Mund abputzen: Kapitän Philipp Lahm und sein Team können erst am 14. November Wiedergutmachung betreiben
Mund abputzen: Kapitän Philipp Lahm und sein Team können erst am 14. November Wiedergutmachung betreiben

Historische Lehrstunde

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Hamburg - Die deutschen Nationalspieler und Bundestrainer Joachim Löw rangen direkt nach dem Schlusspfiff im Berliner Olympiastadion um Worte. "Wenn man 4:0 führt und es geht 4:4 aus, dann ist was schief gelaufen", fasste Kapitän Philipp Lahm das historische Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Schweden noch am wortreichsten zusammen. Noch nie hat die Nationalelf in der Geschichte des DFB einen so hohen Vorsprung verschenkt.

"Wahrscheinlich begann das Problem irgendwo im Kopf"

Mit der spielerischen Klasse der Gäste aus Skandinavien war der totale Einbruch in der zweiten Halbzeit nicht zu erklären. Denn bis dahin waren die "Blagult", wie das schwedische Team genannt wird, ähnlich harmlos wie die Iren beim 6:1-Erfolg des DFB-Teams am Freitag.



"60 Minuten waren absolut hervorragend, wir haben alles im Griff gehabt. Dass wir uns so aus dem Rhythmus bringen lassen, habe ich nicht erwartet", haderte ein sichtlich enttäuschter Löw, der den Grund für das Fiasko in der Psyche suchte: "Wahrscheinlich begann das Problem irgendwo im Kopf."

Damit dürfte er wohl Recht haben. Denn nach dem 4:0 durch Mesut Özil schalteten die deutschen Kicker kollektiv auf Energiesparmodus um. Den letzten energischen Schritt gehen, um an den Ball zu kommen? Das musste nicht mehr sein. Schließlich führte man hoch, war überlegen und selbst Superstar Zlatan Ibrahimovic hatte man im Griff.

So ging alles plötzlich ganz schnell. Eben jener Ibrahimovic eröffnete den Gegentorreigen, der in der Nachspielzeit mit dem 4:4 sein Ende fand. "Es darf nie im Leben passieren, dass wir nach 4:0 noch Punkte hergeben. Jeder hat sich zu sicher gefühlt und hat einen Schritt weniger gemacht", analysierte Bayerns Bastian Schweinsteiger.

Neuer leistet sich ungewohnte Fehler



Und Lahm stellte fest: "Nach zwei Toren ist alles zusammengebrochen, das darf einer Spitzenmannschaft nicht passieren. Wir haben unkonzentriert gespielt, Fehler gemacht, waren nicht mehr in der Ordnung, dann kassiert man gegen Schweden auf einmal vier Tore."

An Schweinsteiger und Lahm wäre es in der entscheidenden Phase gewesen, mit Erfahrung und Routine die Mannschaft wachzurütteln. Ein Schweinsteiger hätte als zentraler Spieler den Ball halten und das Spiel beruhigen müssen. Das gelang ihm nicht.

Die Unsicherheit breitete sich wie ein Lauffeuer aus und selbst der sonst so sichere Rückhalt Manuel Neuer leistete sich im Tor Patzer. Seine Innenverteidiger Holger Badstuber und Per Mertesacker liefen nur noch mit den Gegenspielern mit. Als sie das Unheil haben kommen sehen, "haben wir den Schalter nicht mehr umlegen können", meinte Mittelfeldstratege Toni Kroos.

Historische Marke rückt näher



So durfte sich an diesem Abend neben den Schweden eigentlich nur Miroslav Klose ein wenig freuen, der zwei Mal traf und mit nun 67 Toren an den ewigen Rekord von "Bomber" Gerd Müller herangerückt ist. Der führt die ewige Torschützenliste des DFB noch mit 68 Treffern an.

Der Bundestrainer wäre jedoch nicht der Bundestrainer, wenn er nicht auch positive Lehren aus dem 4:4 ziehen würde. "Wir sind jetzt wahnsinnig enttäuscht, aber auch das wird uns nicht aus der Bahn werfen. Das ist vielleicht ein Spiel, wo man für alle Zeiten etwas lernen kann", meinte Löw.

Die nächste Chance, das zu beweisen - oder besser nicht -, bietet sich am 14. November im Testspiel gegen die Niederlande. In der WM-Qualifikation geht es erst am 22. März 2013 mit der Partie in Kasachstan weiter. Bis dahin sollten die deutschen Spieler und das Trainerteam den historischen Abend von Berlin abgehakt haben.

Michael Reis