Hellmut Krug, Schiedsrichter-Experte bei der DFL und Mitglied des DFB-Schiedsrichter-Führungsteams, erklärt die vorgenommenen Regeländerungen
Hellmut Krug, Schiedsrichter-Experte bei der DFL und Mitglied des DFB-Schiedsrichter-Führungsteams, erklärt die vorgenommenen Regeländerungen

Hellmut Krug: "Die Änderungen der Abseitsregel machen es für alle einfacher"

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Frankfurt - Die FIFA hat die Abseitsregel zur Saison 2013/14 geringfügig modifiziert. Welche Situationen im Spiel davon betroffen sind und welche Auswirkungen sie haben, erklärt Hellmut Krug, Schiedsrichter-Experte bei der DFL und Mitglied des DFB-Schiedsrichter-Führungsteams, im Interview mit bundesliga.de.

bundesliga.de: Herr Krug, wie genau sehen die Neuerungen der FIFA zum Thema Abseits aus?

Hellmut Krug: Die FIFA hat lediglich zwei Präzisierungen vorgenommen. Die eine definiert genauer, wann ein Spieler aktiv ins Spielgeschehen eingreift. Bisher konnten schon Bewegungen oder Gesten ausreichen, damit der Schiedsrichter von einer Störung ausgeht und Abseits pfeift. Das hat zu einem großen Interpretationsspielraum bei der Bewertung geführt. Nach der neuen Definition greift ein im Abseits stehender Spieler erst ins Spielgeschehen ein, wenn er einen Abwehrspieler, der den Ball spielen will, attackiert bzw. unter Druck setzt. Eine reine Irritation reicht nicht mehr aus.

bundesliga.de: Und die zweite Präzisierung der Abseitsregel?

Krug: Dabei geht es darum, zwischen einer absichtlichen und einer unabsichtlichen Aktion des Abwehrspielers zu unterscheiden. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass durch eine absichtliche Aktion des Abwehrspielers eine ursprüngliche Abseitsstellung aufgehoben wird, da der Ball vom Gegner kommt. Wird ein Abwehrspieler hingegen angeschossen und der Ball prallt ohne sein eigenes Zutun von ihm ab, findet keine Neubewertung der Abseitssituation statt.

bundesliga.de: Können Sie ein konkretes Beispiel aus der letzten Saison nennen, bei der es im neuen Spieljahr eine andere Entscheidung geben würde?

Krug: Bei dem Spiel Hamburger SV gegen den FC Augsburg kam in der Vorsaison ein Pass auf Heung Min Son, der mitten im gegnerischen Strafraum im Abseits stand. Son geht dem Ball entgegen. Gleichzeitig bewegt sich ein Augsburger Abwehrspieler zwei Schritte Richtung Ball und versucht, den Pass abzublocken. Er trifft den Ball aber nur mit dem Unterschenkel und kann nicht verhindern, dass Son an den Ball kommt und ein Tor schießt. In der letzten Saison annullierte der Schiedsrichter den Treffer noch zu Recht. Zukünftig wird in solchen Fällen das Spiel nicht mehr wegen Abseits unterbrochen, da die Aktion des Abwehrspielers gewollt und geplant war.

bundesliga.de: Welche Auswirkungen hat das für die Schiedsrichter und die Spieler?

Krug: Es wird für alle Beteiligten einfacher, weil die Auslegung der Regel nun klarer ist. Die überlegte und geplante Aktion eines Abwehrspielers ist ebenso leichter zu erkennen wie ein gezielter Angriff auf einen Spieler. Für die Schiedsrichter und ihre Assistenten sind das Erleichterungen, weil es weniger Spielräume gibt und damit weniger Diskussionen. Früher haben wir mitunter sogar in unserem Schiedsrichter-Führungsteam diskutiert, ob der Eingriff eines Spielers tatsächlich als strafbar zu bewerten war oder eher nicht.

bundesliga.de: Sie sehen diese Änderungen also positiv?

Krug: Sie sind auf jeden Fall sinnvoll, weil sie mehr Klarheit schaffen. Spürbar werden sich die Änderungen jedoch nur bei ganz wenigen Entscheidungen auswirken.

bundesliga.de: Noch eine Frage zum Thema Handspiel. Hier gibt es eine leichte Veränderung im persönlichen Strafmaß: Zusätzlich zu einem Frei- oder Strafstoß wird ein Spieler auf jeden Fall mit einer Gelben Karte bestraft, wenn er einen Schuss auf das eigene Tor mit der Hand aufhält. Es gibt aber keine weitere Erklärung dazu, was denn nun Hand ist.

Krug: Bei der Änderung des Strafmaßes passen wir uns lediglich der internationalen Regelauslegung an. Ansonsten brauchen wir in dem Zusammenhang keine weitere Erklärung. Das absichtliche Handspiel ist in der Theorie klar definiert.

bundesliga.de: Und die Definition lautet?

Krug: Grundsätzlich unterscheiden wir neben dem für jedermann ersichtlichen absichtlichen Handspiel zwischen einem Handspiel, das in einer natürlichen und einem, das in einer unnatürlichen Körperhaltung stattfindet. Je weiter der Spieler seine Arme vom Körper abspreizt, desto eher liegt ein ahndungswürdiges Handspiel vor. Probleme entstehen innerhalb der Grauzone, dort wo das unabsichtliche Handspiel - Arme in natürlicher Körperhaltung - übergeht in das absichtliche - Arme vom Körper unnatürlich weit entfernt. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer unnatürlichen Vergrößerung der Körperoberfläche.

bundesliga.de: Trotzdem gab es in der letzten Saison viele strittige Situationen dazu.

Krug: Das ist kaum zu verhindern, da der Übergang von einer natürlichen zur unnatürlichen Körperhaltung fließend ist, der Schiedsrichter in Sekundenbruchteilen entscheiden muss.

bundesliga.de: Gibt es zur neuen Saison noch weitere Regeländerungen?

Krug: Ja. Auch bei Notbremsen durch den Torwart passen wir uns den von der FIFA vorgegebenen Regelungen an. In der Vergangenheit haben die Schiedsrichter den Torhüter, wenn er in einer torwarttypischen Aktion zum Ball ging, diesen aber verfehlte und den Gegenspieler zu Fall brachte, nur verwarnt. Künftig wird der Torhüter dem Feldspieler hier komplett gleich gestellt, das heißt eine Notbremse zieht automatisch einen Feldverweis nach sich.

Das Gespräch führte Alexander Dionisius