Jürgen Kohler bestritt insgesamt 398 Bundesligaspiele
Jürgen Kohler bestritt insgesamt 398 Bundesligaspiele

"Dortmund wird Meister"

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München - Borussia Dortmund hat eine grandiose Hinrunde gespielt, souverän die Herbstmeisterschaft eingefahren und zehn Punkte Vorsprung auf den Tabellen-Zweiten aus Mainz.

Die Fußballfans in Deutschland fragen sich, ob der BVB dieses hohe Niveau auch in der Rückrunde halten kann.

bundesliga.de hat bei Weltmeister Jürgen Kohler nachgefragt. Im Interview legt sich der 45-Jährige, der 1996 und 2002 zwei Mal mit der Borussia den Titel holte, fest.

bundesliga.de: Jürgen Kohler, vor dem 1. Saisonspiel haben Sie im Interview mit bundesliga.de gesagt, Borussia kann in dieser Saison für Furore sorgen. Sie haben Recht behalten. Warum?

Jürgen Kohler: Der BVB hat eine gewachsene Mannschaft, die schon seit einiger Zeit zusammenspielt und in der vergangenen Saison bereits einen guten Fußball gespielt hat. Die vielen jungen Spieler haben noch einmal dazugelernt und konnten die Vorgaben gut umsetzen.

bundesliga.de: Was haben sie dazugelernt?

Kohler: Vor allem defensiv und offensiv gut zu denken. Jeder Spieler ist im Spiel dabei, beteiligt sich am Spiel. Es gibt sonst gerade in schlechteren Phasen oft Spieler, die sich wegducken oder Alibipässe spielen. Das ist bei der Borussia überhaupt nicht der Fall. Durch die vielen Erfolge hat die Mannschaft viel Selbstvertrauen getankt.

bundesliga.de: Hätten Sie gedacht, dass diese positive Entwicklung so schnell geht?

Kohler: Ich bin nicht überrascht von der Entwicklung. Der Verein hatte in den letzten Jahren nicht den ganz großen Druck. So konnte die Borussia in Ruhe Kontinuität reinbringen. Sie haben eine lange Durststrecke hinter sich gebracht und auch in schwierigen Zeiten die Nerven behalten. Und diese Arbeit trägt jetzt Früchte. Jetzt haben sie eine gute Mannschaft zusammen, in der alles funktioniert. Sie haben verschiedene Lösungsmöglichkeiten gefunden, und alle haben gepasst.

bundesliga.de: Was meinen Sie damit?

Kohler: Sie haben in den letzten Jahren vor allem junge Spieler geholt, die schon über eine gewisse Qualität verfügen, technisch, läuferisch und spielerisch stark, aber noch ausbaufähig sind. Die Mannschaft hat jetzt dank der Erfolge viel Rückenwind. Es geht in die richtige Richtung.

bundesliga.de: An welche Spieler denken Sie dabei?

Kohler: Vor allem an Mats Hummels, der ein richtig guter Fußballer ist und mit seiner hervorragenden Spieleröffnung und Passgenauigkeit ganz wichtig für den Spielaufbau ist. Sehr positiv hat sich auch Nuri Sahin entwickelt, seit er aus Holland wieder zurück beim BVB ist. Davon profitieren die flinken Angreifer Shinji Kagawa und Lucas Barrios.

bundesliga.de: Beim Offensivspektakel, das der BVB in der Hinrunde geboten hat, wird gelegentlich auch die starke Defensive übersehen. Was zeichnet sie aus?

Kohler: Über die Qualitäten von Mats Hummels habe ich mich ja schon geäußert. Ich habe mich gewundert, dass bis jetzt kaum ein Trainer erkannt hat, wie wichtig er für die Spieleröffnung ist. Sein Nebenmann Neven Subotic stabilisiert die Abwehr mit seiner Schnelligkeit, seiner Zweikampfstärke und seinem guten Kopfballspiel. Nicht zu vergessen ist auch Sven Bender. Bei ihm konnte man diese tolle Entwicklung nicht erwarten. Er ist ja wegen der Verletzung von Sebastian Kehl auf die Position gerutscht und inzwischen ein echter Leistungsträger. Kehl wird es schwer haben, sich seinen Platz zurück zu erkämpfen.

bundesliga.de: Auch die Dortmunder Spielkultur wird häufig gelobt. Was ist das Besondere am Offensivspiel des BVB?

