Ein echter "Geißbock": Pierre Littbarski bestritt seine 406 Bundesliga-Partien alle für den 1. FC Köln (Copyright: Imago)
Ein echter "Geißbock": Pierre Littbarski bestritt seine 406 Bundesliga-Partien alle für den 1. FC Köln (Copyright: Imago)

Litti: Held in Köln und Japan

xwhatsappmailcopy-link

Begnadeter Dribbelkünstler und Weltmeister, Spaßmacher und "Litti-san": Pierre Littbarski hat mit seiner Art und seinem Können nicht nur deutsche Fußballherzen erobert, sondern gilt auch als einer der prominentesten Asien-Exporte des deutschen Fußballs. In Japan hat er als Spieler und Trainer gearbeitet und eine zweite Heimat gefunden.

Krönung im letzten Länderspiel

Am 8. Juli 1990 war der kleine Kicker aus Berlin ganz oben auf dem Fußballgipfel angekommen. Bei der Weltmeisterschaft in Italien reckte Pierre Littbarski den goldenen Pokal in die Höhe - Weltmeister mit Deutschland. Zwar erzielte der Mann mit den charmanten O-Beinen und dem unvergleichlichen Dribbeltalent nur ein Tor in der Vorrunde gegen Kolumbien, bestritt aber sechs Partien und stand im Endspiel gegen Argentinien in der deutschen Startelf.

Fußballdeutschland liebte in ihm aber nicht nur den technisch versierten Offensivspieler, sondern auch den gut gelaunten Spaßvogel. Legendär sind seine Fernsehauftritte, als er mit umgedrehter Baseball-Kappe die Schulanfänger aus der TV-Ratesendung "Dingsda" imitierte und zusammen mit seinem Nationalmannschaftskollegen Thomas Häßler kindgerecht Fußballbegriffe erklärte. "Pierre hatte immer einen Witz drauf. Da konnte kommen, wer wollte, er hat sie alle verarscht", erinnert sich Häßler.



Was eigentlich paradox ist: Der WM-Titel ist eine der wenigen Trophäen, die Littbarski in seiner langen Karriere errungen hat. Sowohl im Nationaltrikot als auch auf Vereinsebene scheiterte er sonst oftmals kurz vor dem Ziel. Zwei Mal wurde er mit Deutschland Vize-Weltmeister, bevor es 1990 in seinem 73. und letzten Länderspiel doch noch mit dem Titelgewinn klappte.

1986 stand er mit dem 1. FC Köln gegen Real Madrid im Finale um den UEFA-Cup. Ein 2:0-Erfolg im heimischen Stadion konnte die 1:5-Niederlage in Spanien nicht mehr wettmachen. Für Littbarski blieb nur der 2. Platz. Auch in der Meisterschaft reichte es nur zum Vize-Titel - das aber gleich drei Mal: 1982, 1989 und 1990. Dass Pierre Littbarski 1982 auch bei der Wahl zum Fußballer des Jahres Karl-Heinz Förster den Vortritt lassen musste, passt ins Bild.

Ein Mal aber durfte "Litti", wie ihn die Fans liebevoll auch heute noch rufen, auch im Vereinstrikot der Kölner jubeln. 1983 gewann er nicht nur den DFB-Pokal, sondern erzielte im Finale auch noch das goldene Tor zum 1:0-Sieg. Und das ausgerechnet auch noch in einem reinen Stadtderby gegen die Kölner Fortuna - mehr geht in einem Spiel kaum.

Häßler: "Konnte mit sich selbst einen Doppelpass spielen"



Es war aber nicht nur dieses Tor und dieser Triumph, der Littbarski einen Platz in den Herzen der FC-Fans gesichert hat. Insgesamt 406 Bundesliga-Partien bestritt der Offensivspieler für den 1. FC Köln und erzielte dabei 116 Tore. Gerade einmal 1,68 Meter groß, avancierte die säbelbeinige Nummer 7 zu einem der filigransten und flinksten Dribbelkünstler der Bundesliga und spielte die Gegner gleich reihenweise schwindelig. "Er war der einzige Fußballer, der mit sich selbst einen Doppelpass spielen konnte", hat ihn einst Thomas Häßler geadelt. "Er hat seine Gegenspieler immer gern alt aussehen lassen. Es war einfach eine Augenweide, ihm beim Fußballspielen zuzuschauen."

