Max Eberl: "Europa ist für Borussia keine Selbstverständlichkeit"

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Mönchengladbach - Nach turbulentem Saisonverlauf hat Borussia Mönchengladbach fast sensationell noch Platz vier und damit die Qualifikation zur Champions League erreicht. Im großen Exklusiv-Interview mit bundesliga.de ordnet Sportdirektor Max Eberl die Leistungen seiner Mannschaft ein, er verwehrt sich gegen die ständigen Zweifel an Trainer André Schubert und er erklärt, warum Borussias Saisonziel auch in Zukunft nur "tabellarische Einstelligkeit" lauten kann.

bundesliga.de: Herr Eberl, der Verein Borussia Mönchengladbach steht so gut da (zur Tabelle), dass selbst einige weniger gute Spiele wie in Hannover kaum ins Gewicht zu fallen scheinen. Hat sich Borussia wieder einen Status erarbeitet, der auch abseits der Tagesaktualität Bestand hat?

Max Eberl: Ich glaube, dass wir uns in den vergangenen Jahren großes Vertrauen erarbeitet haben. Borussia Mönchengladbach hat in dieser Zeit wirtschaftlich wie sportlich einen fantastischen Weg beschritten, ohne dabei eine echte Schwächeperiode durchlaufen zu müssen. Und auch diese Saison, mit dem sehr schlechten Start und in der Rückrunde ein, zwei schlechten Auswärtsspielen, bringt hier nichts ins Wackeln. Wäre das anders, wären wir nicht Borussia, sondern irgendein Club unter vielen.

bundesliga.de: Für das Auswärtsspiel in Hannover verpassten Sie dem Team einen verbalen Tritt in den Hintern...

Eberl: Unsere Mannschaft hat einen top Charakter und stellt sich jeder Situation. Erinnert sei an den Saisonstart, den die Jungs sich vielleicht sogar zu sehr zu Herzen genommen haben und so nicht mehr frei waren in ihrer Leistung. Und auch die Spiele in Ingolstadt (0:1-Niederlage, d.Red.) und in Hannover hat man sich zu Herzen genommen. Es gibt bei uns keinen einzigen Spieler, der das in Laissez-Faire-Manier abgetan hätte. Den verbalen Tritt in den Hintern hätte es da gar nicht gebraucht. Aber ich wollte den Jungs verdeutlichen, dass sie das, was sie in dieser für uns skurrilen Saison und in einer wirklich komplizierten Situation geleistet haben, noch auf großartige Weise toppen können. Und das haben sie dann auch getan…

bundesliga.de: Mit der Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb...

Eberl: Ja. "Großartig" bedeutet für Borussia Mönchengladbach Europapokal-Teilnahme, egal ob Champions League oder Europa League. Die Mannschaft hat sich selbst aus dem Schlamassel gezogen und mit einer fantastischen Serie doch noch in die Situation gebracht, um Europa kämpfen zu dürfen. Ich erinnere noch einmal an die Ausgangssituation: Viele Verletzte, keine Punkte, von einem Tag auf den anderen keinen Trainer und damit eine sehr verunsicherte Mannschaft. Das hätte ganz schnell zum Absturz führen können. Mannschaft und Verein aber haben diese Situation bravourös gelöst.

bundesliga.de: Sie fordern vom Umfeld immer wieder Demut ein. Sind die teilweise vielleicht überzogenen Erwartungen nicht zu verstehen angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre?

Eberl: Natürlich steigen die Erwartungen, wenn man sehr erfolgreich arbeitet und viele Dinge werden dann als selbstverständlich gesehen. Aber Europa ist für Borussia Mönchengladbach noch keine Selbstverständlichkeit. Wir haben fünf Jahre lang auf einem extrem hohen Level ohne Schwankungen gearbeitet und ich habe immer gesagt, dass wir da sein wollen, wenn die Großen schwächeln. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass wir nicht ebenfalls das Recht hätten, einmal Schwankungen unterworfen zu sein. Man erwartet, dass wir ständig auf top Level spielen, die eventuelle Schwäche anderer ausnutzen und so in die Champions League einziehen. Nein: Auch unsere Mannschaft durfte nach dieser unglaublich komplizierten Saison mal das eine oder andere bescheidene Spiel abliefern. Aber auch dann haben wir nicht lamentiert, sondern immer nur nach vorne geschaut.

bundesliga.de: Sie sagen Europa sei für Borussia noch keine Selbstverständlichkeit. Unter welchen Umständen sähen Sie den Club soweit, um mit dem Ziel Europapokal-Teilnahme in eine neue Saison zu gehen?

Eberl: Für mich gibt es kein solches Zeitfenster. In der kommenden Saison spielt RB Leipzig in der Bundesliga. Jeder Experte weiß, dass dieser Verein nicht nur ein ernstzunehmender Konkurrent um die Plätze im europäischen Wettbewerb sein wird, sondern vielleicht sogar um die Champions-League-Teilnahme kämpfen wird. Und ich habe immer wieder darauf verwiesen, dass man nicht nur nach oben blicken darf, sondern dass der Blick immer wieder auch nach unten gehen muss.

bundesliga.de: Das Saisonziel wird also bis auf Weiteres die von Ihnen immer wieder genannte Einstelligkeit bleiben?

Eberl: Ja. Es gibt Kollegen, die sagen nach Platz sieben müsse automatisch Platz sechs kommen. Das sehe ich anders. Die Bundesliga ist kein standardisiertes Gebilde, bei dem man sagen kann "In dieser Saison habe ich etwas erreicht, in der nächsten muss es demnach noch mehr werden". In der Bundesliga muss man sich jedes Jahr aufs Neue beweisen. Man darf nicht vergessen, dass Borussia kein Verein ist, der eine bestehende Top-Mannschaft vor jeder Saison um zwei tolle Spieler verstärken kann. Vielmehr ist es das Los von Borussia Mönchengladbach immer wieder ein, zwei der besten Spieler verlieren zu können. Mittlerweile bleiben diese Spieler zwar nicht mehr nur ein oder zwei Jahre bei uns, sondern vielleicht drei oder vier. Trotzdem gilt es immer wieder, diese Abgänge adäquat zu ersetzen.

bundesliga.de: Sie denken an Max Kruse und Christoph Kramer vor dieser Saison?

Eberl: Zunächst einmal erinnere ich nur daran, dass wir vor dieser Saison mit Christoph Kramer und Max Kruse zwei deutsche Nationalspieler verloren haben. Und die ersetzt man nicht im Vorbeigehen. Aber wir haben gute und kreative Lösungen gefunden und zudem Mo Dahoud in unser System integrieren können. Ähnlich wie es mit Andreas Christensen und Nico Elvedi gelungen ist. Trotzdem muss man immer damit rechnen, dass diese sehr jungen Spieler auch mal Nerven zeigen, weil sie noch nicht die Erfahrung wie ein Kramer oder ein Kruse haben. Das sollte man bei der Gesamtbetrachtung nicht außen vor lassen.

bundesliga.de: Wie schwierig ist es, grundsätzliche eine neue Saison zu planen, wenn man noch nicht weiß, wie man die alte abschließt?

Eberl: Wir haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir mit dieser Situation umgehen können. So haben wir die Champions-League-Teilnahme in der vergangenen Saison erst am vorletzten Spieltag gesichert. Und wir werden – das habe ich immer wieder betont – keine verrückten Dinge machen, die von einer Europapokal-Teilnahme abhängig sind. Unser Kader wird so zusammengestellt, dass er gegebenenfalls in drei Wettbewerben eine gute Rolle spielen kann.

bundesliga.de: Das bedeutet aber, dass sich ein Kader, der "nur" für die zitierte tabellarische Einstelligkeit zusammengestellt wird, gegebenenfalls auch in der Champions League beweisen muss...

Eberl: Dass er das tut, haben wir gezeigt. Auf diese Weise haben wir uns in den vergangenen vier Jahren dreimal für Europa qualifiziert und dort zweimal die Zwischenrunde erreicht. Wir haben dabei zwei Clubs, die im Halbfinale der Europa League standen, den FC Sevilla und Villarreal, bespielt und sogar geschlagen. Unsere Mannschaft ist konkurrenzfähig, aber sie ist auch eine sehr junge Mannschaft. Wir sind die Fohlen-Elf, das ist unser Weg, mit jungen Spielern zu arbeiten und diese zu integrieren. Ein Weg, der alternativlos ist für Borussia Mönchengladbach.

bundesliga.de: Und ein Weg, den Sie, wie auf der Jahreshauptversammlung noch einmal explizit betont haben, mit Trainer André Schubert gehen werden...

Eberl: Ich habe gespürt, dass André bei ein oder zwei schlechteren Spielen wiederholt in die Kritik geraten ist. Kritik, die nicht gerechtfertigt war. Es wird zu schnell vergessen, dass wir gemeinsam etwas auf den Weg gebracht haben. Wir haben während einer laufenden Saison geräuschlos einen Turnaround geschafft und sogar noch an die Erfolge der vergangenen Jahre anknüpfen können. Das ist alles andere als selbstverständlich und eine große Leistung von André und der Mannschaft. André ist ein Trainer, der zwar bereits viel Erfahrung sammeln konnte, aber doch gerade einmal sechs Monate Bundesliga hinter sich hat. Jeder sollte sich da ausmalen können, dass die Bundesliga noch einmal eine andere Ebene und Borussia Mönchengladbach ein Verein ist, der eine hohe Aufmerksamkeit genießt. Ja, es gab einige Spiele, die schlecht waren. Sehr viel öfter aber gab es sehr gute Ansätze, wie beim 5:0 gegen Hertha, beim 4:0 gegen Stuttgart oder auch auswärts in Wolfsburg oder beim FC Schalke, wo wir den Gegner dominiert haben. Deshalb war es mir wichtig zu zeigen, dass bei mir wegen eines Spiels wie in Hannover nicht die geringsten Zweifel an André aufkommen.

Das Gespräch führte Andreas Kötter