Markus Babbel (l., gegen Davor Suker) spielte zwölf Jahre in der Bundesliga und fünf Jahre in der englischen Premier League und wurde 1996 Europameister
Markus Babbel (l., gegen Davor Suker) spielte zwölf Jahre in der Bundesliga und fünf Jahre in der englischen Premier League und wurde 1996 Europameister

"Glänzende Situation für England"

xwhatsappmailcopy-link

Zum Abschluss des Länderspieljahres gibt es für die Fans - und sicher auch für die Spieler der Nationalmannschaft - nochmal ein richtiges Bonbon. Denn am Mittwoch (ab 20:30 Uhr im Live-Ticker) trifft die deutsche Nationalmannschaft im Berliner Olympiastadion auf England.

Deutschland - England: Diese Begegnung stand in der Vergangenheit für großen Fußball und einizgartige Momente wie das Wembley Tor im Endspiel der Weltmeisterschaft 1966. Was können die Fans am Mittwoch erwarten?

Im Interview mit bundesliga.de spricht Markus Babbel, Co-Trainer beim VfB Stuttgart und von 2000 bis 2004 England-Legionär, darüber, was die Fans am Mittwoch erwarten können und wie die Situation beim Gegner von der Insel aussieht.

bundesliga.de: Herr Babbel, England steht nach vier Spieltagen in der WM-Qualifikation auf Platz 1 der Gruppe 6. Wie ist die Stimmung im Königreich?

Markus Babbel: Fabio Capello ist zu Anfang sehr skeptisch empfangen worden. 'Schon wieder ein ausländischer und kein englischer Trainer' hieß es da oft. Aber besonders durch den 4:1-Sieg in Kroatien hat er sich nun durchgesetzt - wobei das ja auch immer ganz schnell in die andere Richtung geht. (lacht) Das steht und fällt einfach mit den Erfolgen. Wenn er erfolgreich arbeitet, dann mögen ihn die Engländer, und wenn nicht, dann wird er auch wieder sehr schnell davongejagt werden.

bundesliga.de: Was genau macht Capello denn anders als sein Vorgänger Steve McClaren?

Babbel: Er hat meines Erachtens sehr gut erkannt, dass sich ein (Frank) Lampard und (Steven) Gerrard in der Mitte einfach beißen. Beides sind klasse Spieler, zweifellos, aber wenn die beiden zusammen in der Mitte spielen, hab ich noch nicht ein gutes Länderspiel von ihnen gesehen. Nebeneinander tun sie sich schwer und das hat Capello erkannt und Gerrard auf die linke Position gezogen. Ansonsten legt er sehr viel Wert auf Disziplin in der Defensive, wie das bei Italienern so ist, und damit fährt er bisher sehr gut.

bundesliga.de: Wie beurteilen Sie die bisherige Leistung des englischen Teams?

Babbel: Ich habe die Engländer im Spiel gegen Kroatien gesehen. Da haben sie mir sehr, sehr gut gefallen. Es war eine sehr gute Balance zwischen Angriff und Abwehr. Sie haben in der Defensive extrem gut gestanden und haben unheimlich schnell umgeschaltet. Mit Theo Walcott, Shaun Wright-Phillips und Steven Gerrard haben sie außergewöhnlich schnelle Spieler und das haben sie genutzt, ihre Konter in Perfektion ausgespielt. Das war klasse. Aber das war auswärts. Da tun sie sich leichter als zuhause.

bundesliga.de: Inwiefern?

Babbel: Die vergangenen Jahre war es immer so, dass England in Heimspielen unheimliche Probleme hatte, wenn es auf einen defensiv eingestellten Gegner getroffen ist. Da war es für die Engländer schwer, solch ein Bollwerk zu knacken. Dazu kommt noch ein unglaublich großer Druck von außen. Das ist immens, das kann man mit unserer Nationalmannschaft gar nicht vergleichen. In England machen sie ihre Spieler oft so groß, dass die diese Erwartungen gar nicht erfüllen können. Jedes Jahr erwartet man in England von dem Team den Weltmeisterschaftstitel oder den Europameisterschaftstitel und das letzte Mal, dass die was gerissen haben war 66 (Weltmeistertitel 1966, Anm. d. Red.). Und diesen Druck zu handlen, dass ist nicht so einfach. Und ich bin mal gespannt, ob so ein großer Trainer, der viel erlebt hat, große Mannschaften trainiert hat, ob der diesen Druck handlen kann.

bundesliga.de: Ist dieser enorme Druck vielleicht auch der Grund dafür, dass es - mit Ausnahme von 1966 - nie zum großen Erfolg gereicht hat?

