Als Trainer von Metalurgs Liepaja holte Rüdiger Abramczik 2009 die lettische Meisterschaft
Als Trainer von Metalurgs Liepaja holte Rüdiger Abramczik 2009 die lettische Meisterschaft

"Die Flankengötter kommen wieder!"

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Köln - 131 Bundesliga-Tore in 207 Spielen erzielte Klaus Fischer für Schalke 04 zwischen Januar 1974 und Ende März 1980, was der überragenden Torquote von 0,63 Treffern pro Spiel entspricht. In seinen 328 Bundesliga-Partien außerhalb dieses Zeitraums bringt es Fischer auf eine Quote von 0,42 Toren pro Spiel. Ein entscheidender Grund, warum er gerade in diesem Abschnitt seiner Karriere besonders erfolgreich war, war der Schalker Rechtsaußen Rüdiger Abramczik, der unzählige Fischer-Tore mit präzisen Flanken vorbereitete.

Die Schalker Sturmreihe, komplettiert von Erwin Kremers, war in der Bundesliga gefürchtet. In dieser Saison werden so wenige Flanken geschlagen, wie seit 1993 nicht mehr. Auch die Anzahl der Kopfballtore war seit 1999 nicht mehr so gering. Rüdiger Abramczik spricht bei bundesliga.de über die Ursachen, schreibt aber die "Flankengötter" noch lange nicht ab.

bundesliga.de: Guten Tag Herr Abramczik. Sie haben 316 Bundesliga-Spiele für Schalke, Dortmund und Nürnberg bestritten, zumeist als Rechtsaußen. Heutzutage wären Sie in der Bundesliga eine Rarität.

Rüdiger Abramczik: Das stimmt. Ganz abgesehen davon, dass es in der Bundesliga momentan keine Mannschaft gibt, die mit drei Stürmern agiert, sind die Spieler, die bis zur Grundlinie durchgehen um zu flanken, heute selten. Wenn überhaupt geflankt wird, dann meistens aus dem Halbfeld oder mit dem falschen Fuß. Da entsteht selten Torgefahr.

bundesliga.de: Woran liegt das?

Rüdiger Abramczik: Heute wird sehr häufig nach innen gezogen und selber der Abschluss gesucht. Arjen Robben ist dafür das beste Beispiel, aber auch bei den meisten anderen Vereinen spielen die Linksfüßer auf rechts und umgekehrt. Da ist es klar, dass kaum noch Bälle in den Strafraum geschlagen werden. Wenn diese Spieler dann doch einmal flanken, legen sie sich denn Ball meistens zuerst auf den stärkeren Fuß. Dies hat den Effekt, dass der Ball auf die Abwehrspieler zu kommt, was es für die Verteidigung wesentlich einfacher macht. Gehe ich als Rechtsfuß auf der rechten Seite bis zur Grundlinie, kann ich den Ball vom Tor wegschlagen, der Stürmer kann in den Ball hineinlaufen, während Abwehr und Torhüter Probleme bekommen. Aber dieses Spiel wird nicht mehr praktiziert.

bundesliga.de: Fehlen dafür die Spielertypen?

Rüdiger Abramczik: Das ist sicherlich ein Grund. Aber diese Typen fehlen, weil wir sie nicht mehr ausbilden. Das System hat sich dahin entwickelt, dass Flankenläufe nicht mehr so gefragt sind. Wenn man nur mit einer zentralen Spitze agiert, fehlen für die Hereingaben häufig auch die Abnehmer und der Ball ist verloren. Aber Systeme entwickeln sich immer durch Erfolg. Sollte eine Mannschaft mit konsequentem Flügelspiel viele Titel sammeln, würde sich das Spiel sicher auch wieder in diese Richtung verschieben. Ein Gómez oder ein Huntelaar würden noch häufiger treffen, wenn sie mit adäquaten Hereingaben gefüttert würden. Schalkes Jeffersen Farfan ist einer der wenigen Spieler der Bundesliga, der dazu in der Lage wäre. Der kann auch einen klassischen Rechtsaußen spielen, weil er in der Lage ist, bis zur Grundlinie durchzustoßen.

bundesliga.de: Wenn Sie heute Trainer in der Bundesliga wären, würden Sie das Flügelspiel wieder forcieren?

Rüdiger Abramczik: Wenn ich das Spielermaterial dazu hätte, sicherlich. Da die meisten Teams in der Liga nur mit einer Spitze agieren, würde ich einen Spieler aus der Viererkette opfern, um fünf Mann im Mittelfeld und zwei im Sturm zu haben. Dann würden auch Flankenläufe wieder mehr Sinn ergeben, weil die Spitze konsequent besetzt ist. Die meisten Klubs spielen mit mindestens sechs defensiven Spielern. Das finde ich zu vorsichtig. In Lettland habe ich so spielen lassen und das hat sehr gut funktioniert.

bundesliga.de: Gutes Stichwort. Sie waren von 2008 bis 2010 Trainer von Metalurgs Liepaja, mit denen Sie 2009 Meister wurden und in der Champions League Qualifikation an Sparta Prag scheiterten. Könnten Sie sich auch eine Rückkehr in den deutschen Fußball vorstellen?

Rüdiger Abramczik: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte daran kein Interesse. Wenn man aber längere Zeit im Ausland gearbeitet hat, ist es schwer, wieder in Deutschland Fuß zu fassen. Selbst wenn der Erfolg da war, wird das hier nicht registriert. Auf dem Trainerkarussell in Deutschland sitzt eine bestimmte Anzahl von Trainern und ich bin im Moment nicht dabei. So ist das im Fußball. Ich bin aber nach wie vor sehr nah dran am Geschäft und könnte vielen Vereinen weiterhelfen. Gerade junge Spieler können von der praktischen Erfahrung, die ich gesammelt habe, enorm profitieren. Da habe ich sicher einen Vorteil gegenüber den Trainern, die in ihrer aktiven Karriere in der zweiten Reihe standen. Das gilt aber nicht nur für mich, sondern auch für einen Matthäus oder Effenberg. Für meine Begriffe ist es optimal, wenn man für jeden Mannschaftsteil einen Experten hat, der die Anforderungen für eine bestimmte Position über Jahre auf höchstem Niveau erfüllt hat. In England ist das weit verbreitet. Wie soll ein Trainer, der selber Abwehrspieler war, einem Stürmer vermitteln, wie er Tore zu schießen hat.

bundesliga.de: Oder Flanken zu schlagen?

Rüdiger Abramczik: Ganz genau.

Das Gespräch führte Florian Reinecke