Harald Wohner kümmert sich seit 58 Jahren um die Schuhe der Bayer-Stars
Harald Wohner kümmert sich seit 58 Jahren um die Schuhe der Bayer-Stars

Der Schuh-Papst von Leverkusen

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Leverkusen - Es ist der wohl größte Triumph der Leverkusener Vereinsgeschichte. In der Kabine im alten Haberland-Stadion feiern die Bayer 04-Spieler auch eine Stunde nach dem Abpfiff noch immer ausgelassen den UEFA-Cup-Sieg 1988. Der Champagner und das Bier fließen in Strömen. Und natürlich wird ordentlich damit herumgespritzt. Sektdusche für Trainer Erich Ribbeck inklusive. Auch die Uhr an der Wand bleibt nicht verschont. Als am nächsten Tag die Aufräumarbeiten beginnen, soll sie weggeschmissen werden. "Sie war total nass, aber lief noch. Da habe ich sie mitgenommen", sagt Harald Wohner, Betreuer der Werkself. Seit über 50 Jahren hütet er alles, was mit Bayer 04 zu tun hat.

Wohner sorgt für Ruhe

In dieser Zeit hat er alle Höhen und Tiefen des Vereins hautnah miterlebt. 1956 kam er aus der DDR ins Rheinland und wollte bei Bayer 04 eigentlich selbst Fußball spielen. Sein Talent reichte aber nicht. Doch Harald Wohner hinterließ in den wenigen Tagen schon einen bleibenden Eindruck, kam ungemein gut an, und daher sollte er auch bleiben. Wohner wurde Betreuer der Amateurmannschaft. Es war der Startpunkt seines Lebenswerks. "Dort war ich das Mädchen für alles", sagt der inzwischen dienstälteste Bayer 04-Mitarbeiter. Wohlgemerkt neben seiner Arbeit als Erster Staplerfahrer in der Transportzentrale im Bayer-Werk.

Schon damals pflegte er ein besonderes Verhältnis zu Reiner Calmund, der sich in seiner Anfangszeit in Leverkusen vornehmlich um den Amateurbereich kümmerte. Unvergessen bleibt für Wohner, wie er einmal einen Tag vor Heiligabend einen Anruf von seinem Freund Calli bekam, er solle ein paar Sachen zusammenpacken, es gehe ab nach Asien. Gesagt, getan: Weihnachten in Thailand. Auch auf Hawaii, in Los Angeles und Las Vegas waren die beiden zusammen. Und Calmund wollte ihn 1980 dann auch als Betreuer der Profis – ein Vollzeitjob.

Wohner lehnte allerdings erst ab. "Ich hatte Angst, meine Arbeit beim Bayer aufzugeben. Ich stand kurz vor meinem 25-jährigen Jubiläum und dachte: 'Was ist, wenn der Trainer mich nicht mag? Dann steh‘ ich auf der Straße!'" Doch die Sorge erwies sich schnell als unbegründet. Ob unter Willibert Kremer, Gerd Kentschke oder ab 1982 unter dem großen Dettmar Cramer; Harald Wohner war immer beliebt. Auch, weil alle Übungsleiter schnell merkten, dass sie sich auf ihn verlassen können. "Der Trainer muss seine Ruhe haben. Dafür sorge ich", erklärt Wohner.

Zu seinen Aufgaben zählten das Waschen der Trikots, Kofferpacken vor den Auswärtsfahrten und die Kabinenpflege. Seine Leidenschaft waren aber schon damals die Schuhe. Um die kümmert sich der heute 79-Jährige noch immer. Gegenüber der Spielerkabine hat Harald Wohner in der BayArena sein Reich, dort stehen die Schuhe aller Spieler, dort putzt, schleift, schraubt er an ihnen. Und dort hängt auch die legendäre Uhr aus dem Jahr 1988. "Sie läuft noch immer", sagt Wohner und klopft auf seine Werkbank. "Toi, toi, toi." Ein bisschen also wie er selbst.

