Uwe Harttgen tritt ab dem 1. Januar die Stelle als Vorsitzender der "Kommission Leistungszentren" der DFL an
Uwe Harttgen tritt ab dem 1. Januar die Stelle als Vorsitzender der "Kommission Leistungszentren" der DFL an

"Die Bundesliga ist Vorreiter in Europa"

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Köln - Zum ersten Mal überwintern gleich sieben deutsche Mannschaften im Europapokal. In der UEFA-Fünfjahreswertung hat die Bundesliga die italienische Serie A längst abgehängt und ist nun der englischen Premier League dicht auf den Fersen. Noch in dieser Saison könnte Deutschland sich den 2. Platz sichern. Nur Spaniens Primera Division ist im Moment noch außer Reichweite.

Dr. Uwe Harttgen arbeitet seit 2002 in der Nachwuchsförderung und ist mittlerweile Direktor des Leistungszentrums von Werder Bremen. Seit dem 1. Januar ist er Vorsitzender der "Kommission Leistungszentren" der DFL. Bei bundesliga.de erklärt der Psychologe und ehemalige Profi, was sich im letzten Jahrzehnt in der Nachwuchsförderung verändert hat und warum der aktuelle Erfolg der Bundesliga kein Zufall ist.

bundesliga.de: Herr Harttgen, heute betreibt jeder Profiklub sein eigenes Leistungszentrum. Das war nicht immer so. Erst 2001 wurde es zur Verpflichtung für die Vereine. Sie begannen ein Jahr später als Sportpsychologe Ihre Arbeit bei Werder. Können Sie sich noch an die Ausgangslage damals erinnern?

Uwe Harttgen: Der unbefriedigende Auftritt der deutschen Nationalmannschaft bei der EM 2000 hat vielen die Augen geöffnet. Aber nicht nur die Nationalmannschaft hatte Ihre Probleme: Die Bundesliga verlor in der UEFA-Fünfjahreswertung den vierten Champions-League-Startplatz und spielte kaum noch eine Rolle. Es musste etwas passieren. Zuvor wurde die mangelnde Qualität der Nachwuchsspieler häufig auf die junge Generation geschoben. Die Nachwuchsspieler seien zu faul und zu schnell zufrieden. Nun wurde systematisch daran gearbeitet, die Ausbildung zu verbessern.

bundesliga.de: Was hat sich in dieser Zeit gewandelt?

Uwe Harttgen: Die Ausbildung von jungen Spielern wurde in allen Bereichen professionalisiert. Die Infrastruktur wurde verbessert, die Trainer sind sehr gut ausgebildet und die jungen Spieler werden schon früh auf hohem Niveau gefordert. Da gibt es zum einen die U17 und U19 Bundesliga, die sportlich extrem anspruchsvoll sind. Zum anderen sammeln die Toptalente in den U-Nationalmannschaften wertvolle Erfahrungen.

bundesliga.de: Lässt sich der aktuelle Erfolg der Bundesliga direkt auf diese Maßnahmen zurückführen?

Uwe Harttgen: Das ist ja keine Momentaufnahme. Die Bundesliga hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert und sich folgerichtig den vierten Champions League Platz zurückerobert. Dazu bedurfte es mehr als nur eines guten internationalen Jahres. Den Trainern stehen heute viele gut ausgebildete Jugendspieler zur Verfügung. Das steigert die Qualität aller Mannschaften. Früher spielten viele Profis bis Ende 30 in der Bundesliga. Das ist heute kaum noch möglich, da der Fußball athletischer geworden ist und die jungen Spieler irgendwann einfach besser sind. Ich weiß, dass im Ausland viele neidisch nach Deutschland blicken. Wir bekommen viele Anfragen internationaler Klubs, die sich die deutschen Ausbildungsbedingungen anschauen möchten. Die Bundesliga ist mittlerweile Vorreiter in Europa.

bundesliga.de: Sie sind bei Werder ganz nah dran an der Entwicklung von jungen Spielern. Mit Sebastian Mielitz und Niclas Füllkrug sorgen zwei Bremer Eigengewächse in dieser Saison für Furore. Wie viel Prozent der Spieler schaffen es aus dem Leistungszentrum in den Profibereich?

Uwe Harttgen: Da kann ich Ihnen keine genaue Quote sagen. Ich weiß, dass wir in den letzten 15, 20 Jahren über 100 Spieler ausgebildet haben, die im Profigeschäft Fuß gefasst haben. Optimaler Weise natürlich bei Werder, aber natürlich kommt es auch häufig vor, dass Spieler erst woanders den Durchbruch schaffen. Wir freuen uns über jeden, der den Sprung schafft.

bundesliga.de: Was ist die schwierigste Phase in der Talententwicklung?

Uwe Harttgen: Mit Sicherheit der Übergang vom Junioren- in den Seniorenbereich. Zwar ist die Qualität auch in der Jugend sehr hoch, aber die Bundesliga ist noch einmal eine ganz andere Welt. Hier sind auch die zweiten Mannschaften enorm gefordert, denn nicht jeder Spieler hat mit 18 direkt das Zeug zum Profi. Aber vielleicht mit 22. Eine Prognose ist in diesem Alter enorm schwierig.

bundesliga.de: Seit dem 1. Januar 2013 sind Sie Leiter der "Kommission Leistungszentren" der DFL. Was kann aus Ihrer Sicht noch verbessert werden?

Uwe Harttgen: Der Fußball ist stetig im Wandel. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und denken, es gibt nichts mehr zu optimieren. Wir müssen alle Bereiche in Ruhe und ohne Aktionismus analysieren und überlegen: Können wir da noch etwas besser machen?

bundesliga.de: Ganz konkret?

Uwe Harttgen: In nächster Zeit werden wir uns sicher eingehend mit dem Thema "Belastungsförderung" auseinandersetzen. Nicht nur die Ausbildung der Jugendspieler ist besser geworden, auch die Belastung hat sich signifikant erhöht. Dadurch kommt es auch im Juniorenbereich immer häufiger zu Verletzungen. Dieses Risiko möchten wir mit der richtigen Belastungssteuerung minimieren.

bundesliga.de: Sie begannen Ihre Karriere im Herrenbereich bei der 2. Mannschaft von OT Bremen in der Kreisliga B. Anschließend spielten Sie sich kontinuierlich nach oben, bis Sie mit 25 bei Werder Bremen Ihren ersten Profivertrag unterschrieben. Das war 1989. Wäre so eine Karriere heute noch möglich?

Uwe Harttgen: Wissen Sie, das ist Schnee von gestern. Was früher war, zählt heute nicht. Mein sportlicher Werdegang war damals schon absolut ungewöhnlich. Natürlich ist das eine nette Anekdote, aber es war einfach eine ganz andere Zeit.

Das Gespräch führte Florian Reinecke


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