Pierre Littbarski versuchte 1993 sein Glück in der japanischen J-League
Pierre Littbarski versuchte 1993 sein Glück in der japanischen J-League

"Japaner haben große Vorteile"

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Wolfsburg - Bei jedem zweiten Bundesligisten steht mittlerweile ein Japaner unter Vertrag. Shinji Kagawa begann bei Borussia Dortmund eine Weltkarriere, Makoto Hasebe wurde mit dem VfL Wolfsburg Deutscher Meister und reifte bei den "Wölfen" zum Kapitän der japanischen Nationalmannschaft.

Pierre Littbarski ging 1993 den anderen Weg und ließ seine Karriere im "Land der aufgehenden Sonne" ausklingen. Der Weltmeister von 1990 hat als Spieler und Trainer maßgeblich zur Entwicklung des japanischen Fußballs beigetragen. Die Auswahl des ostasiatischen Landes ist mitlerweile regelmäßig bei der WM dabei.

Im ersten Teil des Interviews mit bundesliga.de erzählt der 52-Jährige von den Schwierigkeiten, die ein Wechsel innerhalb zweier so unterschiedlicher Kulturen mit sich bringt, was Vereine beachten müssen, wenn sie einen Japaner unter Vertrag nehmen und welche Vorteile vor allem japanische Mittelfeldspieler haben.

bundesliga.de: Herr Littbarski, Profis aus Japan kommen bei europäischen Clubs immer mehr in Mode. Sie sind zum Ausklang Ihrer Karriere den entgegengesetzten Weg nach Japan gegangen, haben dort gespielt und sich in eine Japanerin verliebt, die Sie geheiratet haben. Sie können also gut beurteilen, wie sich ein Wechsel zwischen zwei so unterschiedlichen Kulturen auswirkt. Wie groß ist der Kulturschock?

Pierre Littbarski: Das ist schon erheblich. Das fängt beim Essen an, geht weiter über Tradition und Lebensweise, den unterschiedlichen Umgang mit anderen Menschen, anderen Erziehungssystemen, der Bedeutung der Familienzusammengehörigkeit. Es ist schon etwas Außergewöhnliches für sie, hier zu leben.

bundesliga.de: Das ist ja eine ganze Menge. Wie zeigt sich das im täglichen Leben?

Littbarski: Japanische Profis treten sehr bescheiden und zurückhaltend auf. Das merkt man ja auch bei den Interviews, die sie geben.

bundesliga.de: Und auf dem Feld?

Littbarski: Das ist für uns gewöhnungsbedürftig. Die Mentalität ist sehr unterschiedlich, vor allem, was den Umgang mit Kritik angeht. Das musste ich anfangs auch erst lernen. Ich habe schon mal auf dem Platz rumgeschrien, natürlich im Sinne der Mannschaft, aber für die Japaner war das ein Schock. Auch nach dem Spiel in der Kabine muss man vorsichtig sein. Unser Verständnis von Ironie und Flachserei ist doch ein anderes. Wenn ich hier zu einem Mitspieler sage: "Du bist ja wirklich ein Blinder", ist das für uns lustig und man kriegt mit Sicherheit einen Konter. Für die Japaner ist das erschreckend.

bundesliga.de: Das dürfte es ihnen sehr schwer machen, denn der Umgang unter Fußballern ist doch eher burschikos...

Littbarski: Richtig. Aber das war zu meiner Zeit noch viel extremer. Die jüngere Generation ist glücklicherweise schon ein wenig frecher. Aber trotzdem ist es schwer für sie, damit zurechtzukommen, denn Verunglimpfungen und Beleidigungen haben die Japaner gar nicht in ihrem Repertoire.

bundesliga.de: Wie erheblich sind die Auswirkungen der Sprachunterschiede?