Pionier Paulo Sergio mit weißen Schuhen

Sein Raum wirkt wie ein Relikt aus alten Tagen, zwischen den kleinen Maschinen hängen Wimpel von großen Spielen und schwarz-weiße Fotos aus vergangenen Jahren. Wohner ist auf vielen selbst mit drauf. Alles drumherum hat sich mit der Zeit geändert. Niemand trägt mehr die klassischen schwarzen Schuhe, heute dominieren an den Füßen schrille und bunte Farben. Angefangen hat damit Paulo Sergio. "Der kam damals mit weißen Tretern an, da haben sie alle geguckt", erinnert sich Wohner. In all den Jahren hat er es nie geschafft, den Brasilianer für den Klassiker in schwarz zu begeistern. Und dennoch kümmerte er sich um seine Schuhe wie um alle anderen auch: mit Fischfett und dann eben farbloser Schuhcreme. 

In der Regel braucht jeder Spieler fünf oder sechs Paar pro Saison - wenn er nicht gerade Knut Reinhardt heißt. "Der hat die Dinger verschlissen wie kein anderer", sagt Wohner und muss laut lachen: "Maximal zwei Spiele, dann waren sie weg." Ganz anders war Jürgen Röber. "Der hat manche Paar über ein Jahr lang getragen." Das Geheimnis? Mit den Schuhen hat sich Röber zu seiner aktiven Zeit nach dem Training immer in die volle Badewanne gelegt, "damit sie sich perfekt an den Fuß anpassten. Das habe ich ihm aber ausgetrieben." 

Auch heute noch haben einige Akteure so ihre Eigenheiten. Heung-Min Son zum Beispiel. "Seit einem Jahr gebe ich ihm Woche für Woche Stollenschuhe mit, aber er packt sie nicht an", sagt Wohner. Son schwört auf Nocken - genauso wie Röber im Übrigen. "Wenn er es sich aber mal anders überlegt, ist er gewappnet und hat Stollen." Harald Wohner überlasst eben auch im hohen Alter nichts dem Zufall.

Stepanovic und die Schwenkgläser

Gelernt hat er diese Sorgfalt von Dettmar Cramer. "'Harald, die Schuhe müssen immer gepflegt werden', hat er immer gesagt!“. Dabei hat Harald Wohner die Sachen des Chefs nie selbst in die Finger bekommen. Cramer hat seine Wäsche stets selbst gemacht - mit der Hand in der Badewanne. Ein ganz anderer Trainertyp sei Dragoslav Stepanovic gewesen. Nach einem Pokalspiel in Augsburg saß Wohner mal mit Calli, Stepi und Co. beisammen, als der Coach wettete, kleine Schwenkgläser mit dem Finger zweiteilen zu können. "Ich hätte nicht gedacht, dass er ernst macht", erzählt Wohner. Doch Stepi machte ernst - nur nicht lange. Es blieb bei einem Versuch. 

Ähnlich wie seine Idee, eine Sprechanlage über die drei Trainingsplätze zu installieren, um lautere Ansagen machen zu können. Im Trainingslager in den USA fiel Stepi die Apparatur auf, doch sie wurde in Leverkusen nicht salonfähig. Jahre später ging es dann mit Christoph Daum ins Trainingslager nach Grünberg - und über die sagenumwobenen Scherben. "Allerdings nicht für mic"“, sagt Wohner: "Ich hatte immer Schuhe an!". Klar, schließlich ist er der Schuh-Papst von Bayer 04. 

Unter der Regie von Daum erlebte er in Unterhaching dann auch die dunkelste Stunde seiner langen Zeit mit der Werkself. "Es waren alle am Boden zerstört. Das vergesse ich nie", sagt Wohner und blickt gedankenverloren an die Wand. Dort tickt die alte Uhr noch immer. Ob er sie irgendwann mal mit nach Hause nehmen will, weiß er noch nicht. Das ist aber auch nicht wichtig, denn Harald Wohners Zeit bei Bayer 04 läuft auch mit 79 Jahren noch weiter.