Valerien Ismael: "Ich bin auf eine intakte Mannschaft gestoßen"

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Wolfsburg - Die Mannschaft wollte ihn behalten, die Verantwortlichen haben reagiert. Der VfL Wolfsburg hat Valérian Ismaël vom Interims- zum Cheftrainer mit Vertrag bis 2018 befördert. Vor dem Spiel gegen den FC Schalke 04 spricht der Franzose im Exklusiv-Interview mit bundesliga.de über die Sympathiekundgebung seiner Mannschaft in Freiburg, über Mario Gomez und über seine Karriereplanung.

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bundesliga.de: Herr Ismael, wenn man mitten in der Saison eine stark verunsicherte Mannschaft übernimmt, was sind die Sofortmaßnahmen?

Valerien Ismael: Zunächst einmal geht es darum, sich ein Bild von der Mannschaft zu verschaffen, um zu verstehen, was innerhalb der Mannschaft passiert und wo der Schuh wirklich drückt. Dieses Bild ergibt sich in erster Linie aus einer ganzen Reihe von Einzelgesprächen.

bundesliga.de: Sie befürchteten zunächst eine "Riesenbaustelle" vorzufinden, was aber nicht der Fall war. Wo drückte der Schuh aber tatsächlich?

Ismael: Ich hatte zunächst befürchtet, möglicherweise eine durch die Negativerlebnisse zerstrittene Mannschaft vorzufinden – was aber zum Glück überhaupt nicht der Fall war. Ich bin auf eine intakte Mannschaft gestoßen, die willig ist und vom ersten Tag an mitzieht. Aber die Spieler – auch die, die über großes internationales Niveau verfügen und schon viel erlebt haben – waren sehr verunsichert. Deshalb ging es erst einmal darum, das Selbstvertrauen nach und nach wiederaufzubauen.

bundesliga.de: Sie sind schon länger beim VfL und kennen die Gegebenheiten. Wenn man spürt, dass der bisherige Trainer in Frage gestellt wird, versucht man sich auf den Tag X vorzubereiten?

Ismael: Nein. Das wäre der falsche Ansatz. Dieter Hecking konnte mit dieser Mannschaft große Erfolge feiern, und wir alle haben von Woche zu Woche gehofft, dass das Team im nächsten Spiel noch einmal die Kurve bekommt und zurückfindet in die Erfolgsspur.

bundesliga.de: Konnten Sie sich bei Hecking noch über die Mannschaft informieren?

Ismael: Wir hatten ohnehin immer einen engen Kontakt und haben uns regelmäßig ausgetauscht. Wie Sie gesagt haben, bin ich bereits einige Zeit beim VfL. Ich kenne alle Abläufe und alle handelnden Personen und habe die Entwicklung dieser Mannschaft aus nächster Nähe miterleben können. Alles ging dann sehr schnell, so dass kaum Zeit für ein längeres Gespräch blieb. Aber wir haben uns zumindest noch über SMS austauschen können.

bundesliga.de: Nach dem dritten Treffer zum 3:0-Sieg in Freiburg ist die gesamte Mannschaft zu Ihnen gelaufen und hat demonstriert, dass man mit Ihnen weiterarbeiten möchte. Ein Gänsehaut-Moment?

Alle Infos zum Spiel #SCFWOB im Matchcenter

Ismael: Das war eine unglaubliche Geste der Mannschaft, mit der sie sich zudem geschlossen und als Einheit präsentiert hat. Natürlich war das ein Symbol dafür, dass so unser weiterer Weg aussehen könnte. Ich selbst habe das im ersten Moment gar nicht registriert, weil ich mit einer bevorstehenden Einwechslung beschäftigt war – und als ich mich umdrehe, steht plötzlich die komplette Mannschaft vor mir! Das war ein sehr schöner Moment und eine Bestätigung dafür.

bundesliga.de: Eine Geste, die mit dazu geführt hat, dass Sie das Team dauerhaft führen. Dabei wollten Sie ursprünglich einmal Manager werden. Was hat den Ausschlag gegeben, den Trainerjob zu wählen, der meist das schwächste Glied in der Kette ist?

Ismael: Das war eine schrittweise Entwicklung. Vielleicht habe ich mich damals auch zu früh festgelegt. Trotzdem war es ganz sicher kein Fehler, denn das, was ich an Erfahrung sammeln konnte, hat mir geholfen zu verstehen, wie ein Profi-Verein geführt wird, welche Entscheidungsprozesse es gibt, und warum diese oder jene Entscheidung getroffen wird. Trotzdem habe ich von Monat zu Monat mehr gespürt, dass mir etwas fehlt, dass ich den Rasen, die Kabine und das Zusammensein mit der Mannschaft vermisse. Also habe ich begonnen die Trainer-Lizenz zu machen, um ein Gefühl für den Trainer-Job zu bekommen. 

bundesliga.de: Sie haben die Lizenz seit April 2014...

