Er ist der geistliche Beistand der Schalker: "Stadionpfarrer" Hans-Joachim Dohm
Er ist der geistliche Beistand der Schalker: "Stadionpfarrer" Hans-Joachim Dohm

"Es gibt keinen Fußballgott"

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Gelsenkirchen - Hans-Joachim Dohm ist in Gelsenkirchen ein bekannter Mann. Der 67-jährige evangelische Pfarrer, der vor zwei Jahren in den Ruhestand ging, ist seit Jahrzehnten Schalker, ohne dabei die Relationen aus den Augen zu lassen. Die schönste Nebensache der Welt ist das Eine, die Verkündung des Evangeliums das Andere.

Deshalb hat es der "Stadionpfarrer" der in die Veltins-Arena integrierten Kapelle auch abgelehnt, dass Schalke-Fansmit ihren Insignien die Kapelle betreten und noch vor dem Spiel eine Kerze anzünden. bundesliga.de hat den "Schalke-Pfarrer" zum exklusiven Gespräch gebeten.

bundesliga.de: Wie kam es dazu, dass Sie ein Schalker wurden?

Hans-Joachim Dohm: Ich war 35 Jahre lang Pfarrer der Gemeinde Bismarck-West und war schnell eine Art Staubsauger. Ich habe alles aufgesaugt und am Ende kam ich als Schalker raus, nachdem ich ursprünglich Anhänger von Wattenscheid 09 war. Irgendwann hatte ich auch eine Dauerkarte. Meine Beziehung zu Schalke entwickelte sich über die frühere Schalke-Legende Ernst Kuzorra. Ich habe ihn lange begleitet und schließlich auch beerdigt. Später habe ich seinen Sitzplatz im Parkstadion übernommen. Mit dem Wechsel von Präsident Günter Eichberg zu Gerd Rehberg wurde ich dann im Schalker Ehrenrat aufgenommen. Ich habe mich fortan um die Behindertenarbeit gekümmert und wurde Fanbeauftragter der Behinderten. Ich bin auch heute noch bei der DFL Sprecher der Behinderten-Fanbeauftragten. Außerdem engagiere ich mich für die Charity "Schalke hilft".

bundesliga.de: In der Veltins Arena befindet sich die erste Kapelle in einem deutschen Fußballstadion. Wer hatte die Idee dazu?

Dohm: Die Kapelle ist mein Kind, dafür habe ich mich damals eingesetzt. Der Vorstand wollte die Kapelle. Es gab damals einen Wettbewerb, eine offizielle Ausschreibung, an der sich sieben Künstler beteiligt haben. Den Zuschlag hat schließlich der Entwurf des Asbacher Künstlers Alexander Jokisch bekommen. Sie befindet sich gegenüber der Mixed Zone der Veltins Arena. Seit ihrer feierlichen Einweihung im Jahr 2001 dient sie als Ort für Hochzeiten, Taufen, Gottesdienste und weitere kirchliche Veranstaltungen. Zusammen mit einem katholischen Pfarrer habe ich oft ökumenische Gottesdienste in der Kapelle abgehalten. Das ist eine sehr schöne Sache. Für die Gottesdienste sollte man sich vorher anmelden, weil nur etwa Platz für 120 Leute ist. Aber ich bin nicht mehr für die Kapelle zuständig. Das haben der evangelische Pfarrer Norbert Filthaus und sein katholischer Amtskollege Georg Rücker übernommen.

bundesliga.de: Sie legen großen Wert darauf, dass die Kapelle nicht Bestandteil des Vereins Schalke 04 ist.

Dohm: Genau. Die Kapelle ist ein Raum der Kirche und keine Vereinskapelle. Ich möchte keine Leute mit Schalke-Insignien darin sehen. Es gibt sicher Schnittmengen, wenn es um Wohltätigkeitsveranstaltungen geht. Das Evangelium ist Sache aller Christen und hat keinen Einfluss auf das Fußballgeschehen. Ich bin immer gesprächsbereit für Grenzfragen. Wir Christen haben gelernt, mit vermeintlichen Niederlagen umzugehen. Wir laden alle Menschen ein und nehmen uns auch des Themas von der Integration zur Inklusion an.

bundesliga.de: Wie wird das Weihnachtsfest in der Kapelle gefeiert?

Dohm: An Heiligabend wird es eine Dialogpredigt geben, die sich mit den drei Weisen, den heiligen drei Königen, beschäftigt. Es gibt einen Altartisch und eine Krippenausstellung. Das Holz der Krippe ist auch das Holz des Kreuzes und erinnert daran, dass Ostern das ursprüngliche Christenfest ist und Weihnachten erst später dazukam.

bundesliga.de: Für die Kapelle sind Sie jetzt nicht mehr verantwortlich. Aber Sie kümmern sich noch um die Schalker Vereinsangehörigen?

