Werders Keeper Tim Wiese (r.) weiß sich nicht anders zu helfen und reißt Christian Eigler vom FCN nieder, um das sichere Tor zu verhindern. Dafür sieht er nach einer guten Viertelstunde Rot
Werders Keeper Tim Wiese (r.) weiß sich nicht anders zu helfen und reißt Christian Eigler vom FCN nieder, um das sichere Tor zu verhindern. Dafür sieht er nach einer guten Viertelstunde Rot

Catenaccio auf Norddeutsch

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München - Als die Partie zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem SV Werder Bremen, gut zwei Stunden nachdem sie begonnen hatte, von Schiedsrichter Dr. Jochen Drees beim 1:1-Endstand abgepfiffen wurde, fielen 21 auf dem Platz verbliebenen Spielern gleichzeitig 21 Steine vom Herzen. Aber aus höchst unterschiedlichen Motiven: Während die Mittelfranken mit höchstem Aufwand und bis zur Erschöpfung um Tore gerungen hatten, waren die Bremer alle Naselang damit beschäftigt, den Ball aus dem eigenen Strafraum zu befördern.

Keine leichte Aufgabe, schließlich war waren die Gäste aus dem hohen Norden an diesem Samstag Nürnberg in allen Belangen unterlegen. Mit gerade mal 36 Prozent Ballbesitz waren eben keine großen Sprünge möglich.

Wieses Bärendienst

Immerhin spielte Bremen auch 73 Minuten lang in Unterzahl, nachdem Torwart Tim Wiese nach einer guten Viertelstunde vom Platz gestellt worden war. Dessen kapitale Fehlentscheidung, seinen Kasten zu verlassen und den Ball spielerisch zu klären, zwang ihn am Ende zu einem Foul am Nürnberger Angreifer Christian Eigler, das umgehend vom Schiedsrichter geahndet wurde.

Der 22-jährige Sebastian Mielitz wurde ins kalte Wasser geworfen und stand ab sofort im Kasten der Hanseaten. Die entschieden sich kurzerhand zur Flucht nach vorn. Ein einziger Vorstoß der Bremer reichte zum Führungstreffer durch den ehemaligen "Cluberer" Mehmet Ekici in der 24. Minute, obwohl doch inzwischen alles für die Franken sprach.

Ein Torschuss pro Halbzeit

"Wir haben uns durch den Platzverweis geschwächt und dafür gesorgt, uns in eine schlechte Situation zu bringen. Trotzdem haben wir das Tor erzielt. Anschließend hat sich die Mannschaft gewehrt und ihre Aufgabe sehr diszipliniert umgesetzt", lobte Werders Cheftrainer Thomas Schaaf sein Elf nach dem Spiel. Tatsächlich war der Torschuss von Ekici der einzige in der ersten Hälfte, und in der zweiten kam nur ein weiterer hinzu.

In der Offensive war einfach der Wurm drin, die Bremer gaben nur magere zwei Torschüsse ab. Zum Vergleich: Beim "Club" waren es 25. Außerdem führte Werder keinen einzigen Eckball aus, den Nürnbergern wurden ganze 13 Ecken zugesprochen.

Sturzbäche sorgen für lange Verschnaufpause

Nach etwa einer halben Stunde wurde der Regenschauer, der die gesamte erste Halbzeit begleitete, immer unerträglicher. Es goss wie aus Kübeln, und als ob das nicht genug gewesen wäre, fielen auch noch golfballgroße Hagelkörner vom Himmel. Schiedsrichter Drees ließ aber eisern weiterspielen und entschied erst in der Pause, dass die zweite Halbzeit 20 Minuten später beginnen würde.

Nach der längeren Unterbrechung hatte sich zwar die Wetterlage gebessert, auf dem Feld lief aber alles weiter wie zuvor: Obwohl die Offensive der Norddeutschen ein wenig schlief, zeigte sich dafür die Abwehr bärenstark. "Wir haben das als Team gut angenommen, sind weite Wege gegangen. In der zweiten Halbzeit hatten wir dann nach vorn kaum noch Entlastung gehabt und mussten alles geben", erklärte Andreas Wolf. Den Weggang des langjährigen Bremer Innenverteidigers Per Mertesacker hat man an der Weser offensichtlich bestens verkraftet.

Die Viererkette bestehend aus Ignjovski, Wolf, Prödl und Schmitz erlaubte sich keinen Patzer. Auch der frühe verletzungsbedingte Wechsel (6. Minute) von Sokratis, der sich einen einen Muskelfaserriss im Adduktorenbereich des rechten Oberschenkels zugezogen hatte, war kein Problem. Hervorzuheben ist auch die Leistung des eingewechselten Naldo, der stets am rechten Platz stand. Kapitän Clemens Fritz meinte nach dem Spiel nur ganz pragmatisch: "Werder ist eigentlich bekannt für seinen Offensivfußball. Aber heute waren eben andere Tugenden gefragt. Die haben wir abrufen können, das zeigt das neue Werder."

Abwehrarbeit als Teamleistung

Doch der Anschlusstreffer ließ sich nicht vermeiden: Nach einer Ecke von Markus Feulner köpfte Defensivmann Philipp Wollscheid den Ball in die Maschen. Weiterhin ließen die Gastgeber nichts unversucht, Timothy Chandler ist da nur ein Beispiel: Auf der rechten Außenbahn brachte er acht Flanken herein und startete sagenhafte 21 Sprints. Doch es half alles nichts, die Bremer klammerten sich mit vereinten Kräften an den einen Punkt, allen voran Sebastian Mielitz. In seinem neunten Bundesliga-Einsatz für Werder ließ er sich kein X für ein U vormachen, am Gegentor in der 62. Minute trug er keine Schuld.

So oft die Franken auch gegen die Bremer Abwehr anrannten, es kam kein weiterer Treffer zustande, immer war ein Bremer zur Stelle. Das Unentschieden über die Zeit zu retten war so kein Problem. Die Opferbereitschaft in der Verteidigung war am Samstagnachmittag so auffällig wie selten. Inzwischen packen einfach alle hinten mit an, anders als in der Vorsaison. Damals hatte man nach sechs Spieltagen bereits 14 Gegentore, mehr als doppelt so viele wie jetzt (6). Gegen Nürnberg hat Werder nun gezeigt, zu welcher Leistung die Mannschaft kraft ihres Teamgeistes fähig ist.

Sabine Glinker