Ismael: Und ich wusste sehr schnell, dass der Trainerjob genau das ist, was ich machen möchte. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, dass man sich Zeit nimmt ein Gefühl dafür zu entwickeln, was wirklich zu einem passt. Nur so kann man entscheiden, was man wirklich möchte, ob man Trainer oder doch Manager, und wenn Trainer, ob man eher Co- oder Nachwuchstrainer oder doch lieber verantwortlich für eine Profi-Mannschaft sein möchte. Nur so bekommt man ein klares Bild davon, wohin die Reise gehen sollte.

bundesliga.de: Man versucht heute gerne alles zu klassifizieren und spricht z. B. von "moderner Trainer", von "Laptop-Trainer" oder von "Feuerwehrmann". Wie ist Ihr Selbstverständnis?

Ismael: Ein Etikett sollen mir andere geben. Mir ist erst einmal wichtig, dass man auf dem Platz sieht, dass die Mannschaft einem klaren Plan folgt bzw. dass sie auch Lösungen findet, wenn es in einem Spiel Überraschungen und Widerstände gibt und es zunächst nicht so läuft wie gedacht. Für meine tägliche Arbeit bedeutet das, dass ich viel mit Video arbeite und immer wieder versuche, das, was ich der Mannschaft sage, durch Bilder zu belegen und zu untermauern. Das hilft mir, dass der einzelne Spieler versteht, was von ihm in einer bestimmten Situation verlangt wird. Mir ist wichtig, dass die Spieler Rückfragen stellen, damit wir auch kleinste Unsicherheiten ausräumen können. 

Video: Der VfL Wolfsburg bei der Keepy Uppy Challenge

bundesliga.de: Sie haben eine erste wichtige Personalentscheidung getroffen, indem Sie Diego Benaglio wieder zur Nummer Eins gemacht haben. Wie schwer fällt es, wenn man der bisherigen Nummer Eins, Koen Casteels, das mitteilen muss?

Ismael: Es ist Teil des Jobs Entscheidungen zu treffen, auch solche, die unangenehm sind. Man analysiert die Situation und schaut, was die Mannschaft braucht, welche Strukturen und welche Führungsspieler es gibt, die nicht nur mit ihrer eigenen Leistung beschäftigt, sondern in der Lage sind, auch auf die anderen zu schauen und ihnen zu helfen. Das war die Überlegung, die ich angestellt habe. Es war eine Entscheidung für die Mannschaft. Diego war und ist der Kapitän, und ihn braucht die Mannschaft in dieser Situation auf dem Platz. An einer Säule wie ihm können sich die anderen orientieren.

bundesliga.de: Mario Gomez wiederum hat sich zunächst schwer getan, seit Ihrer Berufung aber in vier Pflichtspielen vier Tore erzielt. Das klingt fast nach Wunderheilung und Handauflegen...

Ismael: Wäre es so einfach, würde ich jedem Spieler jeden Tag die Hand auflegen. (lacht) Nein. So geht das nicht. Es sind vielmehr die Einzelgespräche, die ich anfangs erwähnt habe, die eine Rolle spielen. Mario war auch in dieser Phase absolut klar und hat nie daran gezweifelt, was er kann. Natürlich war er verärgert, dass er nicht trifft, aber von Verzweiflung war da keine Spur. Also habe ich ihn ermuntert im Training noch konsequenter den Abschluss zu suchen, um sich mehr Sicherheit zu holen. Wenn man gesehen hat, wie er in der Woche vor dem Freiburg-Spiel im Training geackert hat und vorneweg marschiert ist, war es nur eine Frage der Zeit, bis er erfolgreich sein würde. Dass er sich in Freiburg mit gleich zwei Toren belohnen konnte, hat mich für uns alle, gerade aber auch für ihn persönlich sehr gefreut.

bundesliga.de: Jetzt treffen Sie auf Schalke, eine Mannschaft, die ebenfalls sehr verunsichert war, mittlerweile aber ins Rollen gekommen ist...

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Ismael: Das wird ein sehr intensives Spiel. Wie eigentlich jedes Spiel in der Bundesliga, wo in einer einzigen Partie jeder jeden schlagen kann. Schalke wird den Schwung der vergangenen Wochen mitnehmen und die Serie von neun ungeschlagenen Pflichtspielen ausbauen wollen. Aber wir haben ein Heimspiel und wollen vor unseren Fans ein anderes Bild abgeben, als das bisher der Fall war. Und wenn wir das umsetzen, was wir uns unter der Woche erarbeiten, haben wir die Möglichkeit dieses Spiel zu gewinnen.

bundesliga.de: Sehen Sie Schalke schon wieder als ein Spitzenteam?

Ismael: Schaut man auf die Tabelle, kann man aktuell bei Wolfsburg gegen Schalke sicher nicht von einem Top-Spiel sprechen. Beide Clubs können sich mit einem Dreier aber mehr Luft verschaffen und sich allmählich aus der unteren Tabellenregion absetzen. Und schaut man sich die Kader beider Teams an, dann darf man durchaus von einem Spiel sprechen, das auf sehr hohem, intensivem Niveau geführt werden dürfte.

Das Gespräch führte Andreas Kötter