"Der kürzeste Weg nach Europa"

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Hamburg - Beim 3:1 des VfL Wolfsburg im DFB-Pokal über den Fünftligisten SC Victoria Hamburg war kaum ein Klassenunterschied zu erkennen, auch wenn "wir das Spiel jederzeit kontrolliert haben", wie Marcel Schäfer analysierte. Dass man bei Amateuren zu Gast war, bekamen die "Wölfe" eher rund um das "Spiel des Jahrzehnts" für die Hamburger zu spüren. Gut 30 Minuten nach Ende der Partie saßen Wolfsburgs Trainer Steve McClaren und "Vicky"-Coach Bert Ehm auf dem Podium um sich den Fragen der versammelten Presse zu stellen - aber nichts passierte.

"'Olli' ist noch nicht da", so Ehm auf Nachfrage, worauf man noch warte. Und Olli ließ auf sich warten. Nach schier endlos scheinenden Minuten erbarmte sich Heinrich Helmke und setzte sich zwischen die Übungsleiter.

Eine besondere Pressekonferenz

Doch statt wie üblich dem Gäste-Trainer das Wort zu erteilen, schwelgte der für Akkreditierungen Verantwortliche der Hamburger Amateure erst einmal in Erinnerungen.

"Das ist jetzt 20 Jahre her, dass ich das zuletzt getan hab'. Damals haben wir gegen Bayer Leverkusen 0:5 verloren. Heute gegen den Deutschen Meister von 2009 nur 1:3. Das ist doch ein Fortschritt. Ich wünsche Wolfsburg viel Glück", sagte Helmke mit einem Blick Richtung McClaren, der ansetzte, seine Spielanalyse abgzueben.

McClaren muss sich noch gedulden

Doch da hatte er die Rechnung ohne Helmke gemacht. "Ich muss noch was loswerden...." Nach Danksagungen an den FC St. Pauli, "der sein Stadion zu einem fairen Preis zur Verfügung gestellt" hatte, den Zuschauern, "die ihr Kommen sicher nicht bereuen mussten" und einem "alles Gute für die weiteren Spiele" Richtung McClaren war dem immer noch nicht klar, ob er endlich loslegen könne.

"Darf ich jetzt?", fragte ein sichtlich amüsierter "Wölfe"-Trainer, der die Situation mit dem Humor nahm, der Engländern nachgesagt wird.

"Ich liebe "Alles oder Nichts"-Spiele"

"Victoria hat ein gutes Spiel gezeigt", lobte der Brite, der das Spiel gegen den Oberligisten genutzt habe, "ein wenig zu experimentieren". Dabei hätten Spieler wie Mario Mandzukic, Alexander Madlung oder Cicero "ihre Sache sehr gut gemacht".

"Mir persönlich ist der Pokal-Wettbewerb sehr wichtig. Ich habe diese 'Alles-oder-Nichts'-Spiele schon in England im Kampf um den FA-Cup geliebt. Dass immer wieder mal ein kleiner Verein einen großen rauswirft, macht den Reiz aus. Und für den VfL ist er eine große Chance. Noch drei Spiele, und wir sind in Berlin. Es ist viel einfacher, über den Pokal in die Europa League zu kommen, als über 34 Spiele in der Liga", beschrieb McClaren die Wertigkeit des DFB-Pokals.

"Wir nehmen den Pokal sehr ernst"

Diese Meinung war auch Dieter Hoeneß: "Wir nehmen den Pokal sehr ernst. Er ist der kürzeste Weg nach Europa", so der VfL Manager zu bundesliga.de. "Nach den letzten Pleiten gab es bei uns Redebedarf. Mit der Leistung der Mannschaft heute bin ich zufrieden. Wir haben gerade in der Abwehr gut gestanden. Jetzt müssen wir am Samstag gegen Stuttgart nachlegen."

Für das richtungweisende Spiel gegen den VfB habe man die angeschlagenen Stammspieler Edin Dzeko und Simon Kjaer geschont. "Am Samstag sind die beiden aber sicher dabei", gab Hoeneß Entwarnung. Vielleicht sei sogar Keeper Diego Benaglio wieder einsatzbereit.

"Schäfer, krieg ich dein Trikot?"

Nicht nur Hoeneß, der "Victoria Köln" zu einer guten Leistung gratulierte, wunderte sich über die Atmosphäre in der Mixed Zone. Wo sonst die Medienvertreter ihre Plätze einnehmen, um die Spieler zu befragen, hatten sich Jugendspieler des SC Victoria versammelt, um Souvenirs der Bundesliga-Profis zu ergattern. Da viele Profis ihre Trikots bereits ihren Gegenspielern vermacht hatten, wurde nach T-Shirts, Stutzen, ja sogar nach dem Arbeitswerkzeug Nummer eins, den Fußballstiefeln gefragt.

"Schäfer, krieg' ich dein Trikot", fragte einer der Nachwuchskicker nicht gerade freundlich, als dann doch ein Profi in voller Montur kam. "Ich bin nicht Schäfer. Der kommt gleich", bekam der Fragesteller zu hören. Und musste den Spott seiner Kumpel über sich ergehen lassen, als die den Namen "Riether" auf der Rückseite des Trikots erblickten.

Aufwärtstrend zu erkennen

Der gemeinte Marcel Schäfer stellte sich Minuten später der Presse. Auch wenn den Verteidiger das Gegentor ärgerte, so sei doch ein Aufwärtstrend zu erkennen. "Das müssen wir mitnehmen für das Spiel gegen Stuttgart. Die Partie ist sehr wichtig, da entscheidet sich vielleicht schon, wo der Weg für den VfL in dieser Saison hinführt. Wir müssen unbedingt gewinnen."

"Wir haben zuletzt in der Bundesliga sehr schlecht gespielt", gab der Nationalspieler zu. Daher habe auch nie die Gefahr bestanden, den Gegner zu unterschätzen, denn "der Pokal ist unsere größte Chance, in die Europa League zu kommen."

"Vicky"-Coach scharf auf Diego-Trikot

Dort werden dann auch die Pressekonferenzen wieder professioneller durchgezogen.Denn kaum hatte Ehm seiner Mannschaft Lob gezeugt für "die gute Leistung" und die Trainer alle Fragen der Presse beantwortet, setzte Helmke erneut zu Danksagungen an - und ließ wohl niemanden im Verein aus, der nur im entferntesten an den "stressigen Vorbereitungen" zu dem Event beteiligt war. McClaren ließ auch das lächelnd über sich ergehen.

"Olli" war übrigens selbst am Ende der Pressekonferenz nirgends zu sehen. Der Grund: Team-Manager Oliver Sextro hatte von Trainer Ehm den Auftrag erhalten, ihm das Trikot von Wolfsburgs Spielmacher Diego zu besorgen. Ob er es bekommen hat, ist nicht bekannt.

Jürgen Blöhs