Littbarski: Ich erkläre das mal aus meiner persönlichen Erfahrung: Ich habe an die zehn Jahre gebraucht, die doch sehr unterschiedlichen Sprachen und Schriftzeichen einigermaßen gut zu beherrschen. Umgekehrt wird das nicht einfacher sein.

bundesliga.de: Wenn man Japaner auf Reisen sieht, haben wir das Bild von großen Gruppen mit vielen Fotoapparaten vor Augen. Wie können die Vereine helfen, wenn ein Spieler so ganz allein nach Europa kommt?

Littbarski: Sie kommen in der Regel nicht allein. Meist ist ein Manager dabei, zudem kommen gleich zwei, drei Freunde mit. Sie sind schon ganz gut vorbereitet. Hilfreich ist für die Vereine ein guter Dolmetscher, der auch was vom Fußball versteht und dass man ihnen anfangs alle Probleme abnimmt. Die japanischen Spieler wollen sich zu 100 Prozent auf Fußball konzentrieren. Und über das Essen machen sie sich im Vorfeld sehr viele Gedanken. Wobei ich aber auch schon erlebt habe, dass sie mit Currywurst ganz gut zurechtkommen. (lacht)

bundesliga.de: Aus vielen Vereinen kennt man die so genannte "Südamerika-Fraktion", deren MItglieder ja sehr lebenslustig sind und viel gemeinsam unternehmen. Sollte man den Clubs nicht auch empfehlen, zumindest einen zweiten Japaner zu holen, wie es Nürnberg oder Stuttgart machen, damit sie Gesellschaft haben?

Littbarski: Das kann man nicht vergleichen. Als ich in Japan Trainer war, hatte ich ja auch eine Brasilien-Fraktion. Die haben natürlich viel zusammen gemacht. Die Japaner, die nach Deutschland kommen, wollen sich erst einmal durchsetzen. Sie leben alleine, haben ihren Plan im Kopf. Ihr Tagesablauf ist zu 100 Prozent durchgeplant. Ein zweiter Japaner kann da durchaus sogar eine Bürde sein, weil sie sich dann auch über ihren Partner Gedanken machen. Und das könnte ihre Leistung beeinflussen, besonders wenn einer spielt und der andere nicht. Natürlich treffen sie sich gern mal mit anderen Japanern, aber das muss nicht jeden Tag sein.

bundesliga.de: Ihr Wolfsburger Makoto Hasebe ist ja der dienstälteste Japaner in der Liga. Holen sich die Neuen Rat bei ihm?

Littbarski: Natürlich wenden sie sich mal an ihn. Die Japaner in der Liga treffen sich regelmäßig in Düsseldorf, wo ja die mit Abstand größte japanische Gemeinde in Deutschland lebt. Da haben sie auch ihre Restaurants, in denen sie sich treffen und natürlich auch untereinander austauschen.

bundesliga.de: Japaner spielen auf bestimmten Positionen. Wir werden in der Liga wohl kaum einen Torwart, Innenverteidiger oder echten Mittelstürmer aus Japan erleben. Ist auf Grund der Größenunterschiede die japanische Fußballphilosophie sehr viel anders als die deutsche?

Littbarski: Natürlich sind sie im Durchschnitt einige Zentimeter kleiner und spielen daher auch anders. Aber ich bin der Meinung, dass der augenblicklich im Fußball erforderliche Spielstil den Japanern sehr gut zu Gesicht steht. Das Spiel zwischen den Linien kommt ihnen sehr entgegen, da sie sehr beweglich sind, auf engstem Raum agieren können und eine sehr gute Technik haben. Da haben sie gerade im Mittelfeld große Vorteile gegenüber einem Spieler, der ein wenig größer und schlaksiger ist. Das ist im Moment gefragt. Dazu kommt ein sehr großes Engagement und ein Hang dazu, alles perfekt machen zu wollen. Und sie sind sehr trainingsfleißig und diszipliniert.

Das Gespräch führte Jürgen Blöhs

Hier geht's zum zweiten Teil des Interviews