Die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gekrönt: Schalke um Leon Goretzka (M.) und Max Meyer (r.) feiert nach dem letzten Saisonspiel gegen Nürnberg (4:1)
Die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gekrönt: Schalke um Leon Goretzka (M.) und Max Meyer (r.) feiert nach dem letzten Saisonspiel gegen Nürnberg (4:1)

Mit jugendlichem Elan in die Königsklasse

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Gelsenkirchen - Am Ende wurde es noch einmal eng. Enger, als es Verantwortliche, Spieler und Fans nach einer sehr konstanten Rückrunde gedacht hatten. Aber nach der 0:1-Heimniederlage gegen Mönchengladbach wackelte die direkte Qualifikation für die Champions League plötzlich noch einmal. Die zweite Niederlage in Folge, dazu die erste Heimpleite überhaupt in der Rückrunde - und die bange Frage stand im Raum: Gehen dem FC Schalke 04 auf der Zielgeraden die Kräfte aus?

"Auf dem Zahnfleisch" in die CL

"Wir haben noch genügend Benzin", bemühte sich Horst Heldt zu versichern. Und der Sportvorstand sollte recht behalten. Mit zwei Erfolgen in Freiburg und gegen Nürnberg machte Königsblau den 3. Platz perfekt.

Doch die Frage nach der Kraft war nicht unberechtigt. "Wir gehen auf dem Zahnfleisch", hatte auch Trainer Jens Keller vier Spieltage vor dem Saisonende eingestanden. Dass die Leichtigkeit vieler Wochen irgendwann schweren Beinen und auch schweren Köpfen weichen musste, hatte sich aber auch angekündigt.

Denn zum einen war die Rückserie für Schalke nach einer verkorksten Hinrunde ein echter Kraftakt, um noch den Sprung in Europas Königsklasse zu schaffen. Zum anderen musste dieser angesichts einer langen Liste von verletzten Spielern von einer ganz jungen Mannschaft gestemmt werden, deren Akteure zum Teil erstmals in der Bundesliga gefordert waren - ihre Aufgabe aber mit erstaunlicher Abgeklärtheit erledigten.

Löw beruft Goretzka und Meyer

Am Ende verwundert es nicht, dass sich Leon Goretzka (19) und Max Meyer (18) neben dem etablierte Julian Draxler und Kapitän Benedikt Höwedes sogar im vorläufigen deutschen WM-Kader wiederfinden. Meyer und Goretzka schafften es zwar nicht in den Kader fürs Trainingslager, stehen aber auf Abruf bereit. Die Berufung ist auch ein persönlicher Lohn für eine ebenso unbekümmerte wie selbstbewusste Leistung. Sead Kolasinac (20) für Bosnien und Joel Matip (22) für Kamerun haben ihr WM-Ticket bereits in der Tasche.

Und weitere Talente aus der Schalker Knappenschmiede drängen ins Rampenlicht. Bestes Beispiel ist der 19-jährige Kaan Ayhan, der zum Saisonende als Innenverteidiger etablierte Kräfte verdrängte und mit seiner Präsenz sogar den eigenen Trainer ein Stückweit überraschte: "Nicht in Bezug auf seine fußballerische Qualität, sondern mit der Souveränität, mit der er vom ersten Moment an aufgetreten ist", so Keller.

36 Punkte in der Rückrunde - Rekord

An der Seite erfahrener Profis wie Kevin-Prince Boateng, Höwedes oder Klaas-Jan Huntelaar mischte Schalkes Rasselbande, wie Keller seine Mannschaft liebevoll taufte, die Liga auf. Satte 36 Punkte holten die Knappen in der Rückrunde, was es zuvor noch nie in der Vereinshistorie gegeben hat. Damit sind sie hinter Bayern und Dortmund die dritte Kraft in der Liga. Vor dem kleinen Einbruch im Saisonfinale stand in 13 Spielen nur eine Niederlage zu Buche, allerdings fiel die mit 1:5 bei den Bayern deutlich aus.

