Das direkte Duell der Trainer konnte Louis van Gaal (r.) mit dem 3:0-Heimsieg über Armin Veh (l.) und den VfL Wolfsburg für sich entscheiden
Das direkte Duell der Trainer konnte Louis van Gaal (r.) mit dem 3:0-Heimsieg über Armin Veh (l.) und den VfL Wolfsburg für sich entscheiden

"Qualität ist die Voraussetzung"

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Der FC Bayern steht im Halbfinale der Champions League gegen Olympique Lyon, hat das Endspiel im DFB-Pokal gegen Werder Bremen erreicht und liegt im Titelrennen derzeit mit besten Aussichten auf die Meisterschale auf Platz 1, mit zwei Punkten Vorsprung vor dem ärgsten Verfolger Schalke 04. Damit könnte dem Rekordmeister Historisches gelingen: der "Triple"-Triumph.

Verantwortlich für die Erfolgssträhne der Münchener ist auch das System des zu Saisonbeginn installierten Trainers Louis van Gaal.

Immer wieder fordert der Niederländer von seiner Mannschaft Organisation und Dominanz. Im Interview mit bundesliga.de spricht Armin Veh, der 2007 als Coach mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister wurde, über die taktischen Finessen des Niederländers und erklärt, wie die beiden Begriffe zu verstehen sind.

Außerdem verrät er, was den FC Bayern 2010 von früheren Bayern-Teams unterscheidet und auf welcher Position er FCB-Verteidiger Philipp Lahm am stärksten sieht.

bundesliga.de: Herr Veh, die sogenannten "Wochen der Wahrheit" mit den direkten Duellen der drei Spitzenteams Bayern München, Schalke 04 und Bayer Leverkusen sind vorüber. Was glauben Sie, wer holt sich die Meisterschaft?

Armin Veh: Es stimmt, die "Wochen der Wahrheit", was die Spitzenspiele angeht, sind vorbei. Aber die echten "Wochen der Wahrheit" fangen jetzt erst mit den letzten vier Spieltagen an. Für mich haben beide noch Meisterschaftschancen, sowohl Bayern als auch Schalke. Sie liegen zwei Punkte auseinander. Leverkusen zähle ich nicht mehr zum Kreis der Titelkandidaten dazu.

bundesliga.de: Im Spätjahr 2009 lag der FC Bayern zwischenzeitlich acht Zähler hinter der Spitze. Waren Sie die gesamte Zeit davon überzeugt, dass der Rekordmeister den Sprung auf Platz 1 wieder schaffen würde?

Veh: Ja, absolut. Ich habe schon vor der Saison gesagt, dass der FC Bayern den besten Kader hat. Außerdem haben Sie mit Louis van Gaal einen erfahrenen Trainer. Daher habe ich ihnen das immer zugetraut. Inzwischen hat der FCB sogar noch die Chance auf das "Triple" aus Meisterschaft, Pokal und Champions League. Anhand dieser Tatsache sehen Sie ja, wie schnell sich das Blatt wenden kann im Profifußball. Daher sollte man immer vorsichtig sein mit vorschnellen Kritiken. Die meisten Vereine sind irgendwann in irgendeiner Form in einer kurzen Krise. Wenn man die nötige Klasse besitzt und sein Ziel beharrlich verfolgt, dann kann man diese Ziele auch erreichen.

bundesliga.de: Der FC Bayern hat seit Saisonbeginn einen ausländischen Startrainer, der eine ganz eigene Philosophie vertritt. Was glauben Sie, wie weit ist Louis van Gaal bei seinem Projekt schon?

