Christian Streich ist seit der Rückrunde Trainer des SC Freiburg
Christian Streich ist seit der Rückrunde Trainer des SC Freiburg

"Persönlichkeit ist keine Frage des Alters"

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Freiburg - Christian Streich hat den SC Freiburg wieder auf Vordermann gebracht. Vor dem Duell gegen Kaiserslautern steht der Cheftrainer der Breisgauer im bundesliga.de-Interview Rede und Antwort.

bundesliga.de: Das Spiel gegen Kaiserslautern wird in der Pfalz als Abstiegs-Endspiel gesehen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Christian Streich: Nicht unbedingt. Es geht auch in dieser Partie nur um drei Punkte und nicht um sechs, wie oft behauptet wird. Klar ist aber auch: Wenn wir - und ich setze das bewusst in den Konjunktiv - gewinnen sollten, wären acht Punkte Differenz schon sehr schwer aufzuholen.

bundesliga.de: Was ändert sich für Sie durch den Trainerwechsel von Marco Kurz zu Krassimir Balakow?

Streich: Wir haben in der Vorbereitung auf die Partie vielleicht weniger Arbeit, weil wir eh nicht wissen, wie der Gegner spielen wird. Aber im Ernst: Krassimir Balakow war ein Weltklasse-Spieler, der hat den Fußball in sich. Und: Der Gegner hat Substanz, besonders in Mittelfeld und Abwehr. Ich fand aber auch, dass der bisherige Trainer sehr gute Arbeit gemacht hat.

bundesliga.de: Ihre Mannschaft wirkte in den letzten Spielen sehr homogen und gefestigt. Dabei fehlt dem Team der klassische Leitwolf - zumal Papiss Demba Cisse und Heiko Butscher den Verein verließen. Ist die Zeit der Leitwölfe vorbei?

Streich: Es gibt in jeder Mannschaft Hierarchien, aber es kommt darauf an, wie die sich bilden. Bei uns sollten die sich aufgrund der Persönlichkeit bilden. Wenn du viele Leute mit einem guten Charakter hast, müssen die Hierarchien nicht so ausgeprägt sein.

bundesliga.de: Was verstehen Sie unter "Persönlichkeit"?

Streich: Die ist jedenfalls keine Frage des Alters. Ich kenne viele Leute, die mit 17 Jahren von der Persönlichkeit her weiter sind als andere mit 35. Ein Mensch mit Persönlichkeit ist einer, der seine Stärken und Schwächen erkennt und versucht, seine Schwächen nicht zu überdecken, sondern damit zu arbeiten. Jemand, der andere unterstützt und zwar nicht in erster Linie, um selber unterstützt zu werden, sondern weil das die Persönlichkeit verfeinert.

bundesliga.de: Woran merkt denn der Stadionbesucher, ob eine Mannschaft intakt ist oder nicht?

Streich: Der überwiegende Teil der Leute im Stadion hat ein gutes Gespür dafür. Nach dem Spiel gegen Augsburg hat mich ein Zuschauer angesprochen. Ihm hat gefallen, wie sich die Ergänzungsspieler warmgelaufen haben. So ein positives Feedback kann ich dann der Mannschaft weitergeben.

bundesliga.de: Was sagt denn das Aufwärmen über die Persönlichkeit der Spieler aus?

Streich: Es ist doch für keinen Spieler leicht, auf der Bank zu sein - und trotzdem wollten die Spieler der ersten Mannschaft helfen! Die Älteren müssen sich um die Jüngeren kümmern und die müssen den Älteren Respekt entgegenbringen. Respekt, naja...

bundesliga.de: Sie mögen das Wort Respekt nicht?

Streich: Es ist eben so abgenutzt. Ich kenne so viele Spieler, die dauernd von Respekt reden, die den aber anderen gegenüber als letzte entgegenbringen.

bundesliga.de: Respekt ist also nicht der erhobene Zeigefinger: Obacht, ich bin eine Respektperson! Du darfst mich keinesfalls kritisieren.

Streich: Eher das Gegenteil. Es geht um etwas, das in allen Lebensbereichen gilt: Anerkennung. Unsere Plattform ist der Fußball. Schön ist, wenn ein Fußballspieler registriert, dass er an einem handgefertigten Tisch sitzt, den ein Schreiner gebaut hat. Und dass der Schreiner mindestens so gut schreinern kann wie er selbst kickt.

bundesliga.de: Vor dem Spiel in Stuttgart hat Fredi Bobic gesagt: "Der SC Freiburg spielt frisch, fromm, fröhlich, frei drauf los. Ob sie in der Bundesliga oder 2. Bundesliga spielen, ist im Endeffekt wurscht." Der Eindruck, dass hier ein Abstieg in Kauf genommen würde, ohne dass alles zusammenbricht, kann durchaus entstehen, oder?

Streich: Finden Sie? Wir tun alles, um Spiele zu gewinnen, aber es kann auch sein, dass wir absteigen. Wir sind nicht der FC Bayern. Ich kann mich doch als Trainer des SC Freiburg nicht hinstellen und sagen: Es ist völlig unmöglich, dass wir je absteigen. Ich finde, wir kommunizieren diese Frage, wie sie Freiburg kommunizieren sollte.

bundesliga.de: Aber strahlt der Verein nicht trotzdem eine gewisse Behäbigkeit aus? Kaiserslautern wird von tausenden Fans im Abstiegskampf begleitet - in Gladbach waren etwa 400 Freiburger Fans. Und manchmal kommen nur 20.000 oder 21.000 Zuschauer zu den Heimspielen. Mit Verlaub: Das ist doch peinlich.

Streich: Ich finde das nicht peinlich, das ist relativ normal für uns. Wir müssen so arbeiten, dass die Leute sagen: Ich gehe hoch zum Stadion! Weil etwas da ist, das ihnen gefällt. Und dafür müssen wir wahnsinnig hart arbeiten. Ziel ist, dass noch ein paar Leute mehr sagen: Das sind meine Jungs. Jetzt verlieren die, und ich hätte auch Skifahren gehen können. Aber da ist was! Und das sage ich gleich auch noch meinem Kollegen.

bundesliga.de: Sie haben also ein Publikum, das man immer wieder überzeugen muss?

Streich: Ja, aber dafür keines, das pfeift, wenn es nach einer Viertelstunde 0:0 steht. Ist doch auch cool, dass es so ist. Fußball finden die Leute hier okay, aber es kann auch etwas anderes sein am Wochenende.

Das Gespräch führte Christoph Ruf