Für den Karlsruher SC und Bayer Leverkusen bestritt Jens Nowotny 334 Bundesliga-Spiele
Für den Karlsruher SC und Bayer Leverkusen bestritt Jens Nowotny 334 Bundesliga-Spiele

„Bayer 04 hat mich beeindruckt“

xwhatsappmailcopy-link

Vier Spiele, vier Siege. Bayer 04 Leverkusen konnte in der noch jungen Saison in allen drei Wettbewerben Ausrufezeichen setzen und einen perfekten Saisonstart hinlegen. Vor die Art und Weise, wie die Mannschaft von Trainer Roger Schmidt auftritt, verblüfft die Konkurrenz. Im Interview mit bundesliga.de spricht Bayer-Legende Jens Nowotny über die Ursachen des Erfolges und warnt aber auch vor möglichen Schwierigkeiten.

bundesliga.de: Herr Nowotny, Bayer 04 Leverkusen überrascht derzeit die Fußballfans und Experten gleichermaßen mit einem ebenso erfolgreichen wie spektakulären aggressiven Angriffsfußball. Wie gefällt Ihnen das System von Trainer Roger Schmidt?

Jens Nowotny: Für mich ist vor allem erstaunlich, wie schnell die Mannschaft das Konzept, das Trainer Roger Schmidt vorgegeben hat, auf dem Platz umgesetzt hat und wie schnell es gegriffen hat. Das war schon beeindruckend. Zumal das System der vergangenen Saison ganz anders war. Da legte Bayer 04 mehr Wert auf den kontrollierten, von hinten aufbauenden Kurzpass-Fußball. Jetzt hat man den einen überfallartigen, aggressiven Forechecking-Fußball praktiziert und Dortmund damit total überrascht und überrollt.

bundesliga.de: Wie erklären Sie sich das? Haben die Spieler genau auf diese Spielweise quasi gewartet und nun auch mit Neuzugang Hakan Calhanoglu den entscheidenden Spieler dazu bekommen?

Nowotny: Nein. Am wichtigsten war, wie gesagt dass Dortmund total überrascht von der Vorstellung von Bayer war. Dann ist in den ersten Sekunden direkt das Tor gefallen und Leverkusen hat danach nicht aufgehört, Dortmund unter Druck zu setzen und in vorderster Front zu attackieren. Sie haben den BVB nicht ins Spiel kommen lassen. Das war wichtiger und nicht die Frage, ob ein Calhanoglu, Toprak oder Leno gespielt haben. Die komplette Mannschaft hat ganz vorne attackiert.

bundesliga.de: Ist so ein aufwendiger Stil über die komplette Saison durchzuhalten?

Nowotny: Da habe ich meine Bedenken. Allerdings wurde ich auch schon von dem einen oder anderen korrigiert, dass die Trainingssteuerung und die Medizin heutzutage so weit ist, dass man eine solche Leistung über eine ganze Saison bringen kann. Aber wie gesagt: ich habe meine Bedenken, weil es für die Mannschaft eine neue Art von Fußball ist. Er ist sehr laufintensiv. Es wird sich zeigen, wie sich das über einen längeren Zeitraum praktizieren lässt, vor allem dann, wenn sich einmal der Misserfolg über zwei, drei Spiele einstellt und die Mannschaft in ein Loch fällt. Dann sagt dir der Kopf, dass du eigentlich müde bist.

bundesliga.de: Wo sehen Sie die Nachteile des Systems?

Nowotny: Das größte Problem könnte vorherrschen, wenn ein wichtige Eckpfeiler, der diese Philosophie auf dem Platz perfekt lebt, mal wegbrechen sollte. Ich denke da an Stefan Kießling, der in den letzten Jahren eigentlich immer mit an vorderster Front war, wenn es darum ging, Arbeit zu leisten. Er hat nicht nur die Qualität, sondern ist auch von der Einstellung und als Spielertyp kaum adäquat zu ersetzen. Wenn gerade er einmal ausfallen würde, könnte das ein Problem werden.

bundesliga.de: Borussia Dortmund hat einen ähnlichen Spielstil bereits mehrmals erfolgreich eine ganze Saison durchziehen können. Es kann also funktionieren.

Nowotny: Das ist richtig. Wenn man die Qualität im Kader in der Breite hat, kann das funktionieren. Bei Dortmund haben wir aber auch gesehen, dass, wenn eine Verletzungsmisere anfängt, schon einmal Probleme auftauchen und eine Durststrecke zu überstehen ist. Die Frage ist dann Wie stark sind die anderen Mannschaften? Ich glaube auch, dass es dieses Jahr für Dortmund oder Leverkusen ungleich einfacher wird, wirklich Deutscher Meister zu werden, weil ich davon ausgehe, dass Bayern München durch die Weltmeisterschaft auch Probleme bekommen wird.

bundesliga.de: Sie glauben also, dass diese Saison spannender wird?

Nowotny: Es ist mehr ein Hoffen, aber ich denke schon, weil die Bayern womöglich ihren Leistungen der letzten Jahre Tribut zollen werden. Das sieht man jetzt schon meiner Meinung nach in Ansätzen.

bundesliga.de: Welche Mannschaft könnte in dieser Saison ansonsten überraschen?

Nowotny: Hoffenheim. Sie haben im Umfeld aus den Querelen der letzten Saison gelernt und sich wieder auf das besonnen, was wichtig ist. Sie spielen einen guten Fußball, sie haben eine sehr gute, kompakte Mannschaft. Und sie haben mit Firmino einen Spieler, der durchaus die Torjägerkrone im Visier haben kann. Und mit Schipplock haben sie einen, den man von der Bank bringen kann und der dann noch etwas reißt. Ich denke, dass Hoffenheim eine Mannschaft ist, die vorne eingreifen kann.

Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski