Ralf Rangnick ist seit Juni 2012 Sportdirektor von Red Bull Salzburg und RB Leipzig
Ralf Rangnick ist seit Juni 2012 Sportdirektor von Red Bull Salzburg und RB Leipzig

"Deutschland hat die Konkurrenz teilweise überholt"

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Salzburg - Schon vor dem letzten Gruppenspieltag der Champions League hatten Borussia Dortmund, Bayern München und Schalke 04 für eine bemerkenswerte Leistung gesorgt: Erstmals seit 2004/05 zogen alle drei deutschen Teilnehmer ins Achtelfinale ein. In ihren letzten Partien sorgten der FCB und S04 - der BVB war schon Gruppensieger - für eine absolute Premiere: Erstmals in der Geschichte der "Königsklasse" kamen drei deutsche Clubs als Erster weiter.

Die starken Leistungen lassen das Ansehen der Bundesliga in Europa steigen. Auch Ralf Rangnick, aktuell Sportdirektor von Red Bull Salzburg und RB Leipzig, ist im Exklusiv-Interview mit bundesliga.de begeistert von den Auftritten des deutschen Trios. Besonders lobt der ehemalige Bundesliga-Coach (Stuttgart, Hannover, Schalke, Hoffenheim), der mit den "Knappen" 2011 im Halbfinale stand, den BVB. "In den beiden Spielen gegen Real und im Hinspiel bei ManCity war Dortmund taktisch überlegen", sagt Rangnick.

Der 54-Jährige äußert sich während des Gesprächs in seinem Salzburger Büro außerdem sehr positiv über die Trainingsarbeit in der Bundesliga. "Diese Entwicklung hängt stark mit der Kompetenz der Trainer zusammen. In diesem Bereich hat Deutschland nicht nur aufgeholt, sondern die europäische Konkurrenz teilweise überholt", so sein Urteil.

bundesliga.de: Alle drei deutschen Champions-League-Teilnehmer sind ins Achtelfinale eingezogen. Die Bayern haben eine solide Gruppenphase gespielt und die Erwartungen erfüllt, Dortmund und Schalke haben durchaus für Überraschungen gesorgt. Wie bewerten Sie die bisherigen Auftritte?

Ralf Rangnick: Dortmund und Schalke haben ohne Zweifel Ausrufezeichen gesetzt, vor allem im Ausland. Überrascht haben mich die Leistungen nicht! Wenn du zwei Mal auf so dominante Weise die Meisterschaft und einmal noch den Pokal dazu gewinnst - dahinter steckt richtig viel Potenzial. Damit meine ich nicht nur die Qualität der einzelnen Spieler, sondern ihr Auftreten als Mannschaft. Das ist bei Dortmund immer wieder beeindruckend. Der BVB tritt seit zwei Jahren Woche für Woche den Beweis an, dass mannschaftlicher Erfolg mehr ist als die Addition der Qualitäten der Einzelspieler. Dahinter steckt brutal viel Arbeit der Trainer. Und man hat gesehen, dass Dortmund den Gegnern taktisch überlegen war. Die beiden Spiele gegen Real (Nachbericht zum 2:1-Sieg im Hinspiel) und das Hinspiel bei ManCity waren dafür sehr gute Beispiele. Ähnlich beeindruckend war Schalkes Leistung bei Arsenal London (Nachbericht).

bundesliga.de: Warum läuft es in dieser Saison für den BVB in der "Königsklasse" so viel besser als im Vorjahr?

Rangnick: Wenn man sich die Spiele der vergangenen Saison genau angeschaut hat, waren die Dortmunder in vier der sechs Partien die klar bessere Mannschaft mit einem deutlichen Chancenplus. Aber sie haben die Möglichkeiten damals noch nicht effizient genug genutzt. Marseille zum Beispiel haben sie teilweise an die Wand gespielt - und am Ende stand es 0:3. Den BVB-Spielern wurde damals von allen Seiten suggeriert, dass die Champions League ein anderes Kaliber sei und sie besonders auf dem Prüfstand stünden. Das war psychologisch sicherlich nicht einfach.

bundesliga.de: Was sind die Gründe für die aktuellen Erfolge der deutschen Teams?