Bei ihrem Ritt durch die Liga schafften es Schalkes Talente nicht nur, die vielen Ausfälle zu kompensieren. Neben Marco Höger und Dennis Aogo (Kreuzbandriss) mussten auch Huntelaar, Höwedes, Boateng, Papadopoulos und sogar der erst im Winter ausgeliehene Jan Kirchhoff über einen längeren Zeitraum passen. Mit ihrem unbekümmerten Stil gelang es den Jungknappen vor allem auch, eine neue Identifikation der Fans mit der Mannschaft zu schaffen. Und das war nach der teils desaströsen Hinrunde auch bitter nötig.

Blutleere Auftritte in der Hinrunde

Denn in der Hinserie hatte es Schalke nicht nur an Konstanz gefehlt. Erschreckend waren die immer wieder blutleeren Vorstellungen, in denen die Knappen auch Grundtugenden wie Leidenschaft und Kampfgeist vermissen ließen. In Verbindung mit den vor Saisonbeginn verkündeten Zielen eine unheilvolle Mischung. Allzu lautstark hatten Spieler und Sportvorstand Schalke bereits auf Augenhöhe mit dem Revierrivalen BVB gesehen, so dass der Absturz umso heftiger ausfiel.

Keller war der Einzige, der vor der Spielzeit Realismus und Bescheidenheit an den Tag gelegt hatte. Und doch wurde vor allem der Cheftrainer abgestraft und stand angesichts der dürftigen Leistungen in der Hinrunde permanent in der Diskussion. Nach fünf Niederlagen in 17 Partien und Platz 7 zur Winterpause drohte Schalke sogar die internationalen Plätze zu verpassen. Negativer Höhepunkt war Anfang Dezember das Aus im DFB-Pokal, als Schalke im heimischen Stadion sang- und klanglos mit 1:3 gegen Hoffenheim die Segel streichen musste.

Glücksgriff Fährmann

Nicht wenige hatten angesichts dieser Ergebnisse in der Winterpause mit einem Wechsel auf der Trainerbank gerechnet. Doch die Verantwortlichen hielten zu Keller und wurden mit der Aufholjagd in der Rückrunde belohnt. Dem Trainer gelang es, sein Team im Winter auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Neben dem Schwung durch die Youngster waren es zudem zwei weitere Aspekte, von denen Schalke profitierte.

So bewies Torjäger Huntelaar nach seiner Rückkehr, wie wichtig er für das Offensivspiel der Mannschaft ist. In 17 Startelf-Einsätzen gelangen ihm am Ende zwölf Tore. Außerdem erwies sich der Wechsel auf der Torhüterposition hin zu Ralf Fährmann Ende November als absoluter Glücksgriff für die Mannschaft. Mit viel Ruhe und starken Paraden avancierte der 25-Jährige in der Rückrunde zu einem sicheren Rückhalt. Seit Fährmann Stammkeeper ist, kassierte Schalke in den letzten 21 Spielen nur 17 Gegentore und blieb dabei elf Mal ohne Gegentor.

Lehrstunde von Real Madrid

Rückschläge wurden angesichts der guten Ergebnisse im letzten Halbjahr als notwendiger Teil einer Entwicklung akzeptiert, und zwar von Vorstand, Spielern und Fans gleichermaßen. Neben der deutlichen Niederlage bei den Bayern stieß Schalke vor allem international an seine Grenzen. Mit 1:6 unterlag die Mannschaft im Achtelfinale der Champions League vor heimischem Publikum gegen Real Madrid - eine Lehrstunde, die die Spieler aber nicht von ihrem Weg abbrachte. "Ich habe der Mannschaft immer gesagt, dass Bayern oder Real nicht unser Maßstab sind. Wir haben vor diesen beiden Spielen überragend gearbeitet und gepunktet, und danach auch wieder", betonte Keller.

Hält Schalke diese Mannschaft mit all ihren hochtalentierten Spielern zusammen und kann der Kader zudem punktuell noch erstklassig verstärkt werden, dann könnte auf Schalke tatsächlich etwas Großes heranwachsen - vorausgesetzt, die Ansprüche steigen nicht wieder ins Unermessliche. Bereits die Vorbereitung zur neuen Spielzeit wird zeigen, ob ein gesunder Realismus die Basis für gute Leistungen sein wird.

Dietmar Nolte