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Diego Armando Maradona wird von den Fans in Neapel noch immer wie ein Spiritueller verehrt
Diego Armando Maradona wird von den Fans in Neapel noch immer wie ein Spiritueller verehrt

Neapel: Oft am Boden - niemals am Ende

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Neapel - Nennt sich Barcelona gern mehr als nur ein Verein, dann ist Napoli überhaupt kein Club, sondern der Seelenzustand einer Stadt. Einer Stadt, die Außenstehende nur schwerlich begreifen, als sei sie ein bizarrer Kosmos.

Aberglaube, Erniedrigung und Improvisation

Um sie zu erfassen, muss man aus ihr kommen, um den Dialekt zu verstehen sowieso. Man kann sich inmitten von infernalem Lärm, organisiertem Chaos und atemberaubenden Bildern auf sie einlassen oder nicht.



Wie beim Verlassen einer Fähre nach wellengeschüttelter Überfahrt, bedarf es eines Weilchens, um Halt und Orientierung zu finden. Blutige Pfützen und großartige Künstler. Aberglaube, Erniedrigung und Improvisation. Hochburg des Lotto, bei dem ein kategorisches Regelwerk Träume in Zahlen verwandelt. Träumst du von Blut, musst du die 18 spielen, bei einem hübschen Mädel die 78. Und bei Maradona? Natürlich die 10.

Neapel steht sich zuweilen selbst im Weg und die Jugend emigriert
gen Norden. Tragik kratzt an der entwaffnenden Anmut und am Lebenswillen der Stadt, dem turbulenten Charme der Neapolitaner. "Wenn du kommst, weinst du zweimal", sagen sie. "Bei der Ankunft und bei der Abreise." Viele Italiener fühlen sich bei der Ankunft allerdings, als müssten sie nun den Reisepass hervorkramen, weil sie beargwöhntes, exotisches Terrain betreten. Andere treten die Reise erst gar nicht an.

"Neapel - Tuberkulose und Cholera"



In den Stadien des Nordens hängen sie Transparente auf: "Wascht euch!", "Benvenuti in Italia", "Neapel - Tuberkulose und Cholera", "und "Forza
Vesuvio!", der Stadt und Umgebung doch endlich mit Lava überschwemmen
soll. So lautet das Schicksal der Neapolitaner, dass sie seit der Vereinigung Italiens 1861 nicht nur geografisch stets nach oben blicken müssen, während der präpotente Norden permanent auf sie herabschaut.

Die meridionale Frage beschäftigt das Land seit den Kämpfen der Einheitsbewegung "Risorgimento". "Kloake" und "niedere Rasse" schnaubten die Besetzer aus dem Piemont schon damals, der Süden zahlte mit Bedeutungsverlust und Verarmung. Die jüngste 150-Jahrfeier des Stiefels wurde nicht von jedem mit Trompeten und Konfetti zelebriert. Infolge einer Existenz zweiter Klasse wurde der Fußball zur Metapher, der in puncto der verlorenen Grandezza der einstigen Hauptstadtmetropole weit über den Sport hinausging.

Erfolgsepoche mit Maradona



"Mitten ins Gesicht des anderen Italiens!", feixte das Plakat eines Abends im Mai 1987 - dem Tag der ersten Meisterschaft des SSC Neapel. Unter dem spirituellen und romantisierten Anführer Diego Armando Maradona hatte man es den Hochnäsigen aus Mailand und Turin gezeigt und schwebte durch eine diamantene Erfolgsepoche.

Nach der Kokain-Überführung 1991 verabschiedete sich der Argentinier durch die Hintertür, blieb in Schreinen jedoch unangefochtenes Paradigma des Stolzes und der Nostalgie. Ohne den "Pibe de oro" (Goldjungen) stürzten Neapel und Napoli in eine tiefe Depression.

Insolvenz und neue Philosophie



Am Ort der einstigen Heroen kickten die Himmelblauen gegen Provinzklubs.
2004 folgte die Insolvenz und der Fall in die dritte Liga. Es übernahm Filmproduzent Auelio De Laurentiis, geboren im neapolitanischen Torre Annunziata später besser bekannt in den Sphären von Beverly Hills, gab die Philosophie der Exekutive vor:

"Ich habe kaum Ahnung vom Fußball, höre mir alle Ratschläge in Ruhe an und am Ende entscheide ich. Ein Unternehmen ist verpflichtet, Gewinn abzuwerfen. Deshalb müssen wir die Stars demnächst im eigenen Haus formen, der einzige Weg, um langfristigen Erfolg zu haben. Man nennt mich auch den Schweizer, weil ich harte Fakten produziere und zeigen werde, dass man in Neapel seriös wirtschaften kann. In fünf Jahren führe ich euch zurück ins Paradies."

Von der 3. Liga in die Champions League



Eine ungewohnte Melange aus Himmelsstürmer und Pragmatismus, die ein willkürlich schaukelndes Ambiente in die Moderne transportierte. Cholerisch, durchdacht, Liebhaber der Inszenierung, innovativ,
selbstherrlich - sogar seine Frau diktierte. Die Signore hätten zur besseren Konzentration vor der Partie ihre Finger von den Profis zu lassen. De Laurentiis schaute niemandem ins Gesicht, dem Establishment der Liga erst recht nicht.

Man muss seinen Duktus nicht mögen - doch acht Jahre in Folge schwarze Zahlen, von der dritten Liga in die Champions League binnen sieben Jahren und dazu mitreißender Champagner-Fußball - es hat sicher schon schlechtere Vereinseigner gegeben. Endlich wieder zur Ersten-Klasse-Ware zu gehören, löste in Neapel ohnehin eine irrsinnige Ekstase aus.

Cannavaro: "Neapel wird niemals sterben"



"Wenn der SSC gewinnt, spürt man eine andere Atmosphäre. Nicht nur bei den Tifosi, sondern in der ganzen Stadt. Die Menschen vergessen dann auch ihre zahlreichen privaten oder sozialen Probleme", sagt Kapitän Paolo Cannavaro, gebürtiger Neapolitaner wie Weltmeister-Bruder Fabio.

"Wenn es darum geht, uns in den Dreck zu ziehen, formt sich eine kilometerlange Schlange. Aber man kann uns schlecht reden solange man will: Neapel war oft am Boden, doch Neapel wird niemals sterben."

Oliver Birkner