DFL-Berater Hellmut Krug wurde während seiner aktiven Karriere vier Mal zum Schiedsrichter des Jahre sgewählt. - © © gettyimages
DFL-Berater Hellmut Krug wurde während seiner aktiven Karriere vier Mal zum Schiedsrichter des Jahre sgewählt. - © © gettyimages

Krug: "Torlinientechnik ein Vorteil für Schiedsrichter"

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Köln - Die Einführung der Torlinientechnologie wird gerade von Schiedsrichtern sehr positiv aufgenommen, wie Hellmut Krug, viermal Deutschlands Schiedsrichter des Jahres und seit 2007 Berater der DFL im Interview unterstreicht.

"Durch die Torlinientechnik wird die grundlegende Arbeit des Schiedsrichters nicht verändert"

bundesliga.de: Herr Krug, zur Saison 2015/16 wird in der Bundesliga die Torlinientechnik eingeführt. Worin sehen Sie die größten Vorteile dieser Neuerung?

Hellmut Krug: Aus Sicht des Schiedsrichters besteht der größte Vorteil darin, dass die Unparteiischen eine Unterstützung bei der Frage erhalten, ob der Ball im Tor war.

bundesliga.de: Die Bundesliga hat sich für das System Hawk-Eye entschieden. Wie funktioniert dieses System?

Krug: Beim Hawk-Eye werden beide Tore jeweils von sieben Kameras überwacht. Aus deren Bildern errechnet ein Computer, ob der Ball die Linie vollständig überschritten hat oder nicht.

bundesliga.de: Welche Veränderung erwarten Sie durch die Technik für die Arbeit des Schiedsrichters bzw. der Assistenten?

Krug: Wir haben die Schiedsrichter anlässlich des Pokalfinals in Berlin im Umgang mit diesem System bereits umfassend geschult. Man muss dazu aber festhalten, dass sich durch die Torlinientechnik die grundlegende Arbeit des Schiedsrichters nicht wesentlich verändern wird.

bundesliga.de: Inwiefern?

Krug: Die Schiedsrichter müssen natürlich auch weiterhin versuchen, eine Torerzielung selbst wahrzunehmen. Denn auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist, kann es vorkommen, dass die Technik einmal versagt. Trotzdem muss in jedem Fall eine Entscheidung getroffen werden. Die finale Entscheidungsgewalt hat weiterhin der Schiedsrichter. Im Normalfall nimmt dem Schiedsrichterteam die Technik diese wichtige Entscheidung in Zukunft ab - indem das System ein Signal gibt.

bundesliga.de: Sie sprechen das Signal an. Wie wird der Schiedsrichter darüber informiert, ob ein Treffer vorliegt?

Krug: Alle Offiziellen erhalten eine Uhr, die sowohl per Anzeige als auch über Vibration die Schiedsrichter sofort informiert. Zudem sind die Schiedsrichter auch weiterhin über das Headset-System miteinander verbunden. Auch dort ertönt beim Überschreiten der Torlinie ein Signal. Es findet unterm Strich also sowohl eine visuelle als auch eine akustische Information statt.

"Was von Schiedsrichtern verlangt wird, kann das menschliche Auge nicht leisten"

bundesliga.de: Der Aufschrei nach Fehlentscheidungen ist in der Öffentlichkeit meistens sehr groß. Nimmt die Technik die Schiedsrichter aus der medialen Schusslinie?

Krug: Natürlich, in der Frage der Torerzielung ist das definitiv der Fall. In der Vergangenheit kam es zwangsläufig zu Fehlurteilen, weil von den Schiedsrichtern und seinen Assistenten etwas verlangt wurde, was das menschliche Auge nicht leisten kann. Das menschliche Auge kann den Ball noch bis zu einer Geschwindigkeit von 12 km/h klar wahrnehmen. Diese Geschwindigkeit wird im Normalfall aber deutlich überschritten, die Schüsse haben meistens um die 100 Stundenkilometer. Von daher ist nahezu ausgeschlossen, dass die Schiedsrichter diese Aufgabe fehlerfrei erfüllen.