Rangnick: Die positive Entwicklung hängt stark mit der Kompetenz der Trainer zusammen. In diesem Bereich hat Deutschland nicht nur aufgeholt, sondern die europäische Konkurrenz teilweise überholt. Das war vor ein paar Jahren noch nicht in dem Maße der Fall. Und hinzu kommt als Resultat daraus die höhere Qualität der vielen jungen Spieler wie Mario Götze, Marco Reus, Thomas Müller, Julian Draxler, Lewis Holtby und viele mehr.

bundesliga.de: Welche Besonderheiten sind Ihnen beim FC Bayern im bisherigen Saisonverlauf aufgefallen?

Rangnick: Bei den Bayern kommen verschiedene Dinge zusammen. Sie haben den Kader - wie fast jedes Jahr - verstärkt. Aber entscheidender ist wahrscheinlich eine exakte Analyse der vergangenen beiden Jahre gewesen, nachdem sie in der Liga insgesamt und besonders in den direkten Duellen gegen Dortmund das Nachsehen hatten. Sie werden analysiert haben, was die Borussia zuletzt besser gemacht hat. Beim FC Bayern sind inzwischen Eigenschaften des BVB-Spiels erkennbar, es wird in puncto Taktik auf ähnliche Dinge Wert gelegt. Und dann ist da noch die Personalie Matthias Sammer. Er hat dafür gesorgt, dass sich alle noch mehr als Team begreifen. Es gibt kaum noch Diskussionen über die Befindlichkeiten einzelner Spieler. Die Mannschaft (Bayerns Kader) steht über allem - das war nicht immer so. Daran hat Sammer sicher einen großen Anteil.

bundesliga.de: Wie beurteilen Sie das aktuelle Kräfteverhältnis zwischen Bayern und Dortmund nach dem Spitzenspiel () am vergangenen Samstag?

Rangnick: Dortmund hat schon noch einen kleinen Vorsprung im taktischen Bereich. Bis auf die Schlussminuten, in denen Bayern richtig Druck gemacht hat, war das Spiel ausgeglichen, wobei eher die BVB-Führung in der Luft lag. Aber der FCB hat die Lehren gezogen aus den vergangenen zwei Jahren - das war offensichtlich.

bundesliga.de: In der jüngeren Vergangenheit war der FC Barcelona das Vorbild schlechthin - besonders für den FC Bayern. Könnte künftig also der BVB mit gewissen Bestandteilen seines Spiels neue Trends setzen?

Rangnick: Es gibt schon viele Parallelen im Spiel von Barca und Dortmund. Wir in Hoffenheim haben damals logischerweise auch nach Barcelona geschaut. Das ist die Aufgabe eines jeden Clubs, sich an den Besten zu orientieren. Wie arbeiten die? Welche Elemente wollen wir in unser Spiel integrieren? So eine Orientierung halte ich für völlig normal.

bundesliga.de: Kommen wir noch einmal auf die aktuelle Champions-League-Saison zurück. Kann einer der drei deutschen Vertreter den Titel holen?

Rangnick: Das ist ein bisschen von der Auslosung und der aktuellen Verfassung in der Liga abhängig. Aber ich sehe außer Barcelona keinen Gegner, den Bayern, Dortmund oder Schalke wirklich fürchten müssen. Und auch gegen Barcelona ist keines der drei Teams von vornherein chancenlos. Wenn wir jetzt die drei Trainer fragen, welchen Gegner sie nicht wollen, würden wohl alle Barca sagen. Alle anderen möglichen Kontrahenten verbreiten weniger Angst (alle CL-Ergebnisse). Also kann auch einer der drei deutschen Vereine die Champions League gewinnen. Ich halte das für möglich!

Das Gespräch führte Tim Tonner