In den Genuss seiner Dribblings und Tore kamen vor allem die Zuschauer in Köln, denn in der Bundesliga ging Littbarski nur für die "Geißböcke" auf Torejagd. Vereinstreue nennt man das gemeinhin. Nur einmal wagte der gebürtige Berliner, der beim VfL Schöneberg und bei Hertha Zehlendorf das Einmaleins des Kickens erlernt und 1978 in die Domstadt gewechselt hatte, einen Abstecher nach Frankreich. 1986 wechselte er zu Racing Paris, kehrte aber schon zur nächsten Saison mit Heimweh zurück nach Köln.

Bereut hat er diesen Schritt dennoch nie. "Ich musste in einem fremden Land bestehen. Für meine Zukunft war das ganz entscheidend", meinte Littbarski rückblickend. "Vermutlich hätte ich sonst später nicht den Mut gehabt, nach Japan zu wechseln. Ich bin weltoffener geworden in Paris."

In Japan vom Spieler zum Trainer



Und so wagte der Kicker nach weiteren sechs Jahren in Köln 1993 den ganz großen Schritt in Richtung Fernost, um in Japan seine Fußballer-Laufbahn bei JEF United Chiba und Brumell Sendai ausklingen zu lassen. Zunächst als Spieler und später auch als Trainer sollte er maßgeblich zur Entwicklung des japanischen Fußballs beitragen, dessen "J-League" sich just zu jenem Zeitpunkt Anfang der 90er-Jahre gerade professionalisierte. Und Littbarski erarbeitete sich als "Litti-san" schnell den Ruf eines respektierten und angesehenen Europäers mit Volksheld-Status.

Insgesamt zehn Jahre seines Lebens hat Pierre Littbarski in Japan verbracht. Er ist mit einer Japanerin verheiratet, hat mit ihr zusammen zwei Söhne - und zudem zwei Töchter aus erster Ehe - und nennt das asiatische Land heute gerne seine "zweite Heimat". Dort engagiert er sich auch sozial. Nach Erdbeben und Tsunami hielt er auf Initiative der Deutschen Botschaft in Tokio im Krisengebiet Fußball-Camps für Kinder ab.

Sportlich ist Littbarski in Japan auch seine ersten Schritte als Cheftrainer gegangen, nachdem er 1997 mit 37 Jahren seine aktive Karriere beendet hatte und zwei Jahre später bei Yokohama FC das Kommando übernahm. In der Folge versuchte er sein Trainerglück an verschiedenen Orten. Der Rückkehr nach Deutschland und einem gut einjährigen Engagement beim Zweitligisten MSV Duisburg in der Saison 2001/2002 folgte wieder ein Abstecher nach Yokohama. Es schlossen sich Stationen in Australien, wiederum in Japan, im Iran und in Liechtenstein an. Mit dem FC Sydney gelang ihm dabei 2006 das, was ihm als Spieler immer verwehrt war - er wurde Landesmeister!

Neue sportliche Heimat in Wolfsburg



Zur Saison 2010/11 kehrte "Litti" heim nach Deutschland und arbeitete zunächst als Assistenztrainer von Steve McClaren beim Bundesligisten VfL Wolfsburg. Später übernahm er den Club für fünf Spiele interimsmäßig als Trainer, heute arbeitet der 53-Jährige als Chefscout für die Wolfsburger.

Bis ins Rentenalter aber will Pierre Littbarski diesen Job nicht machen. Im Gegenteil: Ihn zieht es eigentlich schon jetzt wieder nach Japan, wie er in einem Interview verraten hat: "Ich habe mehr Heimweh als meine Frau, obwohl sie Japanerin ist." Seinen Urlaub verbringt "Litti-san" ohnehin in seiner zweiten Heimat. Und bisweilen kann er sich dort auch dienstlich noch länger aufhalten, wie der Chefscout mit seinem so typischen, schelmischen Lächeln erzählt: "Manchmal kann ich meinen Sportdirektor noch überzeugen, dass es da talentierte Spieler gibt. Dann darf ich nochmal zwei Wochen rüber."

Dietmar Nolte