Babbel: Mit Sicherheit! Klar, 1996 bei der EM im eigenen Land waren sie kurz davor und sind nur durch uns, und wenn man sich das Spiel anschaut, durchaus unglücklich ausgeschieden. Sie waren ja nicht die schlechtere Mannschaft, hatten meines Erachtens sogar die besseren Torchancen und hätten es auch verdient. Es hätte sich keiner beschweren dürfen, wenn die Engländer ins Finale gekommen wären, und ich bin überzeugt, dass sie das Finale dann auch gewonnen hätten. Das war mal eine kurze Ausnahme. Sonst haben sie immer, ich will nicht sagen versagt, aber sie sind unter ihren Möglichkeiten geblieben. Sie hatten immer sehr gute Einzelspieler, aber in der Mannschaft hat das nie so funktioniert.

bundesliga.de: Woran liegt das?

Babbel: Nehmen wir mal den jetzigen Kader: Rio Ferdinand, Frank Lampard, Steven Gerrard sind in ihren Clubs unheimlich große Persönlichkeiten, aber aus irgendeinem Grund haben diese sehr guten Einzelspieler nie als Team funktioniert. Das ist dieses Jahr etwas anders. Die Mischung zwischen Häuptlingen und Indianern ist ausgewogen. Zu viele Häuptlinge im Team können ja auch kontraproduktiv sein. Auch die Zurückholung von David Beckham. Der hat ja einen Riesennamen, hat sich aber völlig wert- und vorurteilsfrei auf die Bank gesetzt. Das war vielleicht auch ein Zeichen an die anderen, nach dem Motto: Hoppala! Wenn sich ein David Beckham einfach so auf die Bank setzt, dann sollte ich mich vielleicht auch nicht ganz so wichtig nehmen.

bundesliga.de: Wird England bei der WM in Südafrika dabei sein?

Babbel: Ich denke schon, dass sie es vom Potenzial her packen können. Sie haben eine glänzende Ausgangsposition, es kommen gute junge Spieler nach und die "Alten", ein Steven Gerrard zum Beispiel, sind alle im besten Alter. Die Mischung im Team stimmt einfach. England wird die Qualifikation mit Sicherheit schaffen.

bundesliga.de: Das hört sich ja schon fast nach Titelkandidat an.

Babbel: Nein, das nicht. Aber ich denke, dass sie bei der WM vielleicht eine Außenseiterrolle einnehmen können und dann bleibt abzuwarten, wie sie sich schlagen werden.

bundesliga.de: Kommen wir zum Spiel am Mittwoch. Wayne Rooney, Rio Ferdinand und David Beckham, drei von vielen großen Namen, die nicht dabei sind. Was für eine Aussagekraft hat das Spiel gegen England dann noch?

Babbel: Dieses Länderspiel lebt alleine vom Prestige! Es ist quasi ein Spiel für die Fans, da England ein klangvoller Name ist. Die Spieler werden sehr viel Spaß haben, weil es einfach ein interessanterer Gegner ist als Zypern oder Luxemburg. Aber so richtig Sinn macht das für mich nicht. Bald kommt die Winterpause, danach geht's dann bei Null wieder los. Für einzelne Spieler ist es schon gut, die können sich empfehlen, zum Beispiel falls einer der Neuen rein kommen sollte.

bundesliga.de: Jetzt stehen mit Marcel Schäfer vom VfL Wolfsburg und den beiden Hoffenheimern Tobias Weis und Marvin Compper drei Neulinge im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft. Wie denken Sie über die Nominierungen?

Babbel: Mich freut es für diese jungen Spieler, dass ihre Leistungen honoriert werden. Den Tobi Weis kenne ich aus meiner aktiven Zeit beim VfB ja noch selber ganz gut und für ihn freut es mich sehr, dass er es geschafft hat. Schäfer spielt für mich eh schon seit einem Jahr sehr gut und konstant und auch Compper. Er ist stellvertretender Kapitän in Hoffenheim, weil Per Nilsson gerade nicht spielt. Und da ist es verständlich, wenn der Bundestrainer sie nominiert.

bundesliga.de: Ist das vielleicht schon ein Zeichen für die WM 2010, dass die Jugend die etablierten Kräfte langsam ablöst?

Babbel: Das ist ja ein völlig normaler Ablauf. Ich habe es bei mir selber gesehen. Irgendwann ist es so, dass die Jungen kommen und die haben dann viel mehr Power und Schnelligkeit. Aber wenn die etablierten Stammkräfte weiterhin ihre Leistung der vergangenen Jahre zeigen, werden sie auch weiterhin eine wichtige Rolle in der Nationalmannschaft spielen.

bundesliga.de: Ihr Tipp für Mittwochabend?

Babbel: Ich hoffe natürlich auf einen deutschen Sieg, auch wenn mir die Engländer sehr am Herzen liegen. Ich würde mich mal über so ein richtig schönes 4:3 oder 5:4 freuen, so ein richtiges Torfestival!

bundesliga.de: Und wenn Sie sich auf ein Ergebnis festlegen müssten?

Babbel: Dann sage ich ein 3:2 für Deutschland.

Das Gespräch führte Gregor Nentwig