Pep Guardiola war gegen Manchester ebenso gefordert wie seine Spieler (© imago)
Pep Guardiola war gegen Manchester ebenso gefordert wie seine Spieler (© imago)

70 Sekunden in Fröttmaning

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München - Die Klatschpappen, die sonst bei wichtigen Spielen in der Allianz Arena verteilt werden, fehlten dieses Mal. An ihrer Stelle übernahm an diesem feuchtkühlen Abend Pep Guardiola den Part des Einpeitschers. Der Bayern-Trainer feuerte in den 90 Minuten seine Hände so permanent und vehement gegeneinander, dass man befürchtete, er würde Schwielen davontragen (XL-Bildergalerie).

Mandzukic löst die Starre

Als ihm die Stimmung im Stadion immer noch nicht überschwänglich genug war, forderte Guardiola die Fans mit ausufernden Armbewegungen auf, noch einige Dezibel draufzupacken. Die Kulisse erhörte ihren Zeremonienmeister und ließ den ohnehin schon ohrenbetäubenden Lärmpegel weiter anschwellen. Zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 3:1 für seine Mannschaft gegen Manchester United und der Halbfinaleinzug war so gut wie besiegelt.

Eine halbe Stunde zuvor hatte nur ein kleiner Teil im weiten Rund gejubelt, der Rest war eisiges Schweigen. In besagter 57 Minute feuerte Patrice Evra einen monumentalen Gewaltschuss in den rechten Winkel, dass den Bayern-Fans die Anfeuerungen sprichwörtlich im Halse stecken blieben. 

70 Sekunden lang fragten sich die besorgten Anhänger, ob der Traum vom erneuten Triple-Sieg mit diesem Einschlag platzen sollte. 70 Sekunden in Fröttmaning können lang sein. Dass es jedoch dabei blieb und die Leidenszeit der Bayern-Fans nicht noch länger wurde, dafür sorgte Mario Mandzukic Der kroatische Stürmer löste mit seinem Kopfball die Starre und ließ das Stadion nach dem Ausgleich explodieren. Ob sie denn das Gegentor als Weckruf benötigt hätten, wurden Toni Kroos und Philipp Lahm nach dem Schlusspfiff gefragt. "Nein", antworteten beide unisono, man habe auch vorher schon die richtige Strategie gehabt - allerdings sei es schwer gewesen, den defensiven Riegel der Gäste zu knacken.

Der Bayern-Kapitän gestand, dass der prompte Ausgleich einen möglichen Grübelprozess des amtierenden Champions-League-Siegers im Keim erstickte. "Es war wichtig, dass wir so schnell zurückgekommen sind, sonst hätte jeder von uns angefangen, zu überlegen, 'was passiert, wenn...'" Wie die Münchner diese hypothetische Frage beantworteten, noch bevor sie richtig gestellt wurde, war eines Champions würdig (Einzelkritik).

"Ich weiß, was die Leute verlangen"

Guardiola beschäftigte nach dem Spiel die gleiche Frage, allerdings mit einem anderen Ansatz: "Deutsche Leute müssen mir erklären, warum sie immer einen Rückstand brauchen", sagte der Bayern-Trainer, der im fünften Versuch zum fünften Mal im Champions-League-Halbfinale steht. Der spanische Fußballlehrer wirkte nach dem Spiel sichtlich erleichtert und gestand erstmals, dass er unter gehörigem Druck stand. "Ich bin heute sehr, sehr glücklich. Ich weiß, was die Leute in diesem Verein verlangen, was auch die Fans und die Journalisten verlangen: Wir müssen jedes Spiel gewinnen".

Dass er mit seiner Umstellung in der zweiten Halbzeit ein gutes Stück zum Sieg beitrug, war offensichtlich. Mit der Hereinnahme von Rafinha für den glücklosen Mario Götze und dem Wechsel Lahms ins Mittelfeld bekam das Münchner Angriffsspiel endlich den ersehnten Schwung und die nötige Durchschlagskraft. Zuvor hatten die Münchner zwar wie im Hinspiel viel Ballbesitz, in Strafraumnähe waren sie jedoch mit ihrem Latein am Ende.

Es müllert wieder

Dies änderte sich mit dem Ausgleich schlagartig. Fortan erhöhten die Gastgeber das Tempo in ihren Angriffen und brachten die bis dahin so stabile United-Abwehr ins Wanken. Manchester bekam keinen Zugriff mehr und wurde förmlich überrannt. Die Folge: Thomas Müller (68.) und Arjen Robben (Robben-Zeit in München, 76.) legten nach und sorgten für den verdienten 3:1-Erfolg der Bayern

"Ich fand's überragend, wie die Mannschaft trotz dieses kleinen Rückschlags zurückgekommen ist", sagte der Torschütze zum 2:1, bei dem er nach dem Vorbild Gerd Müllers seinem Nachnamen alle Ehre machte. "Wenn man sich beide Spiele anschaut, sind wir verdient weitergekommen." (Internationale Pressestimmen)

Im Halbfinale geht es nun entweder gegen einen Madrider Club (Atletico, Real) oder es kommt zur Revanche für das verlorene "Finale dahoam" gegen den FC Chelsea (London oder Madrid?). Dann dürften auch wieder die Klatschpappen bereitliegen, um Pep Guardiola zu entlasten. Notfalls könnten damit auch 70 Sekunden des Schweigens in Fröttmaning überbrückt werden.

Aus München berichtet Johannes Fischer