"Die Frage ist doch: Wann liegt tatsächlich ein Fehler des Schiedsrichters vor?"

bundesliga.de: Haben Sie in Ihrer Karriere eine Situation erlebt, in der Sie im Nachhinein froh über die Technik gewesen wären?

Krug: Ja, absolut. Ich kann mich spontan an zwei Fälle erinnern: Beim Spiel VfB Stuttgart gegen den Hamburger SV (Anm.d.Red.: 19. Spieltag der Saison 2001/02) wurde von mir eine Torentscheidung nicht gefällt, obwohl sich im Nachhinein herausstellte, dass der Ball die Linie überschritten hatte. Für noch mehr Wirbel hat aber eine Szene beim Spiel 1860 München gegen den 1. FC Kaiserslautern (Anm.d.Red.: 17. Spieltag der Saison 1999/00) geführt. Während der Partie ist Trainer Otto Rehagel zur Kamera gelaufen, um sich selbst zu vergewissern, ob der Ball im Tor war oder nicht. Der Ball war tatsächlich auch drin, allerdings war das weder aus meiner Position noch aus der meines Assistenten, dem die Sicht durch andere Spieler verdeckt war, erkennbar. Das waren zwei Fehlentscheidungen, die ich mir gerne erspart hätte. Damals wäre ich glücklich gewesen, wenn ich auf technische Hilfsmittel hätte zurück greifen können.

bundesliga.de: Nun gibt es Stimmen, die sagen, dass Fehlentscheidungen zum Fußball gehören und Diskussionen antreiben. Wie sehen Sie das?

Krug: Das sind häufig Romantiker, die das sagen. Nur sind die Schiedsrichter die Leidtragenden, da sie mit dieser Fehlentscheidung fertig werden müssen. Zwar kann man mit der Einführung der Torlinientechnik Fehlentscheidungen nicht gänzlich verhindern,. aber zumindest Fehlurteile bezüglich der Frage, ob der Ball die Torlinie überschritten hat oder nicht.

bundesliga.de: Macht das gleichzeitig auch den Weg für eine weitere technische Evolution im Schiedsrichterwesen Ihrer Meinung nach frei?

Krug: Das muss man differenziert betrachten. Denn bei der Frage der Torerzielung gibt es durch die Bilder der Torlinientechnik eine objektiv belegbare Entscheidung. Bei allen anderen Situationen ist das deutlich vielschichtiger. Wenn wir zum Beispiel über Zweikämpfe reden, so ist festzuhalten, dass viele Entscheidungen durchaus diskutabel sind, es auch  einen gewissen Ermessensspielraum gibt. Manchmal ist es eine Frage der Sichtweise, manchmal der Position des Schiedsrichters.

bundesliga.de: Was begünstigt denn die Einführung neuer technischer Hilfsmittel, wie zum Beispiel den Video-Assistenten?

Krug: Natürlich lösen prominente Fehlentscheidungen Diskussionen um die Einführung weiterer technischer Hilfsmittel aus. Wenn wir nicht das letztjährige Pokalfinale in Berlin, die Länderspiele Ukraine gegen England oder auch Deutschland gegen England gehabt hätten, würden wir über die Einführung der Torlinientechnik bis heute vielleicht gar nicht reden. Aus unserer Position ist es enorm wichtig zu trennen zwischen objektiv beweisbaren Tatbeständen, wie Tor oder nicht Tor, und Sachverhalten, bei denen durchaus unterschiedliche Urteile richtig bzw. nachvollziehbar sein können.

bundesliga.de: Warum ist das so schwer? Und wie könnte der Video-Assistent dort den Schiedsrichter unterstützen?

Krug: Bei klaren Fehlentscheidungen ist der Ruf nach dem Video-Assistenten immer schnell sehr laut. Aber die Frage ist doch: Wann liegt tatsächlich ein klarer Fehler des Schiedsrichters vor? Wer kann das jederzeit klar definieren? Wenn man sich mit dem Thema Video-Assistent oder Videoschiedsrichter auseinandersetzt, bleiben derzeit sehr viele offene Fragen. Außerdem gestattet die FIFA den Einsatz des Videoschiedsrichters noch nicht.

Das Gespräch führte Yannik Schmidt