Es soll wieder nach oben gehen für Hannover 96: Martin Kind und die Führungsetage der 96er haben sich für einen Neuanfang entschieden
Es soll wieder nach oben gehen für Hannover 96: Martin Kind und die Führungsetage der 96er haben sich für einen Neuanfang entschieden

Kind: Bewusst ins Risiko

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Hannover - Bei Hannover 96 hat man die Winterpause zu einem Neunanfang genutzt. Trainer Mirko Slomka musste nach der unbefriedigenden Hinrunde gehen, mit Tayfun Korkut wurde ein Nachfolger verpflichtet, der sich seine Meriten im Trainergeschäft erst noch verdienen muss (Korkut mit forschem Start).

Im Interview mit bundesliga.de nennt Hannovers Präsident Martin Kind die Gründe für den Wechsel, er erläutert detailliert die Vorgehensweise bei der Suche nach einem Nachfolger für Slomka und er spricht darüber, wie schwierig der Wunsch nach Kontinuität im Profi-Fußball bisweilen umzusetzen ist.

bundesliga.de: Herr Kind, während viele Ihrer Bundesliga-Kollegen den Jahreswechsel zum Ausspannen nutzen konnten, mussten Sie wichtige Personalentscheidungen treffen. Trainer Mirko Slomka wurde entlassen, mit Tayfun Korkut ein in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannter Nachfolger verpflichtet.

Martin Kind: Lassen Sie mich zunächst Folgendes sagen: Die Trennung von Mirko Slomka resultiert aus der Analyse der Hinrunde. Ebenso ist sie das Resultat der Frage nach der Perspektive unserer Mannschaft. Diese Punkte haben wir mit dem Aufsichtsrat diskutiert und sind zu der Entscheidung gekommen, dass eine Trennung zu diesem Zeitpunkt notwendig und auch richtig ist. Erst danach haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wer Slomkas Nachfolger werden könnte.

bundesliga.de: Sie sind für die Art und Weise dieser Trennung einerseits heftig kritisiert worden...

Kind: Die Entscheidung zur Trennung von Mirko Slomka ist uns außergewöhnlich schwer gefallen. Ich kenne Slomka mehr als zehn Jahre, und es steht außer Frage, dass sein Name insbesondere für zwei sehr erfolgreiche Jahre bei Hannover 96 mit der Teilnahme an der Europa League steht. Unsere Gefühle waren also sehr ambivalent, was dazu geführt hat, dass unsere Außendarstellung eher suboptimal war.

bundesliga.de: Andererseits gab es aber auch Stimmen, die diese Außendarstellung als authentisch bewertet und Ihre Ehrlichkeit gelobt haben...

Kind: Eins ist klar: Ich bin nicht bereit, meine Identität aufzugeben und nur noch taktisch zu antworten. Das kann es nicht sein. Selbstverständlich weiß ich, dass gerade die ehrlichen Antworten sehr schnell unterschiedlich interpretiert werden können. Trotzdem wünsche ich mir, dass man uns glaubt, dass wir uns in einer wirklich schwierigen Entscheidungssituation befunden haben. Wir hätten es uns es leichter machen können. Das wäre der Sache aber nicht gerecht geworden. Wichtig ist, dass man daraus lernt, und sich in Zukunft selbst auf solche Krisensituationen noch professioneller vorbereiten muss. Im Übrigen versteht es sich von selbst, dass ich mit Mirko Slomka nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub noch einmal persönlich sprechen werde, um unseren Respekt und Dank für seine Arbeit zum Ausdruck zu bringen.

bundesliga.de: Slomka hatte noch Vertrag bis 2016. Bedeutet sein Scheitern, dass langfristige Trainerverträge eigentlich keinen Sinn mehr machen?