Veh: Er hat ja zu Beginn gesagt, dass er die Spiele mit seiner Mannschaft dominieren möchte. Das hat er größtenteils schon geschafft. Die Bayern gewinnen ihre Spiele, indem sie mehr Ballbesitz als der Gegner haben und dementsprechend auch mehr Torchancen. Insofern hat er von seinen Ankündigungen schon viel realisiert. Dabei ist er natürlich auf die Spieler angewiesen, die sein Konzept auch in die Tat umsetzen müssen. Aber man sieht schon, was er will - und das ist wichtig.

bundesliga.de: Hätten Sie als Trainer denn eine Taktik parat, um gegen den aktuellen FC Bayern zu bestehen?

Veh:(lacht) Das würde ich an dieser Stelle natürlich nie verraten.

bundesliga.de: Würden Sie zustimmen, dass sich der Bayern-Stil verändert hat gegenüber den Zeiten unter Ottmar Hitzfeld?

Veh: Naja, Ottmar hat nur selten mit drei Spitzen gespielt beziehungsweise mit einem Fünfer-Mittelfeld. Aber eigentlich kann man das nicht miteinander vergleichen, da die Mannschaften auch nicht dieselben sind.

bundesliga.de: Aber auffällig ist doch, dass der FC Bayern im Gegensatz zu früher wesentlich offensiver spielt und selten ohne Gegentor vom Platz geht.

Veh: Ja, das kann man sicherlich so sehen, aber das hängt natürlich immer auch von der Qualität der gesamten Mannschaft im Spiel nach hinten oder nach vorne ab. In der Offensive ist der FC Bayern unheimlich gut besetzt, wenn Sie einen Robben nehmen, einen Ribery, einen Olic, einen Gomez oder einen Klose. Sie konnten es sich ja sogar leisten, Luca Toni in der Winterpause wegzuschicken. Das ist ihre Stärke. Daneben spielt Bastian Schweinsteiger auf der Sechs eine hervorragende Saison und zeigt darüber hinaus seine Qualitäten nach vorne.

bundesliga.de: Und wie beurteilen Sie die Defensive?

Veh: Dass sie defensiv ab und an Probleme bekommen und Situationen entstehen, wo sie ein Tor kassieren, liegt nicht an den Abwehrspielern, sondern an der gesamten offensiven Ausrichtung. Van Buyten, Demichelis, Badstuber und Lahm spielen ja auch eine gute Saison, wobei ich Lahm auf links für besser halte.

bundesliga.de: Das Schlüsselwort in van Gaals Philosophie lautet Organisation. Können Sie erklären, was er genau damit meint?

Veh: Er spricht von der Organisation im Spiel nach vorne. Gegen den Ball spielen mittlerweile alle gut. Aber van Gaal geht es um die Organisation mit dem Ball. Er fordert Ballbesitz und will in Ballbesitz dominant sein. Deshalb legt er sehr viel Wert auf das Kurzpassspiel. Das ist für ihn das Mittel, um zum Torerfolg zu kommen. Es gibt andere Mannschaften, die recht defensiv ausgerichtet sind, nur weite Pässe spielen und dann den zweiten Ball gewinnen wollen. Also von hinten raus den langen Ball auf den Stürmer und dann nachrücken, um den zweiten Ball zu erobern. Van Gaal versucht es über Kombinationsfußball. Das ist der große Unterschied.

bundesliga.de: Wird sich diese Spielweise in der Bundesliga durchsetzen?

Veh: Das wäre schön. Aber als Trainer müssen Sie immer schauen, was Sie für eine Mannschaft haben. Wenn Sie das Kurzpassspiel durchführen wollen, Ihnen aber die Fußballer dafür fehlen, funktioniert das eben nicht. Wenn jemand mit einer solchen Taktik Erfolg hat, wollen alle anderen das kopieren. Aber das kann man nicht Eins-zu-Eins auf irgendeine andere Mannschaft umwälzen. Ich kann beispielsweise als Trainer von Hansa Rostock nicht sagen, ich möchte jetzt das Kurzpassspiel durchsetzen und Dominanz ausüben. Das schaffst du nicht. Die Qualität ist die Voraussetzung.

Das Gespräch führten Denis Huber und Matthias Becker

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