Großer Bahnhof für Uwe Seeler, der in Hamburg seinen 75. Geburtstag feiert
Großer Bahnhof für Uwe Seeler, der in Hamburg seinen 75. Geburtstag feiert

"Ich war meist Fritz Walter"

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Hamburg - Am Samstag wird Uwe Seeler 75 Jahre jung. TV-Talkshows, Podiumsdiskussionen, Radio-, Zeitungs- und Zeitschriften-Interviews... - statt Ruhestand ist das Idol des Hamburger SV derzeit gefragt wie nie.

Und Seeler nimmt sich Zeit für jeden. So fand der Jubilar, den seit über 50 Jahren alle liebevoll "Uns Uwe" nennen, in seinem randvollen Terminkalender auch Platz für ein Gespräch mit bundesliga.de.

Seeler verrät, wem er als kleiner Junge auf dem Bolzplatz nachgeeifert hat, spricht über seine vier WM-Teilnahmen und was er sich zu seinem Ehrentag wünscht. Und dass er es nie bereut hat, das Millionen-Angebot von Inter Mailand abgelehnt zu haben.

bundesliga.de: Herr Seeler, wenn ich nach der Schule zum Bolzen ging, wollten damals alle Uwe Seeler sein. Wer war der junge Uwe Seeler auf dem Bolzplatz?

Uwe Seeler: Ein Vorbild hatte ich ja in der Familie, mein Vater Erwin hat ja recht erfolgreich beim HSV in der Oberliga gespielt. Aber meist war ich Fritz Walter.

bundesliga.de: Mit 16 haben Sie mit einer Sondergenehmigung des DFB zum ersten Mal in der 1. Mannschaft des HSV gespielt. Was war das für ein Gefühl?

Seeler: Das war ja nur für ein Freundschaftsspiel. Es war ein schönes Erlebnis. Die Jungs haben mich gut aufgenommen.

bundesliga.de: Ein Jahr später gaben Sie dann ihr Debüt in der Oberliga, die vor Gründung der Bundesliga 1963 die höchste Spielklasse in Deutschland war...

Seeler: Richtig. Das war gegen den VfL Oldenburg. Wir haben 3:0 gewonnen.

bundesliga.de: Und Sie haben gleich im ersten Spiel getroffen...

Seeler: Richtig.

bundesliga.de: Nur zwei Monate später folgte im Weltmeister-Jahr 1954 das erste Länderspiel. Wie haben Sie das mit 17 verarbeitet?

Seeler: Das ging alles so schnell. Da hatte ich gar keine Zeit zum Nachdenken. Ich habe einfach gerne Fußball gespielt.

bundesliga.de: 1960 wurden Sie mit dem HSV Deutscher Meister und der erste Spieler, der zum "Fußballer des Jahres" gewählt wurde. Ihre Leistungen blieben auch ausländischen Vereinen nicht verborgen. Ein Jahr später gab es das berühmte Millionen-Angebot von Inter Mailand. Wie war das?

Seeler: Damals gab es ja noch keine Berater. Die wohnten im Hotel "Atlantik", und wir haben drei Tage verhandelt. Trainer Helenio Herrera wollte mich unbedingt. Das Angebot lag am Ende weit über einer Million D-Mark. Aber ich habe mich für den HSV und meinen Beruf entschieden.

bundesliga.de: Und bekamen beim HSV eine Aufwandentschädigung von gerade mal 320 D-Mark. Außerdem gewann Inter 1964 und 1965 den Europapokal der Landesmeister. Mit dem HSV haben Sie nie einen internationalen Titel gefeiert. Haben Sie ihre Entscheidung mal bereut?

Seeler: Nein, niemals.

bundesliga.de: Sie haben 72 Länderspiele absolviert, waren bei vier Weltmeisterschaften dabei. Lassen Sie uns über die reden. 1958 musste Deutschland als Titelverteidiger nach Schweden. Damals gab es noch keine Auswechslungen, Trainer Sepp Herberger konnte also nicht sagen, ich bringe den Uwe Seeler noch mal für eine Viertelstunde. Waren Sie überrascht, dass Sie zur Startelf gehörten?

