Achtelfinale der "Königsklasse" gegen Unirea Urziceni prophezeit Thomas Berthold dem VfB Stuttgart ein "unangenehmes Geduldsspiel" (ab 20:30 Uhr im Live-Ticker).

Zwischen 1993 bis 2000 lief Berthold in 191 Bundesligaspielen für die Schwaben auf. Im Interview spricht der Weltmeister von 1990 über die Entlassung von Markus Babbel, den neuen VfB-Coach Christian Gross und das entscheidende Spiel gegen Urziceni.

bundesliga.de: Herr Berthold, der VfB Stuttgart hat am vergangenen Samstag Trainer Markus Babbel entlassen. Was sagen Sie zu dieser Entscheidung?

Thomas Berthold: Es kam für mich zu diesem Zeitpunkt überraschend, da am Mittwoch das wichtige Spiel gegen die Rumänen ansteht.

bundesliga.de: Stichwort Zeitpunkt. Gibt es überhaupt einen richtigen Zeitpunkt für eine Trainerentlassung.

Berthold: Gute und schwierige Frage. Der richtige Zeitpunkt hängt mit den Alternativen zusammen, die man hat. Das große Thema ist in so einer Situation: Wer kommt danach? Von solchen Entschlüssen mitten in der Saison halte ich grundsätzlich nichts. Man hätte noch die zwei Wochen bis zur Winterpause abwarten können. Letztlich ist es nun passiert. Es ist eine Entscheidung, die der Vorstand trifft und die man dann hinnehmen muss.

bundesliga.de: Christian Gross wurde als Nachfolger verpflichtet. Was halten Sie von ihm?

Berthold: Ich kenne Christian Gross. Wenn man seine Vita betrachtet, springt einem seine Zeit in Basel ins Auge. Dort war er lange Jahre sehr erfolgreich. Sein kurzer Abstecher nach England ging in die Hose. Es ist erst seine zweite Trainerstation im Ausland. Man muss jetzt sehen, ob er beim VfB Ähnliches umsetzen kann wie in Basel.

bundesliga.de: Am Mittwoch steht die entscheidende Begegnung gegen Unirea Urziceni an. Was kann Gross in so kurzer Zeit bewegen, wie kann er der Mannschaft helfen?

Berthold: Er muss den Druck heraus nehmen, damit die Spieler befreit und selbstbewusst auflaufen. Sie dürfen keine Angst haben, zuhause zu spielen. Es wurde ja von der Presse kolportiert, dass gegen Bochum einige der jungen Spieler verunsichert waren.

bundesliga.de: Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür, dass der VfB so weit unten reingeschlittert ist?

Berthold: Der VfB hat nach dem Weggang von Mario Gomez keinen Torjäger verpflichtet, das ist das erste große Thema. Punkt zwei: Es mangelt an der Hierarchie in der Mannschaft. Zum Teil sind das hausgemachte Probleme. Dass beispielsweise Jens Lehmann vertraglich zugesichert einen Sonderstatus hat, davon halte ich nichts. Auf dem Platz gibt es nur gut oder schlecht, egal, ob ein Spieler 18 oder 40 Jahre alt ist. Dazu kommt, dass einige Spieler weit unter ihrem Vermögen spielen. Alexander Hleb ist beispielsweise Welten entfernt von seinem Leistungspotenzial. Wenn so viele Bausteine zusammenkommen, dann gerät man in einen Strudel hinein, der einen nach unten zieht.

bundesliga.de: Sie haben bei einigen Vereinen im In- und Ausland gespielt und ähnliche Situationen erlebt. Wie kommt man aus so einem Strudel wieder heraus?

Berthold: Die Mannschaft ist nicht auf Abstiegskampf eingestellt. Das ist ein mentales Problem. Die Mannschaft spielt beispielsweise offensiv Chancen heraus, aber sie braucht zu viele, um ein Tor zu schießen. Die Spieler müssen nun ausblenden, was in ihrem Umfeld passiert, sich total fokussieren auf den Sport. Es wird viel darüber geredet, was falsch läuft, doch am Ende ist es so, dass die Reaktion von der Mannschaft kommen muss. Die Spieler müssen rausgehen, sich den Hintern aufreißen und zeigen, dass sie Eier in der Hose haben. Dafür werden sie ja auch gut bezahlt. Damit das klappt, braucht man aber wiederum eine funktionierende Hierarchie im Team. Und Trainer und Verein müssen die Bedingungen schaffen, dass eine solche wachsen kann.