Kohler: Sie machen das Spielfeld eng und glänzen mit genauen Passfolgen. Vorne hat der BVB mit Barrios einen guten Abnehmer, der nicht viele Chancen für seine Tore braucht.

bundesliga.de: Wie beurteilen Sie die Entwicklung von Mario Götze?

Kohler: Mario Götze ist ein Supertalent, schnell, zweikampfstark, beidfüßig. Er gefällt mir sehr gut. Ich hoffe, dass die Berufung in die Nationalmannschaft nicht zu früh erfolgt ist. Manche Jungs in dem Alter kommen damit dann im Kopf nicht klar, weil die Erwartungshaltung so sehr steigt, dass ein so junger Spieler die gar nicht erfüllen kann. Ich bin gespannt, wie er sich entwickelt.

bundesliga.de: Welchen Anteil hat Trainer Jürgen Klopp am Erfolg?

Kohler: Er ist der Architekt des Erfolges. Er bringt seine Begeisterung gut rüber, seine Ansprache kommt bei den Spielern gut an. Sie glauben ihm, was er ihnen erzählt, weil es auch durch die Ergebnisse bestätigt wird. Ich glaube, er passt gut in die Region und zu diesem emotionalen Publikum. Und fachlich ist er sowieso top.

bundesliga.de: Ist der K.-o. in der Europa League ein Vor- oder Nachteil für die Borussia im Meisterschaftskampf?

Kohler: Wofür sollte das Ausscheiden gut sein? Fakt ist, dass Dortmund auch trotz der letzten beiden Spiele eine ganz starke Hinrunde gespielt hat. Sie haben ein dickes Punktepolster. Und konditionell spielt es keine Rolle, ob die Europa-League-Spiele in der Rückrunde noch dazu gekommen wären. Das sind doch alles junge Spieler, die können laufen. Es macht doch mehr Spaß in einem Spiel zu laufen als im Training.

bundesliga.de: Wo könnten noch Probleme auftreten?

Kohler: Es besteht immer die Gefahr, dass Verletzungen auftreten. Eine Mannschaft ist ein sensibles Gebilde, wenn ein, zwei Stützpfeiler wegbrechen, könnte es Probleme geben. Außerdem unterliegen gerade junge Spieler auch Leistungsschwankungen. Dann kann ein Vorsprung auch schnell schmelzen. Man muss auch darauf aufpassen, dass die Spieler keine Flausen ins Ohr gesetzt bekommen, sei es von dem Umfeld und ihren Beratern oder von den Medien. Wenn auf einmal horrende Summen herumschwirren, können junge Spieler auch "entgleisen". Verträge sind ja nur Schall und Rauch, die meisten Spieler dürften Ausstiegsklauseln besitzen. Aber der "Kloppo" ist schon so lange im Geschäft, der weiß schon, wie er das regelt.

bundesliga.de: Welche Mannschaft könnte der Borussia noch gefährlich werden?

Kohler: Der härteste Konkurrent dürfte Bayer Leverkusen werden. Die haben eine gute Mannschaft, die in dieser Saison nicht so schön spielt wie im letzten Jahr, aber auch ihre schwächeren Spiele gewinnt. Das macht sie gefährlich.

bundesliga.de: Aber Bayer hat noch nie die Meisterschaft geholt.

Kohler: Dafür ist dann mathematisch die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Serie irgendwann einmal zu Ende geht.

bundesliga.de: Bayern München haben Sie nicht mehr auf der Rechnung?

Kohler: Nein, dazu ist der Rückstand auf Dortmund zu groß. Ich bin auch der Meinung, dass die Bayern in dieser Saison nicht gut spielen. Dafür gibt es viele Erklärungen. Aber sie können sicher noch eine Serie starten. Es müsste für Platz 2 oder 3 reichen.

bundesliga.de: Wird der BVB Meister?

Kohler: Ich glaube ja. Auch wenn Fußball nicht planbar ist und es viele Unwägbarkeiten gibt, haben sie eine solche Konstanz an den Tag gelegt und einen so großen Vorsprung, dass es reichen müsste. Und sie haben auch schon in der Hinrunde schwächere Spiele letztlich souverän gewonnen.

Das Gespräch führte Tobias Gonscherowski