Kind: Das denke ich nicht. Längerfristige Verträge halte ich schon deshalb für wichtig, weil sie ein deutliches Zeichen des Vertrauens sind. Bei Verträgen, die lediglich auf eine Saison befristet sind, fehlt dieses Vertrauen, so dass die Kontinuität der Prozesse gefährdet ist. Im Übrigen würde dies wiederum zu öffentlicher Kritik führen. Nein, all das spricht für mich dafür, dass man längerfristige Verträge abschließt. Immer vorausgesetzt, dass man im gegenseitigen Einvernehmen gewisse Ausstiegsmöglichkeiten definieren kann.

bundesliga.de: Sie haben sich stets für Kontinuität ausgesprochen, mussten sich nun aber innerhalb weniger Monate erst von Sportdirektor Jörg Schmadtke und nun von Trainer Mirko Slomka entlassen. Wie sehr desillusioniert Sie das?

Kind: Drücken wir es so aus: Ich muss immer wieder lernen, dass der Profi-Fußball ein unglaublich volatiles Geschäft ist. Ein Geschäft, in dem es Planung und Sicherheit kaum gibt. Man muss wissen, dass wir vor dieser Saison für unsere Verhältnisse einen deutlich höheren Transferaufwand betrieben und den höchsten Haushalt für die Mannschaft haben, den wir je hatten. Die Ergebnisse aber passen in keiner Weise zu unseren Zielen. Vom Grundsatz her stehe ich weiter zum Gedanken der Kontinuität. Nur so lässt sich auch in Ruhe arbeiten. Aber es gibt im Fußball ein sehr banales Szenario. Und das besagt, dass am Ende nur die Punkte zählen. Das sind die Spielregeln, die ich nicht ändern kann. Und ein Abstieg ist für Hannover 96 weder diskussionsfähig noch wäre er zu akzeptieren.

bundesliga.de: Wenn die Entscheidung erst einmal getroffen ist, sich vom alten Trainer zu trennen, wie geht man en detail vor, wenn mitten in der Saison einen neuen suchen muss?

Kind: Wir haben zunächst überlegt, was für eine Art Trainer überhaupt in Frage kommen könnte, und haben drei Kategorien festgelegt. Erfahrene Trainer, Trainer mit großer Expertise im Abstiegskampf und jüngere Trainer mit Perspektive. Dementsprechend haben wir Namen zusammengetragen. Und in der Folge musste geklärt werden, welche Trainer überhaupt verfügbar sind, bzw. unter welchen Rahmenbedingungen sie zurzeit arbeiten.

bundesliga.de: Welche der drei genannten Kategorien haben Sie persönlich bevorzugt?

Kind: Ich habe von Anfang an für eine mutige Entscheidung und damit für einen Trainer mit Perspektive plädiert. Mutig deshalb, weil das die Verpflichtung eines jüngeren Trainers, möglicherweise auch noch ohne jegliche Bundesliga-Erfahrung bedeuten würde. In der Folge haben Dirk Dufner und ich mehrere Gespräche geführt, wobei ich um Verständnis bitte, dass ich diesbezüglich nicht ins Detail gehen möchte. Die Wahl ist dann auf Tayfun Korkut gefallen.

bundesliga.de: Eine mutige Wahl, die nicht nur Fans, sondern auch Experten überrascht hat...

Kind: Es steht außer Frage, dass es, wie immer in diesem Geschäft, unterschiedliche Beurteilungen gibt. Wir haben unsere Entscheidung aber nach bestem Wissen und Gewissen getroffen, wobei uns bewusst war, dass diese Entscheidung einerseits eine Risikoentscheidung sein würde. Alles andere zu behaupten, wäre unehrlich. Andererseits haben Markus Gisdol in Hoffenheim, Markus Weinzierl in Augsburg oder Thomas Schneider in Stuttgart gezeigt, dass solche Entscheidungen durchaus belohnt werden.

bundesliga.de: Wie würden Sie Tayfun Korkut beschreiben?

Kind: Tayfun Korkut hat uns in den Gesprächen vollends überzeugt. Er besitzt eine sehr offene, sehr freundliche und sympathische Ausstrahlung, ist sehr kommunikativ und weiß, was er will. Dabei argumentiert er stets  zielgerichtet und mit der notwendigen Konsequenz. Seine bisherige Karriere als Trainer ist er gezielt angegangen: Erst B-Jugend-Trainer, dann A-Jugend-Trainer, schließlich Co-Trainer der türkischen Nationalmannschaft. Er war in Hoffenheim und in Stuttgart und hat bei vielen Vereinen hospitiert. Zudem kann er große Erfahrung als Profi vorweisen. So hat Korkut unter anderem 42 Mal für die türkische Nationalmannschaft gespielt. Wichtig war für uns darüber hinaus, dass er in Stuttgart geboren ist und damit perfekt deutsch spricht und deutsch denkt. Und ich sehe ihn als überzeugten Europäer.

bundesliga.de: Mit welchem Auftrag geht Korkut in die Rückrunde?

Kind: Von dem vor der Saison definierten Ziel, das Erreichen eines Tabellenplatzes, der fürs internationale Geschäft berechtigt, mussten wir uns bereits unter Mirko Slomka verabschieden. Allerdings bleibe ich bei meiner Einschätzung, dass wir über eine gute Mannschaft verfügen. Korkuts Aufgabe ist es, die Zeit bis zum Rückrundenstart dafür zu nutzen, die Spiele der Hinrunde zu analysieren, die Spieler kennenzulernen, und aus beidem seine Entscheidungen abzuleiten. Unser Ziel muss es selbstverständlich sein, so schnell wie möglich nichts mehr mit dem Abstiegskampf zu tun haben. Schön wäre es, wenn wir bis zum Saisonende einen Platz um Rang 10 erreichen könnten.

bundesliga.de: Darf der neue Trainer auf neue Kräfte hoffen?

Kind: Die Transferliste ist offen, und es ist auch bekannt, dass wir an einem Stürmer interessiert sind.

bundesliga.de: An dem Chilenen Nicolas Castillo?

Kind: Der steht - neben anderen Namen - auch auf dieser Liste. Grundsätzlich wird es so sein, dass wir nur dann eine Entscheidung treffen, wenn Trainer und Sportdirektor gemeinsam einem Transfer zustimmen. Selbstverständlich hat Korkut aber auch die Möglichkeit, noch neue Namen ins Spiel zu bringen.

bundesliga.de: Muss er damit rechnen, mit Mame Diouf einen Topstürmer schon in diesem Winter zu verlieren?

Kind: Eine Anfrage für Diouf gibt es bisher nicht. Unsere Einschätzung ist aber, dass er 96 zum Saisonende verlassen wird. Diouf weiß zwar, dass wir grundsätzlich Interesse haben, weiter mit ihm zusammen zu arbeiten. Realistisch wird er über diese Saison hinaus aber nicht zu halten sein.

bundesliga.de: Was bedeutet dieser Trainerwechsel nun grundsätzlich für Hannover 96: Ist der Weg zu einer Mannschaft, die sich dauerhaft im oberen Tabellendrittel wiederfindet, nur kurzzeitig unterbrochen, oder befürchten Sie, dass sich 96 mittelfristig erst einmal wieder hinten anstellen muss, wenn es um die Plätze fürs internationale Geschäft geht?

Kind: Es wäre verfrüht, das bereits jetzt zu beurteilen. Erst der Verlauf der Rückrunde kann eine halbwegs seriöse Antwort auf diese Frage geben. Ich hoffe darauf, dass wir es nur mit einem temporären Rückschlag zu tun haben, so dass wir unsere Entwicklung schnellstmöglich weiter stabilisieren können. Unsere Ziele wollen wir auf gar keinen Fall aus den Augen verlieren.

bundesliga.de: Taugt Ihnen zum Beispiel Borussia Mönchengladbach als Vorbild, wie man aus einer Krise - dem Beinahe-Abstieg vor knapp drei Jahren - gestärkt hervor gehen kann?

Kind: Keine Frage, Krisen können auch Klarheit geben! Bei Borussia Mönchengladbach hat man die richtigen Schlüsse aus dieser Krise gezogen. Das Präsidium, der Vorstand, insbesondere aber Sportdirektor Max Eberl und Trainer Lucien Favre haben eine hervorragende Arbeit geleistet und sich nicht von dem einmal eingeschlagenen Weg abbringen lassen. Heute verfügt man über eine tolle Mannschaft, die zu Recht so weit oben in der Tabelle steht.

Das Gespräch führte Andreas Kötter