Reiner Calmund hatte bis zum Ende der Saison 2003/04 das sportliche Sagen bei Bayer Leverkusen
Reiner Calmund hatte bis zum Ende der Saison 2003/04 das sportliche Sagen bei Bayer Leverkusen

"Die Münchner wissen, was die Uhr geschlagen hat"

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Am Sonntag schaut ganz Fußballdeutschland auf die Münchner Allianz Arena. Denn dort steigt das Spitzenspiel des 13. Spieltags zwischen dem FC Bayern und Bayer Leverkusen (ab 15 Uhr im Live-Ticker/Liga-Radio). Auch wenn die Bilanz deutlich zugunsten des Rekordmeisters spricht, stehen die Gastgeber unter Druck.

Eine Niederlage würde die Bayern im Titelrennen weit zurückwerfen. So sieht es auch Reiner Calmund. Der ehemalige Bayer-Manager spricht mit bundesliga.de über die Wichtigkeit und die Brisanz dieses Duells. Er beleuchtet Bayers Erfolgsgeheimnis und spricht über die Spannung im Titelkampf.

bundesliga.de: Herr Calmund, was trauen Sie Bayer Leverkusen in der Hinrunde noch zu?

Reiner Calmund: Es ist beachtlich, was Jupp Heynckes mit dem wirklich sehr guten Spielerpotenzial auf die Beine gestellt hat. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Mannschaft seit einiger Zeit auf Nationalspieler wie Michal Kadlec, Renato Augusto, Simon Rolfes und Patrick Helmes verzichten muss, ist das wirklich erstaunlich. Heynckes hat es wirklich verstanden, diese Ausfälle zu kompensieren. Der eine oder andere kommt bald wieder zurück ins Team. Also mit ein bisschen Glück ist da durchaus die "Herbstmeisterschaft" drin.

bundesliga.de: Und was ist in der Rückrunde noch möglich?

Calmund: Wir wissen alle, dass erst am Ende, also nach 34 Spieltagen, abgerechnet wird. Da ist für mich Bayern München immer noch Topfavorit. Denn dies ist die Mannschaft, die das meiste Potenzial hat. Aber wenn man sieht, dass sowohl der FC Bayern als auch der amtierende Meister aus Wolfsburg im Moment ein bisschen neben der Spur fahren, dann kann es natürlich auch sein, dass Bayer Leverkusen, Werder Bremen oder jemand anderes sagt: "Dankeschön, dann nehmen wir die Schale".

bundesliga.de: Was zeichnet Leverkusens Mannschaft im Vergleich zur vergangenen Saison aus?

Calmund: Sie haben ja schon in der vergangenen Saison eine fantastische Hinrunde gespielt und hätten auch dort gut und gern "Herbstmeister" werden können. Jetzt sind die Spieler etwas erfahrener, etwas robuster. Man hat sich optimal verstärkt mit Sami Hyypiä. Er ist zudem ein Anlaufpunkt für die etwas jüngeren Spieler. Een Derdiyok aus der Schweiz hat sich in dem ersten halben Jahr schon sehr gut integriert in die Mannschaft. Noch ist nicht alles perfekt bei ihm, aber er ist sehr gut. Und was auch wichtig ist, ist die gelungene Einbindung der jungen Spieler. Da ist Daniel Schwaab, der aus Freiburg kam. Dem ist nach Kadlecs Ausfall nahtlos der Sprung in die Mannschaft gelungen. Stefan Reinartz ist ein Spieler, der auch laut Rudi Völler absolut unter den ersten Elf mitspielen kann. Und vor allem ist Toni Kroos - auch nach den vielen Ausfällen - zu einem unumstrittenen Stammspieler geworden. So hat man aus der Not der vielen Verletzten eine Tugend gemacht. Ein großer Garant für diese Entwicklung ist natürlich Jupp Heynckes.

bundesliga.de: Ist der wichtigste Neuzugang vielleicht sogar der Trainer gewesen?

Calmund: Er ist für mich neben Hyypiä der wichtigste Neuzugang. Denn das Spielerpotenzial war immer gut bei Bayer. Heynckes steht für Souveränität, für Erfahrung, für Qualität und für viele große Erfolge. Aber er ist lockerer geworden und führt die Mannschaft hervorragend. Er hat einfach alles erlebt im Fußball, als Spieler und als Trainer. Er hat große Erfolge gefeiert, ist aber auch die Achterbahn mitgefahren. Er kennt das Oben und Unten im Fußball. Davon profitiert die Mannschaft, ja der ganze Verein.

bundesliga.de: Jetzt kommt der Härtetest gegen die Bayern. Der letzte Sieg in München liegt 20 Jahre zurück. Wird der Bann endlich gebrochen?

Calmund: Ich kenne das ja selber. Wir haben meistens schön gespielt, aber nie gewonnen. Wir sind in der Regel mit leeren Händen nach Hause gefahren. Vielen Spielern fehlte immer das Selbstbewusstsein, sie haben sich einfach nicht genug zugetraut. Ich habe den Eindruck, dass die Leverkusener Mannschaft aufgrund der aktuellen Situation selbstsicherer als in der Vergangenheit ist. Das höre ich auch aus dem Umfeld der Mannschaft. Es ist aber auch klar, dass die Münchner wissen, was die Uhr geschlagen hat. Die werden alle Sinne geschärft haben. Wenn sie verlieren, wird es ganz schwer, noch mal auf Meisterschaftskurs zu kommen.

bundesliga.de: Überraschen Sie die inkonstanten Leistungen der Bayern in dieser Saison ein wenig?

Calmund: Sie haben ja auch verletzte Spieler, allen voran Franck Ribéry. Aber Leverkusen hat auch Verletzte. Das entschuldigt nicht für den 8. Platz der Bayern in der Liga und das drohende Aus in der Champions League.

bundesliga.de: Es deutet vieles darauf hin, dass auch in dieser Saison der Titelkampf bis zum Schluss spannend bleiben wird. Sehen Sie das ähnlich?

Calmund: Ich glaube, dass ist das Entscheidende in der Bundesliga. Die Bundesliga ist ein absolutes Premium-Produkt - auch fürs deutsche Fernsehen. Das gilt nicht nur für die Spitzenspiele wie Bayern gegen Leverkusen. Auch an jedem anderen Spieltag ist das so. Wenn man die Einschaltquoten addiert, hauen die alles weg; ob das nun Günther Jauch ist, Thomas Gottschalk oder "Germany s Next Topmodel". Die Tatsache, dass 35 Millionen Deutsche sich für die Bundesliga interessieren und die Bundesliga in weit über 180 Länder übertragen wird, spricht für sich. Dazu kommt, dass wir einfach eine unglaubliche Spannung bieten. Tolle, fantastische Stadien, die knackevoll sind. Wir hatten in den vergangenen drei Jahren drei verschiedene Meister und drei verschiedene Pokalsieger. Das zeigt, dass die Zeiten sich bei aller Dominanz des FC Bayern ein bisschen geändert haben.

Das Gespräch führte Sebastian Stolz