"Keine Einheit und Hierarchie"

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München - Der VfB Stuttgart hat nach seinem Negativlauf die Reißleine gezogen und Cheftrainer Christian Gross entlassen. Jens Keller soll nun für die Wende sorgen und die Schwaben möglichst schnell aus den Abstiegsrängen führen. Im Gespräch mit bundesliga.de schätzt VfB-Idol Guido Buchwald die Situation seines Ex-Clubs ein, beschreibt die Ursachen der Misere und charakterisiert den neuen Coach.

bundesliga.de: Herr Buchwald, hat der VfB Stuttgart mit der Beurlaubung von Christian Gross die richtigen Schlüsse gezogen?

Guido Buchwald: Der lange Zeitraum nach dem letzten Spiel zeugt davon, dass sich der VfB mit diesem Thema sehr intensiv befasst hat. Offensichtlich sind sie dann zum Ergebnis gekommen, handeln zu müssen. Als Außenstehender ist es immer schwer, das zu beurteilen - aber die Art und Weise, wie Fußball gespielt wurde, dürfte zu dieser Entscheidung geführt haben.

bundesliga.de: Wieso hat der VfB nicht schon in der vergangenen Woche gehandelt - dann hätte Jens Keller mehr Zeit gehabt, seine Ideen für das wichtige Spiel bei Schalke 04 umzusetzen?

Buchwald: Man tut sich immer schwer, einen erfolgreichen Trainer zu entlassen, der in der vergangenen Rückrunde eine derartige Serie hingelegt hat. Es ist also ganz normal, dass man es sich sehr lange überlegt, bevor man diesen Schritt tut. Natürlich hätte man noch das Schalke-Spiel abwarten können, um vielleicht dort die Wende zu schaffen. Aber über die Frage, ob es sinnvoll ist, gleich zu handeln oder noch zu warten, kann man im Vorhinein nur spekulieren.

bundesliga.de: Wie kam es denn aus Ihrer Sicht dazu, dass der VfB so schlecht in die Saison gestartet ist? Welche Faktoren haben zu dieser Niederlagenserie geführt?

Buchwald: Ich habe die Heimspiele im Stadion verfolgt. Auf dem Platz war keine Einheit zu sehen, hinzu kamen individuelle Fehler, die manchen Punkt gekostet haben. Viele Kleinigkeiten haben die Misere ausgemacht, zum Beispiel im ersten Spiel gegen Mainz, als Cacau den Elfmeter verschossen hat. Und bei manchen Schiedsrichterentscheidungen hatte der VfB auch kein Glück, wie am letzten Spieltag gegen Frankfurt. Es haben sich einfach zu viele Dinge addiert, die dann zu diesem Negativlauf geführt haben.

bundesliga.de: Apropos Negativlauf: Wie kommt es denn überhaupt dazu, dass Stuttgart im Herbst regelmäßig so schwach spielt, dann den Trainer wechselt und in der Rückrunde durchstartet? Fast scheint es so, als ob die Mannschaft einen neuen Coach braucht, um wieder in die Spur zu kommen...

Buchwald: Daran glaube ich nicht. Die Mannschaft verändert sich ja im Laufe der Zeit. Wenn man den Kader von dieser Saison mit dem von vor drei Jahren vergleicht, dann sieht man viele Veränderungen. Ein Khedira, ein Gomez oder ein Lehmann sind jetzt zum Beispiel nicht mehr dabei. Von daher denke ich nicht, dass das Team den Weckruf eines Trainerwechsels benötigt. Eher sind es mannschaftsinterne Dinge, die zu spät verändert werden. Es gibt in der aktuellen Saison zum Beispiel keine Hierarchie beim VfB - und demzufolge keine Harmonie auf dem Platz.

bundesliga.de: Beim VfB übernimmt nun zunächst einmal Jens Keller das Zepter. Ist er der richtige Mann für diese Aufgabe?

Buchwald: Es ist offensichtlich, dass der VfB eigentlich mit Gross weitermachen wollte, sonst hätte man einen renommierten Trainer in der Hinterhand gehabt. Jetzt haben sie sich doch kurzfristig für einen anderen Weg entschieden - und daher ist es ein logischer Schritt, den bisherigen Co-Trainer in die Verantwortung zu nehmen. Ich bin aber ziemlich sicher, dass es eine Interimslösung sein wird.

bundesliga.de: Sie kennen Jens Keller aus Ihrer gemeinsamen Zeit beim VfB Anfang der Neunziger Jahre. Was waren seine Stärken, die er vielleicht auch als Trainer einbringen kann?

Buchwald: Als Aktiver war er unheimlich ehrgeizig. Keller hat aus seinen Möglichkeiten das Optimale herausgeholt. Wenn ihm das als Trainer auch gelingt, dann könnte es schnell besser werden. Außerdem ist er schon lange im Trainerstab dabei und kennt die Spieler genau.

bundesliga.de: Was passiert, wenn Stuttgart am Samstag gegen Schalke 04 verliert?

Buchwald: Dann bleibt der VfB vorerst auf dem letzten Tabellenplatz - und man wird schnell einen neuen Trainer präsentieren.

bundesliga.de: Glauben Sie, dass der VfB bis zum Ende der Hinrunde die Abstiegsplätze verlassen wird?

Buchwald: Absolut. Die Qualität der Mannschaft ist da, dass man in absehbarer Zeit nach oben klettert. Es besteht ja kein großer Rückstand zu den Vereinen, die vor dem VfB stehen, wie Gladbach oder Köln. Schon mit einem Sieg hätte man den Anschluss geschafft. Von daher bin ich davon überzeugt, dass der VfB bis zum Ende der Vorrunde die Abstiegsplätze verlassen wird.

Das Gespräch führte Johannes Fischer