Seeler: Ja. Ich sollte als junger Mann nur zum Lernen mitfahren. Zwei Stunden vor dem ersten Spiel hat mir Sepp Herberger dann gesagt, dass ich spielen soll. Damit war das dann besiegelt, und dann hat mich der Ehrgeiz gepackt, und ich habe nicht mehr lockergelassen. (lacht) Das ist mir dann ja auch ganz gut gelungen.

bundesliga.de: Von der WM in Chile 1962 ist in Deutschland kaum etwas bekannt...

Seeler: War ja auch weit weg, und damals gab's ja noch keinen Fußball live im Fernsehen. Außerdem haben wir nicht so erfolgreich gespielt. Komischerweise haben wir ein System gespielt, das wir gar nicht konnten. Damals war der Catenaccio der Italiener sehr erfolgreich. Den wollte jeder so ein bisschen kopieren. Auch wir. Herberger hat sich dann später bei uns entschuldigt. Wir sind gegen Jugoslawien durch ein Jahrhundert-Tor ausgeschieden. Das war keine Schande. Jugoslawien war damals sehr stark.

bundesliga.de: 1966 standen Sie dann im wohl meist diskutierten Spiel der Fußball-Geschichte - dem WM-Finale gegen England. Das Foto, wie Sie mit hängendem Kopf enttäuscht das Feld verlassen, ist berühmt. War es die Enttäuschung über das verlorene Finale, oder wussten die Spieler, dass der Ball zum 3:2 für England kein Tor war?

Seeler: Wir wussten von vornherein, dass der Ball nicht drin war. Ich war ja zufällig am eigenen Strafraum und konnte es genauso sehen wie "Bulle" Weber. Er hat den Ball dann zur Sicherheit über die Latte geköpft. Ich hab' noch zu ihm gesagt, wenn du ihn zur Seite köpfst, wird weitergespielt. Schiedsrichter Dienst hatte ja auch auf Ecke entschieden. Aber dann kam der Linienrichter. Das Tor hat uns dann natürlich geschockt, aber auch in einem Spiel um die Weltmeisterschaft muss man Tatsachen gelten lassen.

bundesliga.de: Zur WM 1970 hat Helmut Schön Sie zum Rücktritt vom Rücktritt überredet. Da gab es gleich zwei Spiele, die bis heute unvergessen sind. Das 3:2 gegen England mit Ihrem Hinterkopf-Tor und das 3:4 im Halbfinale gegen Italien, das die FIFA zum "Spiel des Jahrhunderts" erklärt hat. Welches Spiel hat Ihnen besser gefallen?

Seeler: Beides waren tolle Spiele. Wir mussten zwei Mal innerhalb von drei Tagen in die Verlängerung und das in der Höhe und Hitze von Mexiko. Wenn der Schiedsrichter gegen Italien den Elfmeter gibt, dann müssen wir vielleicht gar nicht in die Verlängerung. Aber dann wäre es nicht dieses legendäre Spiel geworden. Irgendwas ist immer dabei. Aber so ist der Sport, man braucht auch immer das Quäntchen Glück.

bundesliga.de: Damals wurde Helmut Schön für seine Maßnahme kritisiert, mit Gerd Müller und Ihnen eine Doppelspitze zu bringen. Eine Maßnahme, die auch heute noch ein Thema ist. So gibt es in der Nationalmannschaft das Problem Miroslav Klose und/oder Mario Gomez, bei Ihrem HSV ist die Diskussion Mladen Petric zusammen mit Paolo Guerrero oder nicht? Was halten Sie von der Diskussion? Geht es mit zwei klassischen Spitzen im modernen Fußball?

Seeler: Wenn beide sich aufeinander einstellen, geht alles. Das ist eine reine Frage des Wollens. Bei Gerd und mir hat das doch sehr gut geklappt. Am Ende waren alle begeistert.

bundesliga.de: Sie haben 404 Pflichtspieltore in 476 Spielen für den HSV und 43 Länderspieltore in 72 Partien erzielt, zur Not auch mit dem Hinterkopf. Gibt es ein Tor, das Ihnen besonders gefallen hat?

