Der Anti-Weichspüler

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München - Wenn ein neuer Spieler offiziell vorgestellt wird, geht es in aller Regel harmonisch zu. Von "großer Herausforderung" und "hohen Zielen" ist da oft die Rede - der Neue lässt zumeist keine Höflichkeitsfloskel aus, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen.

Mauro Camoranesi ist anders. "Ich habe die erste Halbzeit gegen Dortmund gesehen", berichtete Stuttgarts Neuzugang bei dessen Vorstellung vor einer Woche. "Und ich muss gestehen: Danach bin ich eingeschlafen." Wo andere sich eher auf die Zunge beißen würden, nimmt der 33-Jährige kein Blatt vor den Mund. In erfrischender Ehrlichkeit spielte Camoranesi auf die mäßige Leistung seiner neuen Mannschaft zum Saisonstart an: Der VfB ist mit null Punkten das Schlusslicht der Bundesliga-Tabelle.

Weil die Schwaben eine ähnlich schwache Hinrunde wie im vergangenen Jahr vermeiden wollen, haben sie kurz vor Transferschluss reagiert. Mit Camoranesi kommt ein Spieler mit großer Erfahrung, der helfen soll, den Aufwärtstrend diesmal früher einzuleiten.

Daher sparten die Verantwortlichen des VfB auch nicht mit Lob, als sie den Mittelfeldspieler vor der versammelten Journalistenschar präsentierten. "Wir sind sehr froh darüber, einen Spieler mit so einem großen Namen und solch hoher Qualität gefunden zu haben", sagte Sportdirektor Fredi Bobic. "Wenn man einen Spieler mit so einer Vergangenheit und Persönlichkeit bekommen kann, muss man natürlich auch alles dafür tun, dass es klappt."

"Wieso soll ich die italienische Hymne singen?"

Pesönlichkeit hat Camoranesi in der Tat genug. Er wurde im argentinischen Tandil geboren - doch im Gegensatz zum Waschmittel ist der kernige Offensivspieler alles andere als ein Weichspüler. Dass Camoranesi für die italienische Nationalelf aufläuft, hat für ihn keinerlei patriotischen Gründe. "Das hat nichts mit meiner persönlichen Selbstfindung zu tun. Es ist eine Fußball-Frage, nichts anderes."

Sein Schweigen während der italienischen Nationalhymne nahmen im viele seiner "neuen" Landsleute übel - doch Camoranesi ließ sich davon nicht beirren. "Meine Güte, ich habe im meinem Leben noch nie die argentinische Hymne gesungen - warum sollte ich jetzt die italienische singen?" Vor seinem Debüt in der italienischen Nationalmannschaft erklärte er den erstaunten Journalisten, dass er jetzt alles daran setzen werde, ein Eigentor zu erzielen. Das Augenzwinkern musste man sich dabei denken.

Weltmeister 2006 mit der "Squadra Azzurra"

Seine fußballerische Wurzeln hat Camoranesi beim argentinischen Club Atletico Aldosivi in der Provinz Buenos Aires. Profi machte er Station bei Santos Laguna, CD Cruz Azul (beide Mexiko), Montevideo Wanderers FC (Uruguay) und dem argentinischen Club Atletico Banfield. 2000 wechselte er dann nach Italien und spielte zuerst für Hellas Verona.

Zwei Jahre später wurde er vom italienischen Rekordmeister Juventus Turin verpflichtet, für den er acht Jahre lang spielte. In dieser Zeit gewann er mit der "Alten Dame" 2003 die italienische Meisterschaft sowie zwei Mal den Supercup (2003, 2004). Juventus Turin musste nach einem Manipulationsskandal im Jahr 2006 in die Serie B absteigen, schaffte aber den sofortigen Wiederaufstieg.

Ein internationaler Titel auf Vereinsebene blieb Camoranesi bisher verwehrt, 2003 scheiterte er mit Juventus Turin im Finale der Champions League mit 2:3 im Elfmeterschießen am AC Mailand. Dafür wurde er 2006 in Deutschland mit Italiens Nationalmannschaft Weltmeister.

Neuer Schwung für die Offensive

Seine fußballerische Technik beschrieb der italienische Journalist Aldo Cazzullo einmal folgendermaßen: "Er ist ein Flügelstürmer alten Schlags, der das Dribbling nicht dem Mythos des Ballbesitzes opfert, der in die Tiefe des Raumes geht und der sich beim Spielen zuweilen daran erinnert, dass zum Fuß auch der Absatz gehört.

Beim VfB ist Camoranesi für die rechte Außenbahn vorgesehen und soll für neuen Schwung in der Offensive sorgen. Denn bisher gelang den Schwaben insgesamt erst ein Tor in den beiden Bundesliga-Partien. Die Verantwortlichen erwarten, dass er sich bald zu einer Führungsfigur entwickelt: "Er wird mit seiner Zweikampfstärke und Aggressivität unserem jungen Team weiterhelfen können", ist sich Bobic sicher.

Hellwach auf dem Platz

In Stuttgart unterschrieb Camoranesi einen Vertrag über ein Jahr plus Option auf Verlängerung. Beim Test gegen den 1. FC Heidenheim lieferte er ein gutes Debüt im VfB-Trikot ab und bekam anschließend von Cheftrainer Christian Gross ein Sonderlob.

Dass er die zweite Hälfte Stuttgarts gegen den BVB verschlief, lag übrigens nicht (nur) am schwachen Auftritt seiner neuen Kollegen, sondern hauptsächlich daran, dass es bereits 1 Uhr nachts war, als er sich das Spiel in Argentinien ansah.

Nach dem kleinen verbalen Seitenhieb fand Camoranesi doch noch die Gelegenheit, sich für seinen neuen Arbeitgeber zu erwärmen. "Der VfB ist eine starke Mannschaft. Dass ich als Verstärkung geholt wurde, ist eine tolle Sache", sagte er. "Für mich war der Zeitpunkt des Wechsels genau der richtige. So eine Chance bekommt man selten." Und spätestens bei seinem Pflichtspiel-Debüt in Freiburg dürfte er auch wieder hellwach sein.

Isabell Groß/Johannes Fischer