Unermüdlicher Einsatz: Stefan Kießling (l., mit Bayerns Dante) reibt sich häufiger auf in Zweikämpfen als jeder andere Bundesliga-Spieler
Unermüdlicher Einsatz: Stefan Kießling (l., mit Bayerns Dante) reibt sich häufiger auf in Zweikämpfen als jeder andere Bundesliga-Spieler

Kießling: "Zweikampftier" der Liga

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Leverkusen - Einen Typ Rammbock hätten viele damals gerne gesehen. Oder einen, der mit allen Wassern gewaschen ist. Doch der 22-jährige Schlacks, den Bayer 04 Leverkusen im Sommer 2006 präsentierte, schien so rein gar nichts zu haben vom legendären Ulf Kirsten oder dessen Nachfolger Dimitar Berbatov. "Ich habe ihn gegen viel Widerstand und öffentliche Häme durch unsere Gremien durchgedrückt", erinnert sich Wolfgang Holzhäuser.

Typ mit zwei Gesichtern

Brav, zurückhaltend, wenig robust - nicht gerade der Ruf, der einem Mittelstürmer von Rang vorauseilt. Als "teuerste Nürnberger Rostbratwurst" hätten ihn manche Medien sogar bezeichnet, berichtet Holzhäuser, Leverkusens früherer Geschäftsführer. Zu schmächtig wirkte der 1,91-Meter-Blondschopf vielen; vielleicht nicht so überraschend, hatte Rackerer Kirsten 13 Jahre lang nach alter Schule sein Unwesen in den gegnerischen Strafräumen getrieben.



103 Tore später erzählt sich die Geschichte allerdings ganz anders. Torschützenkönig 2012/13, etabliert und konstant wie nur ganz wenige Neuner in der Bundesliga. Kein Wunder, dass Holzhäuser heute sagt: "Dass ihn die Medien Stefan heute am liebsten in der Nationalmannschaft sehen würden, erfüllt mich schon mit Genugtuung."

Nach Kirsten und Berbatov sehnt sich heute jedenfalls unter dem Bayer-Kreuz niemand mehr, längst hat Kießling alle im Club für sich gewonnen. Das liegt an seiner korrekten Art, vor allem aber hat er das seiner unermüdlichen Einsatzfreude zu verdanken: Kießling ist nämlich gewissermaßen ein Typ mit zwei Gesichtern. Abseits der Feldes stets zurückhaltend und schüchtern, während der 90 Minuten ein echter Kämpfer.

9020 Zweikämpfe in zehn Jahren



Auf dem Rasen weiß er sich zu wehren wie kaum ein anderer gegen all die Verteidiger-Haken und -Ösen, er schmeißt sich in die Duelle wie kein Zweiter in der Bundesliga: Einsatz für die Mannschaft bis zum Maximum. 9020 Zweikämpfe hat er geführt in den vergangenen zehn Jahren im Dienste Leverkusens und des 1. FC Nürnberg. Wie beachtlich dieser absolute Wert ist, wird erst im Vergleich deutlich: die Nummer 2 der aktuellen Bundesliga-Spieler, Bayern Münchens Bastian Schweinsteiger, kommt im selben Zeitraum auf gerade mal 6576.

Und ähnlich wie vor dem Tor erweist sich Kießling in den direkten Duellen als bemerkenswert effizient. 46 Prozent seiner Zweikämpfe hat der sechsmalige Nationalspieler gewonnen in den letzten zehn Jahren, für einen Stürmer eine außergewöhnlich gute Quote. Mit 49 Prozent stellte er 2012/13 sogar eine persönliche Bestmarke auf und den Topwert aller Stürmer, aktuell liegt sein Wert sogar bei 51 Prozent.

"Extrem wertvoll und absolutes Vorbild"



Der beste Kießling aller Zeiten? "Stefan hat sich überragend in den vergangenen Jahren entwickelt", sagt Sportdirektor Rudi Völler. "Er ist extrem wertvoll für unsere Mannschaft und auch für das Umfeld und unsere Fans ein absolutes Vorbild."

Auch die Gegenspieler wissen jedenfalls um die Schlüsselrolle des Mittelstürmers als Speerspitze des Leverkusener Konterspiels. 111 Mal ist Kießling im letzten Jahr gefoult worden. 27 Mal haben sie ihn dieses Jahr schon unfair attackiert - nur Wolfsburgs Diego bekommt mehr auf die Socken (XL-Galerie: Die Elf der "Opfer"). Im Schnitt wurde Kießling alle 25 Minuten regelwidrig gestoppt - noch häufiger als in den letzten fünf Jahren.

Zweikampftier. Einer, der sich wehrt, nicht zurücksteckt. Dazu ein ungemeiner Torriecher. Klang vor einiger Zeit in Leverkusen nach Kirsten oder Berbatov. Ist inzwischen aber auch Kießling.

Felix Seaman-Höschele