Seeler: Nein, es gibt viele schöne Tore. Aber ein Tor ist mir als besonders wichtig in Erinnerung, das 2:1 in Schweden in der WM-Qualifikation nach meiner Achillessehnen-Operation. Da wusste ich, ich kann auch noch auf hohem Niveau spielen. Damals war die Medizin noch nicht so weit. Ein Achillessehnenriss bedeutete das Karriereende. Auch mir wurde gesagt: Feierabend. Ich war der erste Spieler, der nach so einer Verletzung überhaupt wieder gespielt hat.

bundesliga.de: Sie sind gerade mal 1,68 Meter groß. Trotzdem haben Sie viele Tore mit dem Kopf erzielt. Kann man das trainieren?

Seeler: Wichtig ist ja nicht die Größe oder das Springen. Es ist auch die Einschätzung des Balles. Man muss zum richtigen Zeitpunkt springen. Das habe ich am Kopfballpendel immer wieder geübt.

bundesliga.de: Sie sind Ehrenspielführer der Nationalmannschaft, bekamen als erster Sportler das große Bundesverdienstkreuz und sind als bisher einziger Sportler Ehrenbürger Hamburgs. Nun haben es Hanseaten ja nicht so mit Orden...

Seeler: Das ist richtig. Trotzdem freue ich mich natürlich darüber.

bundesliga.de: Nachdem der HSV unter anderem durch zwei Treffer von Uwe Seeler mit einem 4:1 im Viertelfinale des Landesmeister-Pokals 1961 ein 1:3 aus dem Hinspiel beim englischen Meister FC Burnley gedreht hatte, schrieb der Frankfurter Journalist Richard Kirn: "Uwe ist der Sohn des Landes! Er ist unser Uwe. Welch kerniges Mannsbild". So entstand das berühmte "Uns Uwe", wie Sie nicht nur in Hamburg jeder nennt. Sind Sie stolz darauf?

Seeler: Was heißt stolz? Die Fans haben das übernommen, vor über 50 Jahren. Und seitdem lebe ich damit.

bundesliga.de: Sie haben drei Töchter. Haben die auch Fußball gespielt?

Seeler: Nein, damals war Frauen-Fußball noch nicht in. Aber alle haben Sport getrieben. Tennis, Handball und Leichtathletik.

bundesliga.de: Was halten Sie denn von Frauen-Fußball?

Seeler: Wenn ich ehrlich bin, habe ich anfangs gedacht: Muss denn das auch noch sein? Aber mittlerweile bin ich ganz begeistert. Die spielen guten Fußball.

bundesliga.de: In der Jugend des HSV spielt ein Enkelsohn von Ihnen. Wird Levin Öztunali, der ja U15-Nationalspieler ist, die Tradition von Ihrem Vater Erwin, Ihrem Bruder Dieter und Ihnen beim HSV fortsetzen?

Seeler: Nun mal langsam. Darüber wollen wir nicht reden. Der ist 15. Er soll Spaß haben und die Schule machen. Was daraus wird, warten wir mal ab. Er soll seine Begeisterung und Unbefangenheit behalten. Wir schirmen ihn so gut es geht ab.

bundesliga.de: Ihren 50. Geburtstag haben Sie in aller Stille gefeiert und statt Geschenken darum gebeten, das Geld bedürftigen Jugendabteilungen Hamburger Vereine zu spenden. Am Samstag werden Sie 75. Jahre alt. Wie wird dieses Ereignis gefeiert?

Seeler: Schon etwas größer. Der HSV hat eingeladen zu einer Feier im Stadion (400 Gäste werden erwartet, Anm. d. Red.). In meinem Alter braucht man keine Geschenke mehr. Stattdessen bitten wir um Spenden für meine Stiftung für Behinderte und Bedürftige.

bundesliga.de: Was wünschen Sie sich persönlich zum Geburtstag?

Seeler: In unserem Alter ist Gesundheit das Allerwichtigste. So lange man gesund und munter ist, kann man alles noch selbst beschicken, was man gern möchte.

bundesliga.de: Und dass der HSV aus der Abstiegszone herauskommt?

Seeler: Natürlich. Aber da kann ich ja leider nicht mehr machen als Daumen drücken.

bundesliga.de: Vielleicht schenkt die Mannschaft Ihnen ja drei Punkte in Leverkusen...

Seeler: Das wäre schön.

bundesliga.de: Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute!

Das Gespräch führte Jürgen Blöhs