Dohm: Ich bin so etwas wie der Betriebsseelsorger auf Schalke. Wir vertiefen, was die Situation ausmacht. Jeder hat seine eigenen Fragen. Ich habe ausführlicher mit Kevin Kuranyi gesprochen, viele Gespräche mit Marcelo Bordon oder Gerald Asamoah geführt. Das waren interessante Begegnungen. Einige Spieler gehen vor dem Spiel in die Kapelle. Aber die Kapelle lebt nicht davon, dass Spieler dort hineingehen.

bundesliga.de: Gab es dennoch auch Gottesdienste für die Schalker?

Dohm: Die gab es. Als Jupp Heynckes Trainer auf Schalke wurde, hat er sich einen ökumenischen Gottesdienst gewünscht.

bundesliga.de: Verlassen wir die Kapelle und ihre spannende Geschichte und wenden wir uns eher profanen Dingen zu. Was halten Sie davon, für einen Sieg zu beten?

Dohm: In der Bibel steht: Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen. Wenn wir für den Sieg beten, müssten wir auch für die Niederlage des anderen beten, das ist widersinnig.

bundesliga.de: Wofür beten Sie?

Dohm: Ich bete für ein faires Spiel ohne Verletzungen. Gott ist nicht parteiisch. Dem ist egal, ob vielleicht auch einmal die "Zecken" gewinnen.

bundesliga.de: Was haben Sie gedacht, als der damalige Schalke-Manager Rudi Assauer nach der unglücklich verlorenen Meisterschaft 2001 sagte: "Ich glaube nicht mehr an den Fußballgott."

Dohm: Mit der Aussage hat Rudi Assauer recht gehabt. Es gibt keinen Fußballgott. Die alten Römer hatten mehrere Götter. Wir haben nur einen Gott.

bundesliga.de: Ein Amtskollege von Ihnen, der Pfarrer des italienischen Örtchens Maranello, lässt bekanntlich nach jedem Ferrari-Sieg in der Formel 1 die Kirchenglocken läuten. Hätten Sie das auch getan, wenn Schalke Meister geworden wäre?

Dohm: Nein, so etwas würden wir nicht machen. Die Kirchenglocken läuten als Einladung zum Gottesdienst. Oder früher auf dem Dorf als Alarmzeichen, wenn es irgendwo gebrannt hat. Ich halte das nicht für angemessen. Bei mir läuten wegen des Fußballs keine Glocken.

bundesliga.de: Wie gut haben Sie früher selbst Fußball gespielt?

Dohm: Ich war ein guter Hinterhof-Fußballer und wurde nicht entdeckt, weil es damals noch keine Scouts gab.

bundesliga.de: Wenn Sie den Fußball in den letzten 35 Jahren verfolgen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Dohm: Auch der Fußball hat sich mit der Zeit gewandelt. Er ist nicht in der Vergangenheit hängen geblieben. Die Spieler verdienen viel Geld, das ich ihnen gönne. Es hat sich so entwickelt. Bei den Spielervermittlern ist etwas falsch gelaufen. Die verdienen doch nur gut, wenn ihr Spieler möglichst oft den Verein wechselt. Sie denken nicht an den Vorteil der Spieler, sondern an ihren eigenen.

bundesliga.de: Wie gut ist Ihr Draht zu den Verantwortlichen beim FC Schalke 04?

Dohm: Ich brauche mich nicht anzumelden. Ich gehe hin und gucke, wer da ist. Ich habe Kontakt zu den Mitgliedern des Vorstands, zum Trainer, zum Pressesprecher. Das ändert sich auch nicht, wenn andere Leute kommen.

bundesliga.de: Wäre heutzutage noch so ein "lebendes Maskottchen" wie der frühere Schalker Teambetreuer Charly Neumann möglich?

Dohm: Ich glaube nicht. Charly Neumann war ein Unikum. Wenn man ihn vorne zu Tür rausgejagt hatte, war er hinten schon wieder durch die Hintertür zurückgekommen. Er hat alles möglich gemacht. Er war ein "Kümmerer", der sich um alles gekümmert hat. So eine Funktion gibt es heute nicht mehr im Verein.

bundesliga.de: Was war Ihr bewegendster Moment in Verbindung mit der Kapelle und Schalke 04?

Dohm: Mein bewegendster Moment war das Friedensgebet nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund. Normalerweise wollen wir in der Kapelle keine Fans in Vereinskutte sehen. Damals war das egal. Es waren die Vorstände beider Vereine gekommen, Fanvertreter aus beiden Lagern. Es war sehr beeindruckend zu sehen, dass es über alle Grenzen auch im Fußball mehr Gemeinsamkeiten gibt.

Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski